Sex in Corona-Zeiten: Stress, neue Herausforderungen, mehr Zeit zu zweit? So hat die Pandemie unser Sexleben verändert
Sex und Corona: Erkenntnisse über unser Liebesleben
Über ein Jahr ist es mittlerweile her, dass uns die Corona-Krise für unbestimmte Zeit in den Hausarrest geschickt hat. Kontaktbeschränkungen, Homeoffice, Lockdown, geschlossene Schulen – das zerrt an den Nerven. Paare, die zusammen wohnen, verbringen sehr viel Zeit miteinander und viele bestreiten gleichzeitig den zusätzlichen Stress durch Homeschooling, finanzielle Engpässe und die Ungewissheit, wie lange die Situation noch anhält. Das kann die Libido ganz schön durcheinanderbringen. Singles fühlen sich in der Pandemie häufig einsam, Dating in Corona-Zeiten läuft anders und vielen fehlt körperliche Nähe. Was macht Corona mit unserem Liebesleben? Ein paar interessante Erkenntnisse...
Jede fünfte Person, die mit ihrer Partnerin oder ihrem Partner zusammenlebt, hat aktuell mehr Sex als sonst
We-Vibe, März 2020Tweet
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Gemeinsam im Corona-Lockdown: Mehr Sex oder mehr Streit?
Paare, die zusammen leben, können in Pandemie-Zeiten beides haben. Laut einer Umfrage des Sexspielzeug-Herstellers We-Vibe hatte jede fünfte Person, die mit der Partnerin oder dem Partner zusammenlebt, während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 mehr Sex als sonst. Allerdings nicht zwingend gemeinsam – über die Hälfte der Paare (54%) verspürten zu Beginn der Pandemie mehr Lust auf Solosex. Im zweiten Lockdown flachte die Lust etwas ab. Laut einer Studie der Sigmund Freud Universität Wien verringerte sich im Vergleich zum Sommer das Begehren nach Sex zu zweit bei fast einem Drittel der Befragten (30%).
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Jede sechste Person hatte im Frühjahr 2020 das Gefühl, dass sich die Partnerin oder der Partner häufiger über sie ärgert und 78 Prozent konnten sich zu diesem Zeitpunkt vorstellen, dass die Anzahl der Trennungen und Scheidungen aufgrund der Situation ansteigen würde. Trotzdem waren viele Paare in Bezug auf die eigene Beziehung optimistisch. Fast die Hälfte (45%) der Befragten dachte während des erstes Lockdowns weniger häufig über eine Trennung nach als noch vor Corona. Und tatsächlich zeigt sich in einer im Oktober 2020 von der Meditations-App Headspace durchgeführten Studie, dass bis dato nur zwei Prozent der Deutschen ihre Beziehung während der Krise beendeten. Insgesamt gaben sogar mehr Befragte an, dass sich ihre Beziehung eher verbessert (10%) als verschlechtert (8%) hat.
Fehlender Rückzug belastet Paare
Ein häufiger Grund für Streitereien im Lockdown sind fehlende Rückzugsorte. In der Studie der Sigmund Freud Universität Wien gaben die Hälfte der Befragten ohne eigenen Rückzugsort an, "häufig" oder "manchmal" Streit im Haushalt zu erleben. Unter den Befragten mit Rückzugsort waren es nur etwa halb so viele (28%).
Um die gemeinsame Zeit zuhause möglichst harmonisch und vielleicht auch lustvoll zu verleben, empfiehlt Paartherapeut und Sexualcoach Rouven Gehr im Gespräch mit dem MDR Sachsen, das Verhältnis zwischen Distanz und Nähe im Gleichgewicht zu halten: "Wenn gleich der eine beleidigt ist, dass der andere gerade keine Lust auf Gespräche, Austausch, Nähe oder gar Sex hat, wird es schwierig."
Mehr Stress = weniger Sex?
