Optimistisch zu sein ist absolut berechtigt: Denn der Zustand der Welt hat sich in vielen Bereichen verbessert. Weil Menschen daran glauben, dass Veränderung möglich ist. Warum wir die Lage trotzdem oft schlechter beurteilen, als sie ist – und wie man wieder zuversichtlich werden kann.
Kurze Frage: Hat sich der Anteil der Weltbevölkerung, der in extremer Armut lebt, in den letzten 20 Jahren a) verdoppelt, b) halbiert oder c) ist er gleich geblieben? Die richtige Antwort lautet: Er hat sich halbiert. Doch nicht nur das. Heute sind 80 Prozent der einjährigen Kinder weltweit geimpft, und in Ländern mit niedrigem Einkommen gehen inzwischen 60 Prozent der Mädchen zur Schule. Das sind die Fakten. Aber als der inzwischen verstorbene schwedische Wissenschaftler Hans Rosling mehrere Tausend Menschen nach ihrer Einschätzung zu solchen Dingen bat, waren die allermeisten davon überzeugt, dass die Situation viel düsterer sei, als sie tatsächlich ist. In Deutschland hatten zum Beispiel die Frage nach der Armut nur sechs Prozent richtig beantwortet.
Unser Gehirn ist viel pessimistischer, als es den Fakten nach sein müsste
„Früher war alles besser!“ Wir alle kennen diesen Spruch. Doch viele der Ängste und Sorgen, all das Schwarzsehen, haben oft wenig mit der Realität zu tun, stellte Rosling immer wieder fest (nachzulesen in seinem Bestseller „Factfulness: Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist“). Sein Fazit: Sie ist in einem viel besseren Zustand, als einige glauben.
Roslings Buch ist wichtig. Auch weil diejenigen, die Trump oder die AfD gewählt haben, zu oft von irrationalen Ängsten getrieben seien – was wiederum dem Rest der Gesellschaft Angst macht. All das zusammen fühlt sich manchmal an wie ein Knoten aus begründeter und unbegründeter Furcht, die uns einzeln, aber auch als Gesellschaft immer wieder verzagen lässt.
Wir dürfen nie den Glauben an das Gute verlieren
Aber gerade damit das Elend in der Welt weniger wird, gerade damit man sich den Dingen entgegenstellt, die wirklich schlimm sind, ist es wichtig, nicht den Glauben an das Gute zu verlieren, Haltung zu zeigen.
Doch was hält uns eigentlich von der Zuversicht ab, dass alles schon irgendwie gut wird? Psycholog:innen sehen den Grund dafür in der sogenannten „Verlustaversion“. Der Begriff besagt, dass wir dazu neigen, Verluste, auch potenzielle, stärker zu gewichten als Gewinne. So ärgern wir uns beispielsweise mehr darüber, wenn wir 100 Euro verlieren als wenn wir 100 Euro gewinnen. Damit lässt sich übrigens auch erklären, warum man sich oft nicht trennt, obwohl man unzufrieden in seiner Beziehung ist. Die Angst, die wenigen guten Dinge, etwa Vertrautheit, zu verlieren, wiegt schwerer als die Aussicht auf ein mögliches größeres Glück mit einem anderen Partner.
Verlustängste behindern den sozialen Aufstieg
Wie stark Verlustängste unsere Entscheidungen beeinflussen (Gehe ich ins Ausland? Wechsele ich den Job?) ist individuell unterschiedlich. Doch sie prägen auch die Gesellschaft als Ganzes. So behindern sie zum Beispiel sozialen Aufstieg, sagen Soziolog:innen. Eltern, die nicht studiert haben, raten ihren Kindern erstaunlich oft, lieber eine Ausbildung zu absolvieren. Das Studium ist in ihren Augen ein Risiko. Der Gewinn, den es verspricht, lockt weniger als die Angst vor finanzieller Unsicherheit, wenn es vielleicht nicht klappt wie geplant.
