Toxische Nostalgie? Das gibt's? Ja, man kann sich auch zu sehr in der Vergangenheit verlieren – und sein gegenwärtiges Glück aufs Spiel setzen.
Menschen lieben Nostalgie. Wir tragen gerne Klamotten von früher, hören Musik von früher, schauen Filme und Serien von früher. Daran ist doch nichts falsch, oder? Prinzipiell erst mal nicht. Allerdings kann Nostalgie auch toxisch werden, wenn man sich etwas zu sehr in der Vergangenheit verliert.
Denn wir tendieren dazu, die Vergangenheit zu romantisieren und glorifizieren. Wenn man an früher denkt, denkt man immer eher an die schönen Momente als an die schlechten. Ihr kennt das: "Die gute alte Zeit". Dabei war die Zeit damals gar nicht so gut, das redet uns unser Gehirn nur ein.
Der Festival-Effekt
Nennen wir es den Festival-Effekt: Nach den Musikveranstaltungen erinnert man sich schließlich auch nicht an die verdreckten Dixi-Klos oder dass man die meiste Zeit bis zu den Knien im Matsch gestanden hat. Nein, wenn man an Festivals zurückdenkt, denkt man an die unvergesslichen Gänsehaut-Momente während der Konzerte, an die tolle Zeit mit Freund:innen. Genau das passiert auch, wenn man an früher denkt, an die Kindheit oder Jugend. Alle Matsch-Momente werden vom Gehirn ausradiert.
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Nun könnte man denken: Ist doch toll, wenn man sich vor allem an die schönen Momente von damals erinnert. Ja, aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Denn wenn wir zu oft in die Vergangenheit zurückschauen, fangen wir an, sie mit der Gegenwart zu vergleichen – und die schneidet natürlich nicht so gut ab, wenn man "die gute alte Zeit" mit ultimativer Glückseligkeit gleichsetzt. Trauert man der Vergangenheit zu sehr hinterher, hält man sich selbst davon ab, im Hier und Jetzt glücklich zu sein.
Toxische Nostalgie: Wenn die Vergangenheits-Sehnsucht Überhand nimmt
"Hach, noch mal so jung und naiv sein wie früher!" Den Gedanken hatten wir wahrscheinlich alle schon mal, wenn wir uns alte Fotos angeschaut haben. Man redet sich ein, dass das Leben damals leichter war, weil man eben noch so unerfahren war, nicht so viel wusste. Dass man damals vielleicht gar nicht so happy war, wie das breite Grinsen auf dem Foto suggeriert, kommt uns nicht in den Sinn. Ehe man sich versieht, gesellt sich zur Nostalgie dann auch noch das Gefühl der Melancholie. Wenn nostalgische Gefühle auf Dauer mit melancholischen Gefühlen verknüpft werden, wird es kritisch.
Tatsächlich hat sogar eine Studie bewiesen, dass Menschen, die sich einsam und traurig fühlen, eher dazu neigen, in (scheinbar) schönen Erinnerungen zu schwelgen. Sie suchen Trost und Glücksgefühle in der Vergangenheit, statt sich darauf zu konzentrieren, die Gegenwart zu verbessern. Da ist sie, die toxische Nostalgie. Das Denken an früher wird in dem Moment toxisch, in dem du dir die Vergangenheit zurückwünschst, weil du das Hier und Jetzt nicht mehr ertragen kannst. Wenn du das Gefühl hast, du kannst in der Gegenwart gar nicht glücklich werden, solltest du dir vielleicht bei einem Therapeuten oder einer Therapeutin Hilfe suchen.
War früher wirklich alles besser?
Klar kann es auch guttun, in Erinnerungen zu schwelgen. Es ist wie mit allem im Leben: In Maßen ist Nostalgie toll. Es spricht nichts dagegen, sich alte Fotos anzuschauen oder seine Lieblingslieder von früher anzuhören. Aber erinnere dich daran, dich selbst zu ermahnen, sobald dein Gehirn anfängt, mit Floskeln à la "Damals war die Welt noch in Ordnung" um sich zu werfen. "Früher war alles besser" – wirklich? Als Frauen noch nicht wählen durften und Homosexualität unter Strafe stand? Nimm das, toxische Nostalgie!
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