Stresssymptome spüren wir jetzt fast alle – schließlich stellt uns die Corona-Krise vor neue Herausforderungen. Wie können wir akuten Stress jetzt etwas reduzieren? Businesscoach Doris Ehrhardt gibt euch Methoden und Tipps zur Stressbewältigung an die Hand.
Stresssymptome erkennen und abbauen! So bekommst du akuten Stress in den Griff
Die Coronakrise schüttelt alle Lebensbereiche durch. Laufend müssen wir uns auf etwas Neues einstellen, zu Hause, im Job, in unserer freien Lebensweise. Vieles ist ungewiss und unsicher. Das stresst, das lächeln wir nicht einfach weg, das sollten wir auch nicht schönreden. Aber wir können stressige Situationen in den Griff kriegen. Hier kommen kleine Übungen und Anregungen, die dazu beitragen können, akuten Stress zu reduzieren und heil durch diese herausfordernde Corona-Phase zu kommen. Such dir aus, was zu dir passt!
Je nach Persönlichkeit erleben wir Situationen unterschiedlich und gehen auch unterschiedlich damit um. Was dich aufregt, lässt deine Kollegin kalt. Also passen auch die Übungen und Anregungen nicht für jeden Stresstyp. Was dir nutzt und was nicht, findest du übers Ausprobieren heraus. Wichtig: Die Übungen richten sich nicht an Menschen mit psychischer Erkrankung oder Burnout, sondern sie eignen sich für Menschen, die psychisch gesund sind, Stress allgemein gut bewältigen und jetzt mal wissen wollen, mit welchen simplen Maßnahmen sie sich stressfester machen können. Vor den meisten Übungen steht ein Absatz "Das soll es bringen". Darin erkläre ich kurz den Hintergrund der Übung, weil sie erfahrungsgemäß besser funktioniert, wenn der Übende weiß, wozu sie gut sein soll und was dabei passiert.
Das passiert bei Stress im Menschen
Du hast schon zig mal gelesen, was bei Stress in dir abgeht? Du weißt, warum du auch mal austickst und rumbrüllst wie eine Vierjährige? Dann überspring die nächsten zwei Absätze.
Du willst erst noch verstehen, was bei Stress in dir passiert?
Dann machen wir jetzt einen Abstecher ins menschliche Gehirn: Mit Stress (genauer: Disstress) beschreiben wir die unangenehmen Empfindungen, die entstehen, wenn wir – meist unter Zeitdruck – geistig oder körperlich Situationen ausgesetzt sind, denen wir uns nicht gewachsen fühlen. Unser Nervensystem reagiert auf bedrohlich wirkende Situationen so, als ginge es wie in der Steinzeit ums Überleben. Psyche und Körper setzen der Gefahr eine volle Packung an Reaktionen entgegen – von beschleunigtem Herzschlag über angespannte Muskeln bis zur weitgehenden Abschaltung des logischen Denkens bei gleichzeitiger Schärfung der Sinne. Dazu werden Stresshormone (z.B. Kortisol) ausgeschüttet. Zweck des Ganzen: Wir verwandeln uns in eine Kampfmaschine, die voll Power angreifen oder flüchten kann. Oder wir fallen in einen Totstellreflex. Ist die akute Gefahrensituation überstanden, sinkt der Pegel der Stresshormone wieder auf das Ausgangsniveau. Wenn wir aber eine ganze Stress-Serie haben, bleibt der Kortisolspiegel dauerhaft erhöht. Und das wirkt sich ungünstig auf unser Verhalten aus.
Warum? Das Frontalhirn, mit dem wir Situationen emotional einschätzen, ist durch eine Übererregung beeinträchtigt – und es wird wahrscheinlicher, dass wir kopflos reagieren.
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Stress triggert ein Notfallprogramm
Akuter Stress ist wie eine schnelle Fahrstuhlfahrt durch die Systeme im Gehirn, immer tiefer – hin zu entwicklungsgeschichtlich älteren Hirnbereichen. Auf dieser Fahrt werden erst Gefühle wie Angst und Wut ausgelöst. Darauf reagieren wir in unseren gewohnten Reaktionsmustern. Greifen die nicht, rutschen wir tiefer ab, bis wir in alten Mustern aus der Kindheit landen: schreien, toben, brüllen oder heulen. Oder alles zusammen.
Unser archaisches Notfallprogramm kennt drei Abläufe: angreifen oder flüchten oder erstarren. Haben wir einen Konflikt mit Menschen, kommen die Optionen "Angriff" oder "Flucht" in der Regel nicht in Frage. Also gehen wir in die Erstarrung. Auf die Anspannung muss eine Entspannung folgen, damit wir wieder ins Lot kommen.
