Je mehr Sex wir haben, desto besser werden wir, egal ob mit Partner:in oder mit uns selbst – das sagt zumindest Expertin Dania Schiftan. Im Interview verrät sie, wie wir lernen, wie es geht, und vor allem: was wir wollen.
Psychotherapeutin und Sexologin Dania Schiftan im Interview
Guter Sex ist einfach nur Übungssache? Sollte Sex nicht ganz natürlich von selbst passieren? Psychotherapeutin und Sexologin Dania Schiftan ist davon überzeugt, dass Sex wie jedes andere Hobby funktioniert: Je mehr wir üben, desto mehr Spaß macht es uns. Diesen Ansatz verfolgt Dania Schiftan schon seit 13 Jahren in ihrer Praxis und hat mehrere Bücher darüber geschrieben. In ihrem neuesten Buch "Keep it coming" gibt sie Frauen und Männer konkrete Tipps und Übungen, wie wir unser liebstes Hobby genauso effizient üben wie das Tanzen, Joggen oder Musizieren. Im Interview erklärt sie, wie uns dieser Ansatz ein erfülltes, energetisierendes Sexleben ermöglicht. Nachmachen erwünscht!
EMOTION: Wenn man frisch verliebt ist, hat Sex diese energetisierende Wirkung. Kann ich diese Wirkung wiederbeleben?
Dania Schiftan: Dazu muss man verstehen, warum das am Anfang so einfach ist, belebenden Sex zu haben und später schwerer. Den Körper kann man sich dabei als ein Oben und ein Unten vorstellen. Oben sind die Emotionen, die bei frisch Verliebten richtig intensiv sind. Diese Aufregung überträgt sich wie ein Echo auf das Unten, also das Geschlecht. Nach einiger Zeit, oft nach sechs oder neun Monaten, beruhigt sich das wieder. Was gut ist, weil wir in diesem Aufregungszustand gar nicht funktionieren würden. Wenn Menschen aber diese Aufregung brauchen, um Erregung zu empfinden, dann fehlt ihnen das später beim Sex.
Was kann man dann tun?
Jeder Mensch erlernt ja seine Sexualität. Wir können also auch lernen, die Erregung nicht nur durch die emotionale Aufregung zu erfahren, sondern auch durch das Geschlecht selbst. Also durch Streicheln, Drücken, Ziehen und so weiter. Dann ist die Erregung unabhängig von der Verliebtheit. Und wenn ich es dann hin kriege, mit meinem Partner zusammen oder auch allein mehr vom Sex beziehungsweise vom Geschlecht selbst zu spüren, dann habe ich auch ein größeres Interesse, das immer wieder zu erleben. Dann bin ich auch nicht darauf angewiesen, ob es genau das Richtige, am richtigen Ort und zur richtigen Zeit ist.
Das ist ja eigentlich ein häufiger Grund, warum Paare keinen Sex haben: Es passt immer irgendwie nicht.
Genau. Oft sagen auch Frauen, sie sind nicht in Stimmung, wenn es zum Beispiel vorher einen Streit gab. Aber die meisten Frauen machen auch die Erfahrung, dass egal wie wütend oder gestresst sie sind: Ein Vollbad ist immer eine gute Idee. Das tut immer gut, egal ob wir aufgebracht oder entspannt sind. Die Badewanne ist offensichtlich als Ressource hinterlegt.
Und so könnte auch der Sex sein?
Ja, dann wird Sex eben nicht als Aufwand angesehen. Und wir sind nicht angewiesen auf alle möglichen Faktoren. In den meisten Leben sind die eh nie gegeben.
Das heißt: Sex kann auch in langen Beziehungen belebend sein, wenn wir lernen, Sex unabhängig vom Drumherum zu genießen?
Das können Sie sich wie beim Joggen vorstellen: Wenn Sie anfangen, ist das total anstrengend und mühsam und Sie müssen sich total überwinden. Aber je mehr ich übe und trainiere, desto mehr mache ich die Erfahrung, dass ich in ein Flow Erlebnis komme. Und dieser Flow energetisiert natürlich. Obwohl es eine körperliche Anstrengung ist.
Warum gibt mir Sex überhaupt Energie?
Das ist auch dasselbe wie beim Joggen. Das ist ein Cocktail aus Glückshormonen, stärkere Durchblutung, erhöhter Puls und Neurotransmitter wie Serotonin und Adrenalin. Beim Sex kommt noch das sogenannte Kuschelhormon Oxytocin dazu, wodurch die Beziehung zu dem Partner gestärkt wird.
