Corona hat die Welt auf den Kopf gestellt – und mit ihr unser Dating-Leben. Wie geht es Singles in der Pandemie und wie kommen wir da durch?
Dating und Corona: Wir brauchen "Knuffelcontact"
Als die Zahl der Corona-Neuinfektionen in Belgien Anfang November ihren Höchststand erreichte, reagierte die Regierung mit strengen Kontaktbeschränkungen: Belgier*innen sollten nur noch Mitglieder des eigenen Haushaltes treffen – plus eine weitere feste Person, den "Knuffelcontact". "Knuffeln" bedeutet übersetzt so viel wie "umarmen", "kuscheln" oder auch "knutschen". Und steht damit für genau das, was vielen von uns gerade fehlt. Auch in Deutschland darf man inzwischen nur noch maximal eine haushaltsfremde Person treffen und sollte dabei die Zahl der Kontakt-Haushalte konstant und klein halten.
Der Corona-Winter ist für Singles besonders hart
Während sich zu Beginn der Corona-Krise noch jeder zweite Single über die gewonnene Me-Time freute, ist die Luft nun langsam raus. Wir haben uns genug selbst reflektiert und Bananenbrote gebacken. Schon ohne Pandemie sind der Januar und Februar nicht die einfachsten Monate für’s Gemüt, doch dieses Jahr können wir uns nicht einmal mit schönen Aktivitäten ablenken. Gefühlt wird es tagelang überhaupt nicht hell und man möchte sich am liebsten im Bett verkriechen – aber eben nicht allein. Und so swipen wir fleißig auf Online Dating-Plattformen – denn wo sonst sollte man im letzten Jahr überhaupt Irgendjemanden kennenlernen?
50 Prozent suchen online eine feste Beziehung
Rund die Hälfte der angemeldeten Nutzer*innen zwischen 20 und 40 verfolgen laut einer aktuellen Studie der Dating-App Bumble ernste Absichten. Viele Singles haben keine Lust mehr auf Spielchen. "Hardballing" nennt Bumble diesen Trend: Man weiß, was man will, und verbringt keine Zeit mit jemandem, der nicht auf der gleichen Wellenlänge ist. Aus der Studie geht außerdem hervor, dass 15 Prozent der Nutzer*innen sogenannte "New Dawn Daters" sind. Also Personen, die ihre Beziehung in Folge der Pandemie beendet haben und jetzt bereit sind, neue Menschen kennenzulernen. Laut der Partnervermittlung LemonSwan ist für 81 Prozent der Singles besonders der Wunsch nach Nähe ein Grund, in Corona-Zeiten verstärkt auf Online-Partnersuche zu gehen.
Slow Dating bleibt Trend
Ein Trend, der schon seit Beginn der Corona-Zeit zu beobachten ist, ist das "Slow Dating" – und das beschreibt genau das, wonach es klingt: Durch die Kontaktbeschränkungen nehmen sich Online-Dater*innen mehr Zeit, einander kennenzulernen, telefonieren vielleicht erst einmal oder haben erste Dates via Video-Chat bevor sie entscheiden, ob sie sich zu einem persönlichen Treffen verabreden möchten. Bereits im ersten Lockdown beobachtete Single-Experte und Coach Eric Hegmann, dass die Gespräche und Nachrichten auf Online Dating-Plattformen häufig tiefsinniger wurden, Singles sich mehr Zeit nahmen, passende Partner*innen anzuschreiben und sich auszutauschen. Beinahe alle gängigen Plattformen bieten inzwischen auch direkt in der App eine Funktion zum Video-Chat an.
Soziale Interaktion ist ein Grundbedürfnis
Das Bedürfnis nach sozialer Interaktion, also nach einer Partnerschaft, Freund*innen und Zugehörigkeit, ist tief im Menschen verankert. Soziale Bedürfnisse gehören laut der Bedürfnishierarchie nach Maslow zu den "Defizitbedürfnissen". Diese müssen befriedigt sein, damit ein Mensch überhaupt etwas wie Zufriedenheit empfinden kann. Über den sozialen Bedürfnissen stehen nur die physiologischen Bedürfnissen wie Hunger, Durst, Schlaf aber auch Sexualität und das Bedürfnis nach Sicherheit, das zum Beispiel eine Wohnung, einen Arbeitsplatz und Einkommen einschließt. Es ist also nicht verwunderlich, dass die fehlenden sozialen Kontakte vielen Menschen, die durch die Pandemie nicht gerade in Existenzängste geraten sind, am stärksten zu schaffen machen.