Simpel starten
Du kannst in Stress-Situationen deinen Körper und deine Gedanken beeinflussen – hier sind ein paar Übungen zum Ausprobieren. Wenn du das Gefühl hast, eine Übung passt zu dir, mach sie täglich, auch an ruhigen Tagen. Dann hast du sie bei Bedarf auch tatsächlich parat. Setz' dich nicht unter Erfolgsdruck, sondern nimm' sie im Wortsinn als Übung.
Übungen gegen körperliche Anspannung: Lass die Muskeln spielen!
Das soll es bringen: Als Reaktion auf Stress stellt der Körper der Muskulatur Energie zur Verfügung – wirst du dann nicht aktiv, sondern verharrst regungslos, wird die Energie von der Muskulatur nicht verwendet. Man spürt diese Energie als innere Unruhe, Aufregung und Nervosität. Den erhöhten Muskeltonus erlebt man als Anspannung. Mit dieser Übung verwertet man die aktivierte körperliche Energie tatsächlich, wandelt sie in Muskelarbeit um, und die Anspannung löst sich. Ein Nebeneffekt ist, dass man auch seine Wahrnehmung umlenkt.
So geht's:
- Nimm dir etwa zehn Minuten Zeit.
- Setz dich bequem hin oder leg dich hin.
- Balle die rechte Hand zur Faust.
- Spanne die Faust ganz fest an, so fest, dass die Spannung in jedem einzelnen Finger und auch in der Handfläche zu spüren ist.
- Atme ruhig weiter.
- Spanne zusätzlich den rechten Unterarm an. So fest wie möglich! Noch fester! Atme normal.
- Halte die Anspannung in Faust und Unterarm ca. 30 Sekunden.
- Spanne die rechte Faust und den rechten Unterarm kurz noch stärker an.
- Lass die rechte Hand und den Unterarm schlagartig locker und achte dabei auf den Übergang von der Anspannung zur Entspannung.
- Wiederhole das Vorgehen etwa sechsmal, und zwar mit unterschiedlichen Körperteilen: dem linken Arm, dem rechten Fuß, dem linken Fuß, dem rechten Oberschenkel, dem linken Oberschenkel etc. Diese Übung klingt komplizierter, als sie ist. Wenn du das Prinzip verinnerlicht hast, fällt sie dir leicht.
Bauchatmung-Technik
Das soll es bringen: Es ist unmöglich, mit dieser Bauchatmung sehr schnell zu atmen, also zu hyperventilieren, weil die Bauchdecke eine gewisse Zeit braucht, um sich zu heben und zu senken.
So geht's:
- Lege in Höhe des Bauchnabels eine Hand locker auf den Bauch.
- Atme so ein, dass sich die Hand beim Einatmen weit mit nach außen bewegt. Drücke den Bauch ganz weit heraus.
- Atme wieder aus und ziehe den Bauch beim Ausatmen ganz weit ein.
- Wiederhole alles etwa fünfmal.
Technik des verlängerten Ausatmens
Das soll es bringen: Unter Stress verändert sich unser Atmen. Atme deshalb bewusst ein und aus. Achte dabei besonders darauf, wirklich alle Luft auszuatmen. Mit dieser Technik vertieft und verlangsamt sich die Atmung, man atmet freier; ruhige Atmung führt zu besserer Sauerstoffversorgung und indirekt zu einem Zustand von Ruhe. Indem du deinen Atem kontrollierst, gewinnst du auch wieder Kontrolle für dich zurück.
So geht's:
- Konzentriere dich auf das Ausatmen.
- Atme möglichst tief aus – und puste fff durch die Lippen.
- Sorge dafür, dass in der letzten Atemphase die gesamte Luft aus dem Bauchraum ausgeatmet wird - lass mit fff bis zum letzten Fitzelchen die Luft raus.
- Das Einatmen läuft reflexhaft ab.
- Wiederhole alles dreimal, nicht öfter.
Übungen gegen Stressgedanken
Das soll es bringen: Der Trick bei diesen Übungen ist, dass man zwar nicht die Umstände ändert, aber anders über sie denkt. Wir haben die Wahl, wie wir eine Situation bewerten. Sinnigerweise besteht das chinesische Schriftzeichen für Krise aus zwei Teilen: einer steht für Gefahr, einer für Chance. Zum Beispiel kann ich es als Bedrohung meiner Ressourcen interpretieren, dass ich jetzt Home Schooling für mein Kind organisieren und Hilfslehrerin spielen muss. Oder ich sehe das als Möglichkeit, etwas Neues zu lernen und mehr Zeit mit dem Kind zu verbringen. Nimm die heikle Situation, wie sie ist. Akzeptiere sie. Bewerte sie nicht. Wenn du die Situation von einer Bewertung trennst, verhinderst du, dass dein Kopfkino loslegt und sich eine nervige Szene nach der anderen ausdenkt. Durch die Entkopplung bekommst du mehr gedanklichen Spielraum, und der Stress lässt nach.