Viele Leute haben sich ein sexuelles Muster angewöhnt, bei dem sie viel aufwenden müssen: Muskelkraft, Konzentration, Präsenz. Gerade Frauen sagen, dass sie sich beim Sex ganz stark darauf konzentrieren müssen, damit ihre Erregung nicht weg geht.
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Muss Sex besonders anstrengend sein, damit diese ganzen Hormone ausgeschüttet werden und der Sex mich beschwingt?
Eigentlich nicht. Ich vergleiche das wieder mit dem Joggen: Das ist nicht belebend, wenn es besonders anstrengend ist. Sondern dann, wenn sie die perfekte Balance gefunden haben. Wenn Sie über ein gewisses Maß an Anstrengung drüber gehen, hat es einen gegenteiligen Effekt. Das ist auch genau das Problem. Viele Leute haben sich ein sexuelles Muster angewöhnt, bei dem sie viel aufwenden müssen: Muskelkraft, Konzentration, Präsenz. Gerade Frauen sagen, dass sie sich beim Sex ganz stark darauf konzentrieren müssen, damit ihre Erregung nicht weg geht. Sie finden es anstrengend, weil sie von der Umwelt abgelenkt werden, von Geräuschen im Kinderzimmer oder von Nachbarn. Oder weil sie die ganze Zeit davon abgelenkt werden, dass der Partner sie eben doch zu stark oder zu schwach oder an den falschen Stellen berührt. Sie versuchen dann die ganze Zeit, den Faden zu ihrer Erregung zu halten.
Wie kann ich das ändern?
Die meisten Menschen haben irgendwann ihr sexuelles Muster gelernt. Das entsteht oft im Kinderalter, wenn man mit der Selbstbefriedigung beginnt. Das machen viele über Spannung, Druck oder Vibration. Viele Frauen machen die Erfahrung, dass sie kommen, wenn sie flach auf dem Rücken liegen und an der Klitoris reiben und sich sonst kaum bewegen. Die ganze Konzentration ist auf die Klitoris gerichtet. Und erstaunlicherweise erwarten sie dann dieselbe Erregung oder dasselbe Gefühl mit einem Partner zusammen. Aber die Vagina haben sie in ihrer Selbstbefriedigung und Erregung nie mit einbezogen.
Warum ist das wichtig?
Wenn wir bei dem Vergleich mit dem Joggen bleiben: Das ist als wären sie beim Training mit einer VR-Brille gejoggt. Der Vergleich hinkt vielleicht etwas, aber Sie wissen was ich meine: Beim Training war der Körper mehr oder weniger passiv. Bezogen auf den Sex bedeutet das: Wenn beim Sex vor allem die Vagina stimuliert wird, dann sollten Sie auch bei der Selbstbefriedigung mit Vagina üben.
Also noch mal zusammengefasst: Je mehr ich mich und meinen Körper kennen gelernt habe und je mehr Übung ich hab, desto schöner wird es am Ende?
Genau. Und je vielfältiger die Übungen sind. Das ist wie bei einem Musikinstrument: Wenn ich Klavier spielen lerne, dann lasse ich mich am Anfang auch von der kleinen Schwester ablenken. Aber je besser ich werde, umso weniger kümmert es mich, was rundherum läuft. Dann kann ich auch in einem Duo oder in einem Orchester spielen. Da kann ich mich an die Spielweise der anderen anpassen. Aber je ungeübter ich bin und je verkrampfter ich spiele, desto mehr bin ich darauf angewiesen, dass die anderen genau das machen, was ich jetzt brauche.
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Wenn ich aus der Übung komme, weil ich zum Beispiel Single bin und lange keinen Partner hatte, mit dem ich belebenden Sex haben kann, sollte ich dann einfach alleine weiter üben?
Unbedingt. Das können Sie auch machen, wenn Sie in einer Beziehung sind. Man sagt ja auch bei Menschen, die Musikinstrumente spielen: Die meiste Übungszeit sollten Sie alleine verbringen. Ein Single hat demnach gar kein Nachteil. Außer er macht es sich bequem und holt immer nur das Lied hervor, was er eh schon kann, weil es so gut funktioniert.
Was könnte ein Single anstelle dessen machen?
