Entscheidungen zu treffen und unser Leben selbst in die Hand nehmen zu können ist eigentlich etwas Positives. Aber die schiere Menge an Entscheidungen, die wir jeden Tag treffen, kann uns auch überfordern und zu einem Phänomen namens Decision Fatigue oder Entscheidungsmüdigkeit führen.
Decision Fatigue – wenn wir es leid sind, Entscheidungen zu treffen
Pro Tag treffen wir Menschen etwa 20.000 Entscheidungen – was wir zum Frühstück essen, was wir auf die wichtige E-Mail in der Inbox antworten oder welche Serie uns durch den Feierabend begleitet. Das kann einen ziemlich schlauchen und sogar zum Phänomen Decision Fatigue, auf Deutsch Entscheidungsmüdigkeit, führen. Das ist vor allem dann der Fall, wenn wir zu viele Entscheidungen treffen müssen und uns durch diese Menge überrannt fühlen. "Das bedeutet, je mehr Entscheidungen man trifft, desto schwerer wird es, zusätzliche Entscheidungen zu treffen", erklärt Dr. Rashmi Parmar, Psychiaterin für Kinder und Erwachsene in einem Interview. In weiterer Folge könne das dazu führen, dass wir entweder aufgeben und die Entscheidung gar nicht treffen oder aber eine irrationale und impulsive Entscheidung treffen.
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Auch zu viele Optionen können zu Decision Fatigue führen
Nicht nur zu viele Entscheidungen auf einmal, sondern auch zu viele Wahlmöglichkeiten können uns entscheidungsmüde machen. Und davon haben wir in unserer modernen Welt schließlich genug. Alleine wenn es ums abendliche Unterhaltungsprogramm geht, stehen wir vor einer Vielzahl an Optionen. Der Streaming-Gigant Netflix bot beispielsweise im April 2020 in Deutschland mehr als 4.000 Filme an. Kein Wunder also, dass viele von uns sich der Entscheidung ganz entziehen und stattdessen lieber immer nur dieselben Bücher, Serien und Filme konsumieren.
"Habe ich Decision Fatigue?" Anzeichen für Entscheidungsmüdigkeit
Decision Fatigue kann jede:n betreffen, unabhängig von der restlichen mentalen Verfassung. Wenn wir über längere Zeit zu viele Entscheidungen treffen müssen und aufgrund der großen Anzahl an Optionen überfordert sind, verspüren wir es irgendwann als Last, uns zu entscheiden. Es gibt einige Anzeichen, die darauf hinweisen, dass du entscheidungsmüde geworden bist und dir schwer damit tust, die kleinen und großen Entscheidungen des Alltags zu treffen.
- schwindende Konzentrationsfähigkeit und das Gefühl, nicht mehr klar denken zu können
- das bewusste oder unbewusste Vermeiden von Aufgaben, bei denen man Entscheidungen treffen muss
- häufige Prokrastination (Aufschieben von Tätigkeiten, die dringend erledigt werden müssen, umgangssprachlich auch Aufschieberitis genannt)
- Impulsivität
- das Gefühl, überwältigt zu sein
- körperliche Symptome wie Kopfschmerzen, Erschöpftheit, schlechter Schlaf
- ein Gefühl von Unzufriedenheit bei jeder Entscheidung, die du getroffen hast
- anhaltende Gereiztheit
- du brauchst sehr lange, um dich zu entscheiden
Was ist der Unterschied zwischen Unentschlossenheit und Decision Fatigue?
Natürlich gibt es auch Menschen, die nicht mit Entscheidungsmüdigkeit zu kämpfen haben, sondern generell unentschlossen sind. Das sind aber zwei völlig unterschliedliche Dinge, erklärt Dr. Parmar: "Während Decision Fatigue ein mentaler Erschöpfungszustand ist, der eintritt, wenn man in einer bestimmten Zeit eine Reihe von Entscheidungen trifft, ist Unentschlossenheit ein Charakterzug, der von der chronischen Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen, kommt". Unentschlossenheit sei für gewöhnlich eine Folge eines niedrigen Selbstvertrauens, so die Psychiaterin.
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Endlich wieder gute Entscheidungen treffen – so überwindest du das Phänomen Decision Fatigue
Die gute Nachricht: Man kann Decision Fatigue mit einigen Strategien überwinden.
Tipp 1 – Weniger Entscheidungen treffen: Leichter gesagt als getan. Um Entscheidungen wieder gerne und auch rational treffen zu können, ist dieser Schritt aber notwendig. Versuche, pro Tag nur etwa 3-4 größere Entscheidungen zu treffen. Wenn du dich auch von kleineren Entscheidungen erschöpft fühlst, kann es helfen, deinen Alltag für eine bestimmte Zeit daran anzupassen. Stresst dich das morgendliche Auswählen deiner Garderobe etwa, kannst du dir einige wenige Kleidungsstücke heraussuchen, die gut zueinander passen und musst morgens nicht lange überlegen, was du anziehst.
Tipp 2 – Triff wichtige Entscheidungen am Vormittag: Wichtige Entscheidungen solltest du treffen, wenn deine Energiespeicher noch voll sind, also eher morgens oder am Vormittag. Versuche, wichtige Meetings in diesen Zeitraum zu verlegen und triff, je weiter der Tag voranschreitet, nur noch leichtere Entscheidungen.
Tipp 3 – Mach mal Pause: Achte darauf, dass du über den Tag genug Pausen machst, genug trinkst und dich gesund ernährst. Nur so kannst du dich ausreichend konzentrieren.
Tipp 4 – Hol dir Hilfe: Wenn du das Gefühl hast, die Last einer Entscheidung erdrückt dich, hol dir Hilfe von deinem Partner oder deiner Partnerin oder frag eine:n deiner Kolleg:innen nach ihrer Meinung.
Tipp 5 – Folge einer Routine: Fällt es dir schwer, dich zu entscheiden, kann eine Routine dir helfen, Struktur in deinen Tag zu bringen. So musst du zumindest für einige Routineaufgaben oder Fixpunkte in deinem Alltag (Haushalt, Kochen, Sport) keine Entscheidungen mehr treffen. Ein Wecker auf deinem Handy kann dir dabei helfen, die Routine zu festigen.
Tipp 6: Vermeide impulsive Entscheidungen: Bevor du dich im Stress für etwas entscheidest, das du später bereuen wirst, mach lieber eine Pause und verschiebe die Entscheidung. Besonders bei wichtigen Angelegenheiten solltest du dir die Zeit nehmen, darüber nachzudenken.
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