Männer wollen auch nicht immer Sex, klar. Aber was, wenn im Bett kaum noch was läuft? Paartherapeut Marc Rackelmann über die wahren Gründe - und wie man da als Paar wieder herausfindet.
Lustlos? Wenn Mann keinen Sex will
Ein Mann, der nicht ständig Sex haben will, erscheint erklärungsbedürftig: eine Anomalie, wie Schnee im Juli. Sexuelle Unlust bei Frauen hingegen wird häufig als "normal" abgestempelt. Hinter der Frage, wie es kommt, dass Männer keine Lust haben, steckt meiner Meinung nach ein vorherrschendes rein biologisch-medizinisches Verständnis von Sexualität – und ein sehr abgehangenes Männerbild. Sieht man genauer hin, ergibt sich ein deutlich vielschichtigeres Bild.
Lustlos durch Stress
Wenn ein Mann, der früher sexuell aktiv war, über einen längeren Zeitraum überhaupt keine Lust mehr verspürt – weder mit sich, noch mit anderen, hat es vielleicht "einfach nur" mit seiner aktuellen Lebenssituation zu tun. Vielleicht hat er gerade besonders viel um die Ohren?
Es könnte aber auch ein Hinweis auf gesundheitliche Probleme sein, wie eine Depression. Denn Sorgen und Stress wirken sich selbstverständlich auch auf die Sexualität von Männern aus. Manche Männer nutzen dabei den Sex, um Spannungen abzubauen (was auf Dauer bei den Partnerinnen nicht gut ankommt und bei denen "Lustlosigkeit" erzeugt), während bei anderen Stress der Lust abträglich ist.
Wie viel Sex ist eigentlich normal?
Bedeutet Lustlosigkeit für den Mann: "Weniger Lust als meine Partnerin"? In unseren relativ gleichberechtigten Breiten hält sich der sexuelle Appetit von Männern und Frauen in etwa die Waage. Oft sind in jüngeren Jahren die Männer fordernder, während später häufig die Frauen mehr Sex wollen. Es ist also völlig normal, wenn in einer Beziehung die Frau ein größeres Verlangen hat als der Mann. Man muss nur wissen, dass die Person, die mehr Sex will, oft damit zu kämpfen hat, sich nicht genug vom Partner begehrt zu fühlen – während der Partner mit dem geringeren Verlangen sich darüber beklagt, er oder sie fühle sich unter Druck gesetzt und könne so ja kein Verlangen entwickeln.
Manchmal ist mit Lustlosigkeit auch gemeint: "Weniger als ich vermute, dass es normal ist." Angesichts der Allgegenwart von Sex in Medien und Werbung kann der Eindruck entstehen, alle anderen hätten mehr (und aufregenderen) Sex als wir. Doch ganz gleich, ob siebenmal in der Woche oder nur an Weihnachten – solange es Euch (beiden) mit eurer Sexualfrequenz gut geht, ist alles in Ordnung. Es gibt keine Zahl, die uns sagt, wie viel Sex "normal" ist.
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Welche Rolle spielen Pornos bei Sex-Müdigkeit?
Neuerdings liest man öfter, dass ein Zusammenhang zwischen männlicher "Lustlosigkeit" (in diesem Fall der schwindenden Lust auf Partnersex) und dem häufigen Konsum von Online-Pornos vermutet wird. Ob und wie sich der Konsum von Pornos auf Männer auswirkt, ist dabei allerdings noch nicht solide erforscht. Manche behaupten, das männliche Gehirn werde dadurch "neu verdrahtet", sodass Partnersex kaum noch möglich sei, während andere Untersuchungen keinen solchen Effekt fanden.
Für junge Männer, die noch keine oder wenig eigene Erfahrung mit Paarsexualität haben, besteht die Gefahr, dass sie Pornos für bare Münze nehmen und völlig überzogene Erwartungen an ihre Partnerin und sich selbst entwickeln. Nach meiner Erfahrung wissen erwachsene Männer die pornografische Fiktion und die Realität im eigenen Bett aber sehr wohl auseinanderzuhalten. Zudem habe ich noch nie einen Mann von seinem autoerotischen Date mit dem Laptop schwärmen hören.
Unsere "Love Your Sex" Podcast-Folge zum Thema: Ein Mann spricht offen über seine sexuelle Unlust - hört mal rein!