Jede:r fünfte Befragte der genannten Wiener Studie gab Anfang des Jahres an, sich durch die Pandemie so gestresst zu fühlen, dass keine Zeit für Intimität oder Sex bleibt. 16 Prozent sind sogar erleichtert, dass niemand von ihnen erwartet, ein aktives Sexleben zu führen. Bei Studienteilnehmer:innen ohne romantische oder sexuelle Beziehung ist der Anteil mit 30 Prozent sogar fast doppelt so hoch. Ähnliche Erkenntnisse brachte auch die im März 2020 durchgeführte Umfrage der Community JOYclub. Hier gaben über 20 Prozent der Befragten an, überhaupt keine Lust auf Sex zu haben. Dabei verzichteten insbesondere die Frauen: Rund die Hälfte der weiblichen Befragten hatte zu diesem Zeitpunkt seit Beginn der Corona-Pandemie weniger oder gar keinen Sex mehr. Bei den Männern waren es 38,5 Prozent.
Doch wie so häufig gelten diese Erkenntnisse nicht für alle: Zwei aktuelle, noch unveröffentlichte Studien des Hamburger Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) und der Hochschule Merseburg deuten darauf hin, dass sich das Sexleben vieler Paare während der Pandemie auch intensiviert hat. Der Berliner Psychotherapeut und Autor Wolfgang Krüger erklärt gegenüber dem RND sogar, dass er damit rechne, dass der Lockdown die Sexualität bei über 50 Prozent der Paare verbessert. Als Anhaltspunkt nennt er den verstärkten Absatz von Kondomen und Sexspielzeug. Daraus sei Interesse abzuleiten, "die Sexualität etwas aufregender zu gestalten". Außerdem sehnen sich in Krisenzeiten viele Menschen nach Sicherheit, die sich durch Liebe und Sexualität herstellen lässt.
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Psychische Belastung führt zu sexuellen Störungen
58 Prozent erleben in der Corona-Pandemie Störungen ihres sexuellen Verlangens, das zeigt die Studie der Meditations-App Headspace von Oktober 2020. Schon im ersten Lockdown erkannte Professor Dr. Frank Sommer, Präsident der deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit e.V., bei 40 Prozent der Männer Erektionsschwächen oder schwere sexuelle Störungen aufgrund der erhöhten psychischen Belastung.
Je mehr Stress die Leute haben, umso weniger Sex haben sie – dabei wäre Sex so gut, um Stress abzubauen!
Johanna Rief, Marketingchefin bei We-Vibe und WomanizerTweet
Während vorher oft die fehlende Zeit der Grund für wenig Sex in Beziehungen war, ist es im Lockdown also häufig der Stress. Johanna Rief, Marketingchefin bei We-Vibe und Womanizer, sagt im Gespräch mit dem Magazin Iconist: "Je mehr Stress die Leute haben, umso weniger Sex haben sie – dabei wäre Sex so gut, um Stress abzubauen!" Auch das Immunsystem wird durch regelmäßige Orgasmen nachweislich gestärkt.
Online-Dating in Corona-Zeiten
Und wie sieht es mit all den Singles und freien Liebenden da draußen aus? Unbeschwerte Dates und unverbindlicher Sex sind im Lockdown nicht drin. Trotzdem verzeichneten Tinder und Co. seit Beginn der Pandemie laut der FAZ steigende Nutzungszahlen – logisch, denn wo sonst lernt man im Moment neue Menschen kennen?
Singles nehmen sich mehr Zeit, passende Partner anzuschreiben und sich auszutauschen
Eric Hegmann, Single-Experte und Parship-CoachTweet
Anfang 2021 zeichnet sich in einer Studie der Dating-App Bumble ein klarer Trend ab: Etwa die Hälfte der dort angemeldeten Singles haben keine Lust mehr auf Spielchen und suchen nach einem knappen Jahr Pandemie nach einer festen Beziehung. Etwa 15 Prozent der Nutzer:innen sind außerdem "New Dawn Daters", also Personen, die ihre Beziehung in Folge der Pandemie beendet haben und jetzt bereit sind, neue Menschen kennenzulernen.
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Im ersten Lockdown waren die Gefühle unter den Singles gemischt. Laut einer Umfrage von Parship befürchtete etwa jeder dritte Single zu Beginn der Pandemie, dass ihm einsame Wochen bevorständen und hätte in dieser Zeit gerne eine Partnerin oder einen Partner an der Seite. Gleichzeitig freuten sich 50 Prozent über die gewonnene Me-Time und wollten sie nutzen, um etwas runterzukommen.
