Impostor-Syndrom: Wer am Hochstapler-Syndrom leidet, der fühlt sich im Job unzulänglich, verbunden mit dem Gefühl aufzufliegen. Was dahinter steckt und was man tun kann.
Impostor-Syndrom: Wer sich im Job oft unzulänglich fühlt, hat vielleicht das Impostor-Syndrom. Mit der Frage, warum man es bekommt, landet man bei der Überlegung, wie Frauen an sich glauben sollen, wenn die Welt nicht an sie glaubt. Aber auch bei der hoffnungsvollen Nachricht, dass offener Austausch und Coaching-Strategien helfen, das Hochstapler-Gefühl zu überwinden.
Impostor-Syndrom: Das Gefühl, im Job aufzufliegen
"Was mache ich hier eigentlich? Kann ich das? Irgendwann wird denen doch auffallen, dass sie mich maßlos überschätzt haben..." Fast alle Menschen kennen diese Gedanken, fast alle stellen die eigenen Fähigkeiten im Laufe ihrer Karriere einmal infrage. Manifestiert sich jedoch das Gefühl von "Irgendwann fliege ich auf", sprechen wir vom Hochstapler- oder (international) Impostor-Syndrom.
Die Psychologin und Beraterin Myriam Bechtoldt vermutet den Ursprung des Syndroms in der Kindheit. Kinder, deren Eltern ihnen nicht genug Selbstwert vermitteln konnten, entwickeln oft die Annahme, dass sie Liebe und Anerkennung nur über Leistung erwerben können. Das verursacht Druck, begleitet von Versagensängsten. Oder das Gegenteil ist der Fall: Kinder, denen vermittelt wurde, dass sie in allem gut sind und keinerlei Fehler machen, wurden nicht auf die reale Welt vorbereitet. Sie müssen zwangsläufig erkennen, dass auch sie scheitern und anderen unterliegen können. Beide Erfahrungen rütteln nachhaltig am Selbstwert.
Impostor-Syndrom: Kommt bei Männern und Frauen vor
Das Hochstapler-Syndrom beschränkt sich nicht auf Menschen mit Depression oder Minderwertigkeitskomplexen. Im Gegenteil: Manche meinen, es ein "Syndrom" zu nennen, werde der schieren Zahl an Betroffenen nicht gerecht, immerhin betreffe es 70 Prozent aller Menschen mindestens einmal im Leben.
Das Impostor-Syndrom wird immer wieder im Zusammenhang mit Frauen genannt, dabei zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, dass fast genauso viele Männer davon betroffen sind. Allerdings gehen die anders damit um. Eine Studie von Rebecca Badawy an der Youngstown University in Ohio ergab, dass Frauen (nach eigenen Angaben) in Erwartung einer Beurteilung oder eines negativen Feedbacks zwar ängstlicher sind als Männer, sich davon aber zu besseren Leistungen anspornen lassen. Männer mit Impostor-Syndrom hingegen strengen sich bei Aussicht auf Negativ-Feedback weniger an und resignieren eher. Als Begründung stellt die Studie in den Raum, dass Männer traditionell mit einem höheren Erwartungsdruck konfrontiert werden und somit mit stärkeren Versagensängsten zu kämpfen haben.
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Das sind die Ursachen des Syndroms?
Das führt zu der Frage: Wie geht es jenen modernen Frauen, denen heute Leistung auf allen Ebenen abverlangt wird und die sich über Social-Media-Kanäle ständig mit Unerreichbarem konfrontiert sehen? Und das in einer Welt, in der sie kontinuierlich strukturell benachteiligt werden? Die britische Journalistin Yomi Adegoke beschäftigt sich mit den systemischen Ursachen des Syndroms: "Es wird Zeit, dass wir das Problem nicht darin sehen, dass Frauen nicht an sich selbst glauben, sondern darin, dass wir in einer Welt leben, die sich weigert, an Frauen zu glauben."
Apropos Problem: Wie problematisch ist das Hochstapler-Syndrom wirklich? Ist es nicht vielmehr charmant und am Ende vorausschauender, lieber ein wenig tiefzustapeln? Die Antwort lautet Jein. Denn wer seine Ideen für sich behält, aus Angst, sich lächerlich zu machen, kann auch nicht positiv au allen, sein Potenzial nicht ausschöpfen und sich nicht selbst verwirklichen. Und – wer sich immer wieder in Selbstzweifel und Grübelei vertieft, steht sich selbst im Weg. Beides führt zwangsläufig zurück zu Gefühlen der Unzulänglichkeit: „Ich kriege einfach nichts gebacken. Ich komme nicht vorwärts. Bald merken es auch die anderen. Ein Teufelskreis.
"Es wird Zeit, dass wir das Problem nicht darin sehen, dass Frauen nicht an sich selbst glauben, sondern darin, dass wir in einer Welt leben, die sich weigert, an Frauen zu glauben."