Ganz natürlich: Der Körperkontakt fehlt
Nun könnte man sagen, dass wir heute mehr Möglichkeiten als jemals zuvor haben, um uns zumindest digital nah zu sein. Stimmt – wir können andere Menschen im Video-Chat sehen und hören, gemeinsam lachen und uns austauschen. Doch wir können sie nicht berühren, dabei ist auch das unglaublich wichtig. Der sensorische Sinn des Menschen wurde in der Forschung lange unterschätzt. Unsere Haut ist unser größtes und sensibelstes Sinnesorgan, sie enthält Millionen Berührungsrezeptoren. Diese senden bei angenehmen Berührungen Signale ans Gehirn, das daraufhin das Glücks- und Bindungshormon Oxytocin (auch Kuschelhormon genannt) produziert. Und Oxytocin ist ein wahres Wundermittel: Es reduziert Stress und sorgt dafür, dass wir uns wohlfühlen. Das Hormon spielt zum Beispiel auch bei Müttern vor, während und nach der Geburt eine wichtige Rolle, da es die emotionale Bindung zum Neugeborenen fördert. Beim Sex wird Oxytocin ausgeschüttet und sorgt für ein starkes Verbundenheitsgefühl zur Partnerin oder zum Partner.
Auch alltägliche Berührungen fallen weg
Durch die Kontaktbeschränkungen haben wir nun seit beinahe einem Jahr so gut wie alle "alltäglichen" Berührungen eingebüßt. Bereits bevor das Coronavirus Deutschland erreichte, sehnten sich laut einer Studie der TU Dresden 72 Prozent der Studienteilnehmer*innen zwischen 18 und 56 Jahren nach mehr Umarmungen, Streicheln, Küssen aber auch zufälligen Berührungen und Händeschütteln als sie in der Woche vor der Befragung tatsächlich erhalten haben. Während der Pandemie dürfte die Zahl noch einmal deutlich gestiegen sein.
Wenn Singles mehr möchten als Spaziergänge
Alles, was man stereotypisch als "Vorteile des Singlelebens" beschreiben würde, ist in Corona-Zeiten nicht drin. Ausgehen, flirten, neue Menschen treffen, unverbindlicher Sex – im Moment undenkbar. Insbesondere Frauen in den 30ern, die einen Kinderwunsch haben und auf Partnersuche sind, plagt zum Teil die zusätzliche Sorge, durch die Corona-Pandemie Zeit zu verlieren. Doch egal ob wir die/den Partner*in für’s Leben oder eine unverbindliche Romanze suchen, aktuell steht bei vielen Singles die Angst vor einer Infektion mit dem Coronavirus im ständigen Konflikt mit dem Bedürfnis nach Nähe. Und das strengt an, denn niemand möchte sich und andere mutwillig gefährden. Trotzdem müssen wir auch in Corona-Zeiten unsere psychische Gesundheit im Blick behalten und, wie die belgische Regierung mit Einführung des "Knuffelcontacts", auch Nähe als Grundbedürfnis anerkennen.
Singles müssen sich eher rechtfertigen
Ob man seine Partnerin oder seinen Partner während der Pandemie weiterhin trifft, auch wenn diese*r nicht dem gleichen Haushalt angehört, wurde eigentlich nie diskutiert (Fernbeziehungen in Verbindung mit Corona-bedingten Reisebeschränkungen mal ausgenommen). Und da in monogamen Partnerschaften in der Regel sowieso nicht mit anderen Menschen gekuschelt geschweige denn geschlafen wird, hat sich in Sachen Körperkontakt für Pärchen wenig verändert. Singles hingegen müssen sich häufig rechtfertigen, wenn sie ihrem Bedürfnis nach körperlicher Nähe nachgehen – wenn nicht vor anderen, dann zumindest vor sich selbst. Und tatsächlich muss man sich natürlich fragen, wen man da eigentlich trifft. Wie viele Kontakte hat die Person? Vertraue ich ihr? Ist dieser Kontakt notwendig für mich? Denn jede Begegnung bedeutet ein Risiko.
"Lockdown Lover" oder große Liebe
Am sichersten wäre es jetzt natürlich, die große Liebe kennenzulernen, sich gemeinsam einzuschließen und erst nach der Pandemie wieder das Haus zu verlassen. Aber ganz so einfach ist das ja bekanntlich nicht. Trotzdem sollten wir aktuell möglichst schon vor einem persönlichen Treffen abklären, wie viele Kontakte die andere Person pflegt und überlegen, ob wir uns damit wohlfühlen. Die Pandemie fordert schon zu einem viel früheren Zeitpunkt im Dating-Prozess ein hohes Maß an Kommunikation und Vertrauen. Das kann anstrengend sein, aber auch ziemlich hilfreich. Denn ganz ehrlich – wer hier blöd reagiert und sich unverantwortlich zeigt, wird diese Facetten wahrscheinlich auch noch in ganz anderen Situationen zum Ausdruck bringen. Und dann können wir uns direkt zweimal überlegen, ob diese Person wirklich unser "Knuffelcontact" sein soll.
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