Sexting und Experimentierfreude
Fast ein Drittel der Befragten der Studie der Sigmund Freud Universität Wien hat während der Pandemie mit einer Person über sexuelle Fantasien gesprochen. 16 Prozent probierten neue sexuelle Stellungen aus, 14 Prozent anale Stimulation. Etwa jede:r sechste masturbierte gemeinsam mit einer anderen Person oder setzte andere sexuelle Fantasien um. Praktiken aus dem BDSM-Spektrum probierten 8 Prozent der Befragten aus.
Auch verschiedene Formen von Cybersexualität sind laut der Wiener Studie beliebt. Von den Befragten lebten 25 Prozent ihre Sexualität im zweiten Lockdown (auch) digital, am häufigsten in Form sexueller Nachrichten und dem Versenden von Nacktfotos aus.
Selbstbefriedigung und Sextoys boomen
Auch Selbstbefriedigung erfreut sich in Corona-Zeiten besonders großer Beliebtheit. Sowohl der Konsum von Pornos als auch der Verkauf von Sexspielzeug ist seit Beginn der Pandemie angestiegen. Der Online-Erotikshop eis.de berichtete bereits im ersten Lockdown von doppelt so hohen Bestellzahlen wie gewöhnlich. Der Shop Amorelie legte noch einen drauf, dort wurden im November und Dezember 2020 170 Prozent mehr Produkte verkauft als noch im April und Mai. Der Sexspielzeug-Hersteller We-Vibe erkannte sogar länderspezifische Trends: Dort, wo viele Corona-Fälle auftraten, stiegen auch die Verkaufszahlen deutlich an.
Über die Hälfte der Paare im gemeinsamen Lockdown und 73 Prozent der voneinander getrennt lebenden Paare verspürten laut der Umfrage von We-Vibe schon zu Beginn der Pandemie mehr Lust zu masturbieren. In der aktuellen Studie aus Wien zeichnete sich dieser Trend weiterhin ab. In den zwei Wochen vor der Befragung hatten 68 Prozent masturbiert, beinahe jede:r Vierte benutzte einen Vibrator oder Dildo. Sex mit der/dem Partner:in hatten im gleichen Zeitraum 64 Prozent der Befragten.
Nicht nur Klopapier – auch Kondome wurden gehamstert
Die Kondomhersteller Einhorn und Ritex verzeichneten nach eigenen Angaben deutlich steigende Umsätze während des ersten Corona-Lockdowns. Bei Ritex hätten sich diese im Vergleich zum Vorjahresmonat fast verdoppelt, teilte eine Sprecherin des Unternehmens der FAZ mit. Die Nachfrage normalisierte sich allerdings recht schnell. Ritex Geschäftsführer Robert Richter vermutet, dass das am pandemiebedingten Rückgang von Sexarbeit liegen könnte. Seiner Einschätzung nach werden bundesweit ein Viertel der Kondome in diesem Kontext verbraucht.
Sex in der Mittagspause
Die Onlineplattform Femtasy, die erotische Hörgeschichten für Frauen und Paare anbietet, verzeichnete seit Auftreten des Corona-Virus veränderte Log-in-Zahlen. Im Lockdown haben diese rund um die Mittagszeit von 13 bis 15 Uhr zugenommen. "Statt Kaffeepause mit Kolleg:innen schauen Nutzer:innen jetzt offenbar bei uns vorbei", sagt Anna Brübach, PR-Managerin bei Femtasy dem Magazin Iconist. Die bisherige "Prime-Time" der Audio-Plattform startete am Abend gegen 20 Uhr.
Auch die theoretische Weiterbildung in Sachen Bettsport genießt erhöhte Aufmerksamkeit. Das Start-up Beducated bietet sogenannte Online-Sexkurse an, um das Sexleben der Menschen zu verbessern. Im ersten Lockdown verzeichnete die Website eigenen Angaben zufolge so hohe Nachfragen wie sonst nur an Feiertagen und Weihnachten. "Die Leute sind zu Hause und googeln 'persönliche Themen'," heißt es vom Start-up gegenüber dem Portal Gründerszene.