Yomi Adegoke, britische JournalistinTweet
So unterschiedlich sind die Herangehensweisen
Menschen, die sich für Hochstapler halten, haben laut US-Unternehmenscoach Melody Wilding zwei Herangehensweisen an tägliche Herausforderungen. Die einen sind fleißig und sorgfältig, sie bereiten alles akribisch vor, überlassen nichts dem Zufall. Sind diese Menschen erfolgreich, sehen sie sich in ihrer Art bestätigt und werden immer akribischer. Für sie ist nichts gut genug – man hätte es stets noch besser machen können.
Die anderen prokrastinieren. Statt zu arbeiten, sorgen sie sich, malen sich aus, wie sie versagen, sich blamieren und abgelehnt werden. Für sie ist es einfacher, sich vorsichtshalber gleich kleinzumachen und der zwangsläufigen Enttäuschung bewusst zuvorzukommen. Wenn diese Menschen trotzdem erfolgreich sind, lassen sie ihren Erfolg nicht gelten. "Das war Glück. Ich habe nichts dazu beigetragen." Geht die Sache tatsächlich schief, verurteilen sie sich hart: "War doch klar, dass das nicht funktioniert. Ich bin faul und obendrein unfähig." Es gibt auch Betroffene, die zwischen beiden Herangehensweisen hin- und herspringen. Egal welchen Weg man wählt,
das Resultat bleibt dasselbe: "Ich habe diesen Job nicht verdient. Ich kann nichts. Und bald wissen das auch alle anderen.
So klappt das Ausbrechen aus dem Teufelskreis
Wilding hat sich auf die Beratung sogenannter High-Achiever spezialisiert und
ist darüber zu einer Expertin für das Impostor-Syndrom geworden. Sie hat konkrete Tipps, wie man aus dem Teufelskreis ausbrechen kann, aber findet vor allem wichtig, sich vor Augen zu führen: "Diese Neigung zum ‚Verkopfen‘ ist keine Schwäche, sie ist ein wertvolles Talent. Und genau das kann man nutzen, um sich aus der negativen Spirale zu befreien."
Erkennen, benennen, umformulieren – das ist Wildings Taktik (siehe auch Beispiele links). Folgende Situation: Sie haben ein neues Projekt übertragen bekommen, sind kurz davor, in ein Meeting zu gehen. Ihre negativen Gedanken überschlagen sich. Das haben Sie erkannt. Was passiert? Generalisieren Sie? Malen Sie schwarz? Lesen Sie fremder Leute Gedanken? Formulieren Sie die Gedanken jetzt um. Was würde Ihre beste Freundin, die vertraute Kollegin jetzt sagen?
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So kann man dem Syndrom entgegensteuern
Psycholog*innen und Coaches sind sich einig: Reden hilft! Es hilft zu wissen, dass Menschen, die man für höchst kompetent hält, auch an dem Syndrom leiden: Kolleginnen, Vorgesetzte, Freundinnen. Selbst Albert Einstein soll das Impostor-Syndrom gehabt haben. Sowie Tavi Gevinson, Emma Watson und Sheryl Sandberg. Also: austauschen!
Darüber hinaus kann man lernen, Komplimente anzunehmen. Dabei hilft, sich nicht immer klein zu reden. Keine Tiefstapeleien à la "Ach, das war nur so ein spontaner Gedanke." Keine Entschuldigungen wie "Mit mehr Zeit hätte ich das noch besser hingekriegt." Es lohnt sich, das "Danke, das freut mich!" zu üben. Mit etwas Geduld wird man es verinnerlichen.
Ein Erfolgstagebuch kann helfen
Ein Erfolgstagebuch kann den Selbstwert unterstützen: kleine und große Erfolge, jedes Kompliment, jedes gute Feedback aufschreiben. Das hilft, sich durch die Augen der anderen und damit objektiver zu beurteilen. Es kann auch ein nützliches Nachschlagewerk sein, wenn ein Feedbackgespräch oder eine Gehaltsverhandlung anstehen und die inneren Dialoge schon wieder ins Negative schliddern. Angriff kann außerdem die beste Verteidigung sein: Du zweifelst an deiner Performance? Fordere Feedback ein, frage nach, übernimm die Kontrolle. Dann kann es nicht so überraschen.
Und wenn all diese Ansätze greifen, werde ich dann irgendwann denken: "Ich verdiene meinen Erfolg, ich verdiene diesen Job, ich verdiene die Anerkennung?" Passiert dann also das Gegenteil, der sogenannte Dunning-Kruger-Effekt: Ich werde zu einem Menschen, der weniger kann, als er meint, der sich also extrem überschätzt? Keine Sorge, sagt Melody Wilding: "Wer am Hochstapler-Syndrom leidet, wird nie wirklich ein Hochstapler sein. Das liegt in der Natur des Phänomens."
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