Ein Burnout brodelt meist schon lange, bis es zum wirklichen Ausbruch kommt. "Ich kann nicht mehr" ist das Gefühl, was dann die Gedanken beherrscht.
Wenn Körper und Seele erschöpft sind
Die Zahlen von psychischen Krankheiten und Burnout steigen an. Menschen laufen monate-, manchmal jahrelang auf Hochtouren, bis sie schließlich zusammenbrechen. Einfach nicht mehr können, nicht mehr wollen. Körper und Seele halten die Belastung nicht mehr aus, der ständig unterdrückte Hilferuf dringt nun auch nach außen.
Die Geschichte von Kerstin M. ist beispielhaft für eine Überlastung, die zum Dauerzustand wird. Mit Hilfe einer Reha fand sie in Leben und Job zurück. Ihr Burn-out kam schrittweise, bis es schließlich zum Ausbruch führte. Doch der ist auch der Beginn einer Heilung und Reise zum eigenen Selbst.
"Ich kann nicht mehr" – ein Zusammenbruch hat meist eine lange Vorgeschichte
Der Zusammenbruch kommt im November 2010. Kerstin M., die als Finanzbuchhalterin und Produktionerin in einer Werbeagentur arbeitet, gerät mit ihrem Chef wie so oft heftig aneinander. Doch anders als bei den Auseinandersetzungen zuvor, kann sie dieses Mal gar nicht mehr aufhören zu brüllen. Und dann nicht mehr aufhören zu weinen.
"Es war, als hätte ich meinen Körper verlassen, als wäre das nicht ich. Es war ein Gefühl, als würde ich mir selbst zuschauen, wie ich komplett in mir zusammen sacke."
Heute, fast drei Jahre später, hat Kerstin M., 35-jährige Mutter von zwei Kindern, einen klaren Blick auf die damaligen Ereignisse. Präzise rekonstruiert sie ihren Krankheitsverlauf: "Ich fühlte mich schon viele Monate vorher sehr unruhig und seltsam. Wir waren 2008 mit den Kindern von Leipzig nach Dresden gezogen, wo wir mit viel Ärger und Streit ein Haus bauten. Ich war rastlos, hibbelig, voller Tatendrang und immerzu unzufrieden und auf der Suche. Mit meinem erlernten Beruf als Buchhalterin war ich sehr unglücklich. Nicht ich, sondern meine Eltern hatten ihn nach meinem Schulabschluss für mich ausgesucht. Als man mir in der Werbeagentur, in der ich nach unserem Umzug angefangen hatte zu arbeiten, anbot, halbtags in der Produktion mitzuarbeiten, war ich happy: Endlich bot sich die Möglichkeit, die verhassten Zahlen hinter mir zu lassen und zu beweisen, was ich wirklich konnte."
Die Firma wächst, die Aufgaben auch
Doch die Realität sieht anders aus. Die Firma wächst rasant und bald schon muss Kerstin M. für doppelt so viele Angestellte vormittags die gesamte Lohn- und Finanzbuchhaltung erledigen und Monatsabschlüsse machen. Auch für Sekretariatsaufgaben wird sie eingespannt. Mittags kümmert sie sich um ihre neuen Aufgaben als Produktionerin. Sie arbeitet mit an wichtigen Kundenprojekten, holt Angebote ein, fährt zu Druckereien, erstellt Konzepte und Präsentationen, richtet Veranstaltungen aus und absolviert deutschlandweit die Messebesuche für die Firma. Nebenbei gestaltet sie die Firmenterrasse.
Seele, Gesundheit und Umfeld leiden
Kerstin M. bekommt chronische Kopfschmerzen und schläft immer seltener eine Nacht durch. Der Gedanke, etwas Wichtiges vergessen zu haben auf der Arbeit, hält sie wach. Gegenüber ihrer Familie ist sie gereizt. Weil sie so oft schreit, haben ihre Kinder Angst vor ihr, ihre Ehe steht kurz vor dem Zusammenbruch. Immer öfter ist ihr jetzt schwindelig, auf dem linken Ohr hört sie seit Neuestem schwer. Herzrasen, Appetitlosigkeit, Konzentrationsstörungen - als es am 30. November 2010 zum Zusammenbruch kommt, ist Kerstin M. mit ihren körperlichen und geistigen Kräften am Ende. Erst im Rückblick erkennt sie, wie anstrengend die damalige Zeit für sie war: "Ich war taub für meine Seele. Die eindeutigen Signale, die mir mein Körper gesendet hat, habe ich ausgeblendet. Stattdessen war ich immer sehr freundlich und fröhlich, galt als Tausendsassa und 'Everybodies Darling'. Ich war verrückt gekleidet und immer auf der Suche nach dem Ahhh und Ohhh meiner Kollegen. Wie anstrengend das ist mit einem halb fertigen Haus, zwei kleinen Kindern, einem Rechtsstreit an der Backe und einem Mann, der durchschnittlich sechs Tage die Woche arbeitet, wollte und konnte ich damals nicht wahrhaben."