Übung: Gedankenspirale durchbrechen
Gedanken sind Gedanken, nicht die Realität. Manchmal macht man sich übermäßig Sorgen und steigert sich hinein. "Ich werde schwer erkranken! Die Isolierstation wird überfüllt sein! Niemand wird mir helfen können! Ich werde jämmerlich sterben!" Wenn solche Gedanken kommen, nimm sie nur wahr und lass sie dann wieder ziehen wie einzelne Wolken. Gib ihnen nicht die Macht, dich zu ängstigen. Dabei hilft dir, deine Aufmerksamkeit mit allen Sinnen in die Gegenwart zu richten: Höre zum Beispiel die Vögel zwitschern, rieche den Duft deiner Tasse Tee, schmecke den frischen Apfel. Oder lenke deine Gedanken in eine andere Richtung. Versuche zum Beispiel, im Geiste alle Möbelstücke deiner Wohnung durchzugehen und zähle alle Lampen auf, die sich in der Wohnung befinden.
Übung: So absurd, dass es schon wieder lustig ist
Wenn bereits der Morgen mit der Familie chaotisch verlief und die Stimmung gereizt ist: Akzeptiere, dass der Start in den Tag in die Hose gegangen ist. Wenn du es fertigbringst, dir jetzt eins zu grinsen, weil die Situation absurd und genau in die nicht-gewollte Richtung gedriftet ist, kommst du dir zwar in den ersten Sekunden doof vor, trotzdem linderst du die Spannung. Ein inneres Lächeln signalisiert deinem Gehirn, dass es dir gut geht und es bedankt sich mit einer Sendung Glückshormone. Manchen Menschen hilft in einer missratenen Szene auch, wenn sie laut zu sich selber sagen: "Bravo, genau so habe ich es gewollt."
Übung: Provozier' den Stresser in dir!
Beginnst du den Tag schon mit Stressgedanken, dann schreibe dir einen Zettel, auf dem in etwa steht: „Heute habe ich endlich die Gelegenheit, so richtig Stress zu produzieren! Ich bin so was von entschlossen! Keine halben Sachen mehr! Voller Stress voraus! Das wird heute der totale Burner!“ Indem du deine Gedanken bewusst auf eine Eskalationsstufe schickst, hast du das Steuer in der Hand und kannst umsteuern. Und hoffentlich über dich selber lachen.
Übung: Denk dreimal nach!
Denke an drei positive Aspekte deines Lebens, die du für selbstverständlich hältst, zum Beispiel „Ich habe ein Dach über dem Kopf“. "An unserem Wohnort herrscht Frieden“. „Ich habe eine gute Ausbildung“. Oder denke an drei positive Aspekte, die der Tag schon mit sich gebracht hat. "Ich konnte mit meiner Mutter telefonieren." "Beim Bäcker gab es mein Lieblingsgebäck." „Ich habe mir die Wimpern getuscht, ohne zu klecksen."
Übungen gegen spontanen Ärger
Das soll es bringen: Hier geht es nicht um Selbstbetrug, sondern darum, dass du deine Stimmung bewusst steuerst. Nimmst du eine positive, aktive Haltung ein, dann empfängt das Gehirn Signale, dass es dir gut geht, und schüttet Glückshormone aus.
Übung: So tun, als ob…
Ein blöder Kommentar hat dir die Stimmung verhagelt? Tu für eine halbe Stunde, als hättest du gute Laune, und die Botschaft kommt tatsächlich im Gehirn an. Das fällt leichter, wenn du auch räumlich Abstand zum Problem gewinnst, also das Zimmer verlässt oder an die frische Luft gehst. Das heißt natürlich nicht, dass du bei einem Streit kommentarlos grinsend verduftest. Gib dem Anderen lieber Bescheid, dass du dich jetzt ganz undramatisch eine halbe Stunde aus der Situation rausnimmst. Allein schon durch einen Ortswechsel milderst du die belastende Situation ab.
Aktivübung: Koordiniere dich um
Das soll es bringen: Die Koordination in dieser Übung erfordert so viel Aufmerksamkeit, dass der Fluss deiner Gedanken unterbrochen wird und du mit einer frischen Einstellung wieder aufstehst.
So geht's:
- Setz dich auf einen Stuhl.