Vom Verliebtheitssex zum Alltag
Männliche Lustlosigkeit kann auch entstehen, weil für viele der Übergang vom Verliebtheitssex zur nächsten Stufe nicht einfach ist und der (Paar-)Sex so immer mehr nachlässt oder ganz einschläft. Den Verliebtheitssex bekommen wir sozusagen geschenkt – die Paar- und Sexualtherapeutin und EMOTION-Expertin Berit Brockhausen vergleicht ihn mit dem Startguthaben eines Prepaid-Handys. Der Sex, der nach der Verliebtheit kommt, braucht mehr Pflege, Zuwendung und Auseinandersetzung. Der Verliebtheitssex endet zwar irgendwann, doch man wirft sein Handy ja auch nicht weg, nur weil das Guthaben aufgebraucht ist, stellt Brockhausen richtig fest.
Ein konkreter Fall: Ein Baby kommt, der Sex geht
Bei Lukas, einem Mann Anfang dreißig, und seiner Freundin Mia war es eine Mischung aus dem bisher Gesagten. Lukas' eigene kleine Firma nahm ihn viel in Beschlag, er hatte zuweilen Mühe, seinen Kopf abends abzustellen. Sex war für ihn nun weniger wichtig als vor seiner Selbstständigkeit, doch sie schliefen noch regelmäßig miteinander. Die sexuellen Schwierigkeiten begannen, als Mia schwanger wurde. Sie genoss die Schwangerschaft, und die stärkere Durchblutung ihres Unterleibs erotisierte sie. Lukas hingegen betrachtete Mias wachsenden Bauch mit Befremden. Ihm wurde zum ersten Mal klar, dass Sex Folgen hatte, und die Vorstellung, dass ihr Kind als ersten Eindruck von seinem Vater dessen Penis zu spüren bekäme, schreckte ihn ab.
Lukas verweigerte sich immer mehr Mias erotischen Avancen, was diese zutiefst verletzte: Er fand sie nicht mehr attraktiv! Mias Kränkung blieb auch nach der Geburt bestehen und sie beobachtete Lukas genau, ob er sie noch begehrte. Ihre Sexualität war zu etwas Belastetem geworden und Lukas hatte immer weniger Lust darauf.
In meiner Praxis ist das der häufigste Grund für Lustlosigkeit: Die bisher praktizierte Paarsexualität funktioniert aufgrund veränderter Lebensumstände nicht mehr und eine neue hat sich noch nicht entwickelt, ja dem Paar ist noch nicht einmal klar, dass es etwas Neues entwickeln kann und muss. Man versucht eher eine Weile, das Alte am Leben zu erhalten, mit schwindendem Erfolg.
In diesem Fall haben die Männer durchaus noch Lust und befriedigen sich selbst, nur auf den Sex mit ihrer Partnerin haben sie keine Lust. Das binden sie ihr dabei nicht unbedingt auf die Nase. Es ist leichter zu sagen: "Ich habe keine Lust" als "Ich habe auf diesen Sex mit dir keine Lust". Für das Erste kann man biologische Gründe vorschieben, für das Zweite ist man selbst verantwortlich.
Im Fall von Lukas und Mia bestand die Aufgabe für ihn darin, seine Freundin als erotische Frau sehen zu können, auch wenn sie nun Mutter war. Die Aufgabe für Mia bestand darin, sich ihrer Selbstzweifel anzunehmen.
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Lustlose Phasen sind normal
Ob es Dich tröstet oder beunruhigen mag: Lustlose Phasen, auch bei Männern, gehören zu jeder sich entwickelnden Liebesbeziehung. Du bist oft Teil eines Anpassungsprozesses, der fast nie reibungslos verläuft. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum zu glauben, dass unsere Sexualität einfach fertig da ist, ein biologischer Reflex, wie die Atmung oder die Verdauung. Menschliche Sexualität ist zum großen Teil gelernt: was uns erregt, wie wir uns erregen, wie wir sexuelle Lust und emotionale Nähe verbinden – nichts davon ist angeboren, wir entwickeln es im Laufe unseres Lebens. Die Sexualität muss zeitlebens mit unseren sich verändernden Lebensbedingungen Schritt halten und sich wandeln. Lustlosigkeit kann eine Einladung sein, sich zu fragen, wo unsere Sexualität sich verändern und erweitern muss, um wieder zu unserem Leben zu passen.
Erfahre mehr zu Körperpsychotherapie und Paartherapie bei Marc Rackelmann: koerperpsychotherapie-berlin.de
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Du möchtest wissen, was du tun kannst, um deinem Partner entgegenzukommen und seine Lust zu steigern? Sieben Tipps gibt es in unserem Artikel Lustloser Mann.