Wer alle Risiken meidet, verpasst viel Gutes
Das zeigt ganz gut: Indem wir uns auf den möglichen Verlust konzentrieren, vermeiden wir nicht nur Risiken, sondern wir verpassen auch viel Gutes, wenn wir zu verzagt in die Zukunft schauen. Das beobachten auch Ökonom:innen. So hat der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Colin F. Camerer das Verhalten von New Yorker Taxifahrer:innen beobachtet und dabei festgestellt, dass ihr Einkommen täglich schwankte. Ökonomisch sinnvoll wäre es, an den Tagen, an denen sie viel Geld verdienen, an denen also die Nachfrage hoch ist, länger zu arbeiten, um damit die Tage, an denen sie niedrig ist, zu kompensieren. Aber was haben die Taxifahrer:innen gemacht? Sie setzten sich ein tägliches Umsatzziel und an Tagen, an denen die Nachfrage niedrig war, fuhren sie viel länger, um es zu erreichen. Vielleicht sind wir alle zu sehr wie diese Taxifahrer: verbissen in Dinge, die nicht funktionieren, und dadurch blind für den Weg, der tatsächlich zu Verbesserung führen könnte.
Unser eigener Pessimismus ist oft unbegründet
Was kann man also tun? Verlustaversion ist irrational – das zu wissen ist wichtig. Denn nur so kann man sich selbst immer wieder vor Augen führen, wie unbegründet der eigene Pessimismus oft ist. Deshalb ist auch der Weg sinnvoll, den Rosling mit seiner „Factfulness“ vorschlägt: sich an Fakten zu halten und mit einer gesunden Portion Realismus auf die Dinge zu schauen. Es gibt in der Verhaltenstherapie eine Übung, bei der wird allen, die sich vor einer wie auch immer gearteten Prüfung oder Herausforderung fürchten, geraten, sich die Tatsachen aus der eigenen Vergangenheit vor Augen zu führen: Wie viele Prüfungen hast du schon abgelegt? Und wie oft hast du da bestanden? Das relativiert die Prüfungsangst oft erheblich.
Ein realistischer Blick auf die Blick ist wichtig – mit all den positiven News
Für uns als Gesellschaft heißt das: Bücher wie das von Rosling können helfen, ein realistisches Gesamtbild vom Zustand der Welt zu bekommen. Oder: mehr positive Nachrichten zu lesen wie beispielsweise bei Portalen wie positive.news oder perspective-daily.de - die malen ja nichts schön, sie fügen nur den negativen Nachrichten die positiven hinzu und komplettieren damit das Zerrbild, das wir uns sonst von der Welt machen würden.
Außerdem hilft häufig schon ein Blick in die direkte Umgebung: das Weiten des eigenen Fokus. Wer also vielleicht gerade entsetzt ist, weil er plötzlich Unmengen sexistischer Kommentare auf Facebook liest und sich fragt, ob all der Protest dagegen etwas bringt, der sollte sich vor Augen führen: Ja, das ist offenbar ein Problem. Aber auch: Ja, es gibt genauso Menschen, die nicht so sind, und die sind auch hier. Kurz: Entgegen des häufigen Ratschlags, sich unbedingt aus seiner Filterblase herauszubegeben, sollte man genau das tun, um sich in den entsprechenden Posts von Freunden mit Zuversicht versorgen zu lassen.
Wir fürchten nicht die Veränderung, sondern den Verlust
Man weiß schon lange: „People don’t fear change, they fear loss“, Menschen haben keine Angst vor Veränderung, Menschen haben Angst vor Verlust. Was bedeutet: Zuversicht ist wichtig. Wenn sie da ist, sind wir bereit, Dinge zu verändern. Dafür muss man noch nicht mal ein echter Optimist werden – es reicht, „Possibilist“ zu sein, jemand, der an Möglichkeiten glaubt. Wie Hans Rosling. „Die Menschen nennen mich oft einen Optimisten, weil ich ihnen den Fortschritt zeige, der ihnen nicht bewusst war. Das macht mich wütend. Ich bin kein Optimist! Das klingt naiv. Ich bin ein sehr ernsthafter Possibilist.“ Den Begriff hat er selbst geprägt und beschreibt damit jemanden, der weder grundlos hofft noch grundlos Angst hat. „Als Possibilist sehe ich den Fortschritt und das erfüllt mich mit der Überzeugung, dass weiterer Fortschritt möglich ist. Das ist nicht optimistisch. Das ist eine klare und rationale Sichtweise darauf, wie die Dinge wirklich sind. Es ist eine Weltsicht, die konstruktiv und nützlich ist.“ Das sollten wir auch wollen. Gerade jetzt.
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