Für viele von uns ist die eigene Identität eng mit dem Job verknüpft. Unsere Autorin befürchtet: Wenn wir so weitermachen, legen wir den Grundstein für eine Burnout-Pandemie. Und hat sich vorgenommen: sie will endlich damit aufhören, sich über ihren Job zu definieren.
Party-Smalltalk ist nicht jedermanns Sache – völlig zurecht. Über Belangloses zu plaudern, ohne den oder die Gesprächspartner:in zu langweilen, aber gleichzeitig kritische Themen wie Politik oder gesellschaftliche Debatten zu umschiffen, ist alles andere als leicht. Die meisten von uns, inklusive mir, setzen in solchen Situationen deshalb auf ein sicheres Pferd: den eigenen Job. Die Frage, was das Gegenüber eigentlich beruflich so macht, kommt meistens auf, sobald man kurz darüber geplaudert hat, woher man die Gastgeberin oder den Gastgeber eigentlich kennt und dass das Wetter wirklich ungewöhnlich für die Jahreszeit ist – nachdem die dankbarsten Smalltalkthemen also abgegrast sind.
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Dass wir das tun, sagt nichts über unsere mangelhaften Plauderkenntnisse aus, sondern ist vielmehr ein subtiles Anzeichen dafür, dass unser Selbstwert und unsere beruflichen Leistungen immer mehr verschmelzen. Dass eine hohe Position in einem Unternehmen und der damit einhergehende Stress nicht mehr nur berufliche Selbstverwirklichung, sondern allen voran Statussymbole sind.
"Burnout droht die nächste Pandemie zu werden"
Den eigenen Beruf zu lieben und stolz auf seine Leistungen zu sein, ist natürlich etwas Positives. Aber wenn wir anfangen, unseren Wert über unsere berufliche Tätigkeit zu definieren, ist das der Beginn einer Abwärtsspirale, aus der man nur schwer entkommen kann, fürchte ich. Denn um das Gefühl zu haben, gut genug zu sein und stolz auf uns sein zu dürfen, lasten wir uns immer mehr Verantwortung, To-dos und Stress auf.
Auch die Erwartungshaltung von Arbeitgeber:innen, strukturelle Bedingungen in Unternehmen, Fachkräftemangel und die verschwimmenden Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben haben einen erheblichen Anteil daran, dass die Zahl von Burnout-Betroffenen konstant steigt und es aller Voraussicht nach auch weiter tun wird. "Burnout droht die nächste Pandemie zu werden", warnt Alain Dehaze, CEO des Personaldienstleisters Adecco. Und wir steuern bereits darauf zu: Wie eine aktuelle Studie herausgefunden hat, ist bereits jetzt jede:r zehnte Arbeitnehmer:in in Deutschland süchtig nach der eigenen Arbeit.
Insgeheim sehnen wir uns danach, gebraucht zu werden
Das Erschöpfungsgefühl, das aus dieser ständigen Belastung heraus entsteht, wollen wir wiederum bekämpfen – auch das kostet Kraft. Vor allem, wenn wir uns dabei selbst im Weg stehen, es aber nicht wahrnehmen. Denn in Wahrheit bereitet es den meisten von uns ein positives Gefühl, unverzichtbar im Unternehmen zu sein, gebraucht zu werden. Bis wir unter dieser Last zusammenbrechen. Doch selbst dann klammern wir uns oft noch am Glaubenssatz fest, dass es niemanden gibt, der unsere Aufgaben so gewissenhaft erledigt wie wir.
Hier noch schnell ein Meeting, da noch ein To-do, das man unmöglich weitergeben kann. Der Gedanke, für alles verantwortlich sein zu müssen, weil niemand es so gut hinkriegt wie wir, setzt uns enorm unter Druck. Sich von dieser Last zu lösen bedeutet auch, sich von der Vorstellung zu verabschieden, man sei in seinem Beruf unersetzbar und unabdingbar. Denn das stimmt schlichtweg nicht.
Wir alle sind austauschbar im Job
Das hört sich vielleicht dramatisch an, aber jede:r ist austauschbar, zumindest im beruflichen Kontext. Sich das einzugestehen kann erstmal schwierig und gegen die eigenen Werte gerichtet sein – vor allem in einer Gesellschaft, in der viele darauf getrimmt sind, dem Job einen extrem hohen Stellenwert zuzuweisen. Aber im Endeffekt ist es eine riesige Erleichterung.
Wenn wir verinnerlichen, dass unser Workload und unsere Leistungen im Berufsleben uns nicht als Mensch definieren, haben wir nämlich endlich wieder Zeit und Kraft, uns unserem eigenen Leben abseits der Arbeit zuzuwenden – und damit den Dingen, die uns tatsächlich ausmachen. Und was den nächsten Smalltalk, der bestimmt kommen wird, angeht: Vielleicht erzähle ich dann, anstatt mich gleich mit meinem Berufstitel vorzustellen, einfach mal von mir und dem, was mich sonst so ausmacht. Oder diskutiere doch über Politik – mal sehen.
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