- Klopfe sanft mit der flachen Hand auf den Kopf, kreise gleichzeitig mit der anderen Hand auf dem Bauch.
- Mach das eine Minute lang.
Anregung zum Vermeiden übermäßiger Sorgen: Informiere dich gut
Wer sich unentwegt lauter schlechte Nachrichten zur Ausbreitung des Coronavirus reinzieht, füttert seine Ängste vor Ansteckung und Krankheitsverlauf. Der Berufsverband deutscher Psychologen spricht dazu eine klare Empfehlung aus: "Versorgen Sie sich mit aktuellen Informationen zum Krankheitsgeschehen - aber nicht dauernd. Wer unentwegt nach neuen Nachrichten im Internet sucht, beschäftigt sich laufend mit seinen Ängsten und vergrößert sie noch."
Anregungen zur Eindämmung eines Lagerkollers
- Halte dir vor Augen, dass diese Stress-Situation nur eine Phase ist. Phasen haben ein Ende. Die durch die Coronakrise bedingten Einschränkungen haben ein zeitliches Ende.
- Mit einem Vertrauensvorschuss kannst du auch die Zeit des Nicht-Wissens über den weiteren Verlauf der Coronapandemie und der wirtschaftlichen Auswirkungen überbrücken. Du brauchst nicht einmal optimistisch zu sein und zu denken: "Das geht bestimmt gut aus." Es reicht schon, wenn du denkst: Es kann gut ausgehen. Wir als Gesellschaft werden diese Krise meistern.
- Verbinde dich mit anderen. Körperlich müssen wir auf Abstand zu Menschen gehen, die nicht mit uns im selben Haushalt wohnen. Auf emotionale Nähe müssen wir nicht ganz verzichten. Wir sind soziale Wesen und brauchen einander. Ängste nehmen ab, wenn wir uns mit anderen Menschen verbinden. Such das Gespräch mit anseren. Es muss nicht die beste Freundin sein, es reicht schon, überhaupt mit jemandem zu reden. Auch mal über etwas anderes als Corona. Ihr könnt euch Anekdoten erzählen oder positive Erlebnisse, etwa, wie ihr Nachbarn geholfen habt oder einer Mitarbeiterin in einem Laden eine Freude gemacht habt.
- Entlaste dich von hohen Erwartungen. Wenn du noch keinen Grund gesehen hast, vom Drang nach Perfektionismus loszulassen, dann hast du jetzt einen. Jetzt ist nicht die Zeit für ideale Lösungen und optimales Performen, sondern für Pragmatismus und Nachsicht, auch mit sich selbst.
- Gönn' dir im Tagesverlauf echte Pausen. Mach nach Möglichkeit jede Stunde fünf Minuten das, was dir guttut. Deine Musik hören. Augen zu und an etwas Schönes denken. Wenn du die fünf Minuten nicht hast, brauchst du die Pause umso nötiger. Nimm sie dir, sonst fehlt sie dir. "Tu was für dich" sagt dir wahrscheinlich jeder. Und es stimmt. Warte nicht, dass eventuell andere auf die Idee kommen.
- Sorge dafür, dass du dich wohlfühlst, wo du dich aufhältst. Und wenn du dafür eine halbe Stunde deine Arbeit unterbrechen und Möbel umstellen oder dir die Haare färben musst. Du wirst danach besser arbeiten, und am Ende zählt das Ergebnis.
- Verbiete dir deine Gefühle nicht, sondern verleih ihnen Ausdruck. Die Coronakrise ist eine Belastung, und es ist normal, dass du sie als Belastung empfindest. Weine, schrei den Wald an, wirf ein Kissen gegen die Wand. "Lass' es raus!" klingt platt, hilft aber, solange du hinterher im übertragenen Sinn keine Scherben aufsammeln musst.
- Zeig dich solidarisch. Und wundere dich nicht, wenn sich alte Menschen anders verhalten, als du es für richtig hältst. Für sie ist die Krise besonders belastend. Ihr persönliches Erkrankungsrisiko ist erhöht. Sie kennen Isolation und Hamsterkäufe noch aus der Kriegszeit, bei ihnen brechen alte Wunden auf. Sie fühlen sich einsam und sehen einen Einkauf als Chance, unter Menschen zu kommen. Nicht ideal, aber menschlich. Verständnis füreinander wirkt entspannend und ansteckend.
Zur Autorin: Doris Ehrhardt ist zertifizierter Business Coach. Sie gibt Coachings und Trainings zur Stärkung der Soft Skills, speziell in Hinblick auf New Work. Schwerpunkte: Selbst- und Stressmanagement, Kommunikationsfähigkeit, Führungskompetenz, Selbstsicherheit bzw. Persönlichkeit.