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Antidepressiva und wöchentlicher Termin beim Psychologen
Kerstin M. hat Glück. Ihre Mutter kann ihr einen Termin bei einer befreundeten Psychologin verschaffen, die im folgenden Jahr einmal die Woche mit ihr arbeiten wird. Ein Neurologe verschreibt ihr noch am selben Tag Antidepressiva und überweist sie für mehrere Wochen an eine psychiatrische Tagesklinik. Hier erarbeitet sich Kerstin M. in vielen Therapiestunden das Ziel, auf einen beruflichen Wechsel hinzuarbeiten. Ihr ist klargeworden, dass sie mit dem von den Eltern für sie ausgesuchten Beruf als Finanzbuchhalterin nicht ihren Frieden machen kann. Mit Unterstützung ihrer Therapeuten und Psychiater beantragt Kerstin M. bei der Rentenversicherung eine berufliche Rehabilitationsmaßnahme. Relativ schnell bekommt sie die Rückmeldung, dass man über den Antrag erst entscheiden wird, wenn sie sich einer medizinischen Reha-Maßnahme unterzieht. Ihr wird die Dr. Becker Burg-Klinik in Stadtlengsfeld vorgeschlagen, wo Kerstin M. im Januar 2012 ihre Rehabilitation antritt.
Medizinische vs. berufliche Reha
Über ihren sechswöchigen Aufenthalt in der Burg-Klinik sagt sie heute im Rückblick, dass es das Beste war, was ihr passieren konnte. Denn im Gegensatz zur beruflichen Reha, die auf rein jobbezogene Trainings- oder Umschulungsmaßnahmen setzt, um die Erwerbsfähigkeit zu sichern, fokussiert die medizinische Reha auf die Behandlung der Erkrankung, die der drohenden Erwerbsminderung zugrunde liegt, im Fall von Kerstin M. Angst in Verbindung mit einer Depression. Sie nimmt an der Angststörungsgruppe teil und hat das Glück, an einen sehr engagierten und emphatischen Oberarzt zu geraten, der ihr mittels Hypnotherapie wieder ein Gefühl für die eigenen Stärken gibt. Sie fasst Mut und gewinnt Selbstvertrauen zurück.
Raus aus allen häuslichen Sorgen
Kerstin M., die anfangs gar nicht von ihrer Familie getrennt sein wollte, beginnt die Vorzüge einer stationären Reha zu sehen. "Ich war komplett raus aus allen häuslichen Sorgen und alltäglichen Verpflichtungen. Eingebettet und geschützt wie in einer 'Burg' hatte ich Zeit über mich und mein Leben nachzudenken und Pläne zu machen. Aus dem wahnsinnig vielschichtigen Angebot an Therapiemöglichkeiten bekommt man einen auf sich zugeschnittenen Plan mit Maßnahmen. Ich lernte immer mehr loszulassen und über meine Grenzen hinauszugehen. Je mehr ich mich auf dieses Abenteuer einließ, umso besser ging es mir. Tag für Tag."
Als Kerstin M. nach sechs Wochen aus der Dr. Becker Burg-Klinik nach Hause kommt, sagen ihr ihre Kinder, dass sie das Gefühl haben, dass eine neue Mama nach Hause gekommen ist.
Die Zeit nach der Reha
Nach der Reha setzt Kerstin M. ihre neu gewonnene berufliche Perspektive in die Tat um und reicht in ihrer Werbeagentur die Kündigung ein. Da sie aus gesundheitlichen Gründen und auf Anraten ihrer Ärzte kündigt, hat sie keine Sperrzeit seitens der Agentur für Arbeit. Den Urlaubsanspruch, den ihr Chef ihr noch auszahlen muss, nutzt sie für eine Weiterbildung im medizinischen Bereich. Ihr Antrag auf eine berufliche Rehabilitation wird seitens der Rentenversicherung und des Arbeitsamt abgelehnt. Trotz Schreiben ihrer Ärzte, die sie als nicht geeignet für ihren Beruf einschätzen, fällt das Gutachten der Agentur für Arbeit anders aus. M. gilt hier als vollschichtig arbeitsfähig in ihrem erlernten Beruf. Doch sie lässt sie nicht mehr entmutigen und hält an ihrem Ziel, ein Studium zum Heilpraktiker für Psychotherapie aufzunehmen fest.
"Ich bin dankbar für die Erfahrungen"
Sie glaubt jetzt wieder an ihre Fähigkeiten. M. engagiert sich in der Hospizarbeit und bewirbt sich als Quereinsteigerin auf eine Teilzeitstelle in der Pflege in einem Seniorenheim. Im März 2013 unterzeichnet Kerstin M. ihren Arbeitsvertrag und den Studienvertrag für einen Abendstudiengang an einer Heilpraktiker Schule. Ab September 2013 wird sie eine Ausbildung zur Krankenschwester beginnen.
Jahre nach ihrem Zusammenbruch geht es Kerstin M. nach eigener Einschätzung besser als je zuvor. "So absurd es vielleicht klingen mag, ich bin für den 30. November 2010 und die darauf folgenden zwei Jahren, die tollen Menschen, die meinen Weg kreuzten und auch die vielen bitteren Erfahrungen sehr dankbar. Wenn man es zulässt, bekommt man viel Hilfe und Zuspruch - aber das Entscheidende muss von einem selbst kommen." Das hat Kerstin M. gelernt.
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