Ein Single kann sich sagen: Wenn ich schon alleine bin, dann kann ich etliche verschiedene Melodien ausprobieren. Und es ist egal, wenn es schief geht. Auf den Sex übertragen heißt das ja: Als Single kann ich immer meine gewohnten Pornos schauen oder den Vibrator immer auf Stufe 2 stellen. Aber dann übe ich nichts, dann vertiefe ich das Lied, das ich schon kann.
Vermutlich weil dieses regelmäßige Üben wie eine Pflicht wirkt. Und Sex sollte ja etwas Freiwilliges sein.
Naja, aber im Erwachsenenalter müssen Sie ja nicht mehr Gitarre spielen oder joggen gehen. Das machen Sie, weil es Ihnen Freude bereitet. Deswegen sage ich den Leuten nie, sie müssen das üben. Ich sage den Leuten: Ihr könnt, wenn ihr wollt.
Wie lange sollte der Sex mit Partner:in sein, damit er mich belebt?
Viele Frauen brauchen tendenziell länger, um sich aufzuwärmen als Männer. Deswegen machen viele Paare die Erfahrung, dass das Timing eine schwierige Angelegenheit ist. Aber das Problem ist: Viele Menschen haben Sex so gelernt, dass sie ihn durchziehen, wenn sie erstmal angefangen haben. Das kann anstrengend sein.
Wie könnte man das ändern?
Indem man wieder mehr den Spaß beim Sex zulässt. Wie beim Musizieren: Da spielt man mal ein Lied, dann guckt man ein bisschen in der Gegend rum, spielt noch ein Lied, vielleicht noch mal dasselbe, oder man sucht sich ein neues Lied. Da hat man eigentlich auch die Freiheit, immer wieder zu überlegen. Es muss auch nicht jedes Lied der Brüller sein, es kann auch mal seichte Kaufhausmusik sein.
Beim gemeinsamen Musizieren schaut man ja immer mal, was der andere macht. Sollte man das auch beim Sex so machen?
Die meisten achten beim Sex nur noch auf den anderen. Nach dem Motto: Hauptsache ihm oder ihr gefällt's. Wenn der andere das auch macht, kann das gar nicht besonders leidenschaftlich werden. Viele Frauen haben dabei auch eine Erwartungshaltung und hoffen, dass der andere das richtig macht. Anstelle einfach zu sagen, was sie wollen. Weil sie Angst haben, den anderen zu beleidigen. Aber ich weiß nicht, was beleidigender ist: Dort zu liegen und sich zu ärgern oder zu steuern.
... aber wenn sie beginnt, die Vagina mit einzubeziehen, dann wird sie lernen, beim Sex zum Orgasmus zu kommen. Dann wird sie darauf nicht mehr verzichten wollen.
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Ist es eigentlich notwendig, einen Orgasmus zu haben, damit man sich danach belebt fühlt?
Auch da drehe ich mal die Frage um: Warum sollte ich denn keinen Orgasmus haben?
Naja, das passiert ja vielen Frauen.
Ja, aber warum? Weil sie es nicht gelernt haben. Wenn Selbstbefriedigung ohne Vagina gelernt ist, der Sex aber in der Vagina stattfindet, spürt sie natürlich nichts oder sehr wenig. Und dann stellt sie sich darauf ein, dass sie keinen Orgasmus haben kann. Aber wenn sie beginnt, die Vagina mit einzubeziehen, dann wird sie lernen, beim Sex zum Orgasmus zu kommen. Dann wird sie darauf nicht mehr verzichten wollen. Natürlich kann ich Sex ohne Orgasmus genießen. Aber warum sollte ich denn keinen haben?
Gute Frage.
Einige Sexualtherapien arbeiten ganz oft mit diesem Ansatz der Akzeptanz. Da sollen die Menschen akzeptieren, keinen Orgasmus zu haben und zu lernen, was sie sonst noch genießen. Das ist ja auch nicht schlecht. Lieber habe ich keinen Orgasmus und kann den Sex trotzdem genießen, als mich darüber auch noch zu ärgern. Aber wenn ich genussvollen Sex UND einen Orgasmus haben kann, dann nehme ich doch beides.
Ich glaube, viele Frauen verspüren oft diesen Druck, sie müssten einen Orgasmus haben, um guten Sex zu haben.
Ich glaube, es ist eher umgekehrt. Ich glaube, Frauen wünschten sich eigentlich einen Orgasmus, weil sie sehen, dass zum Beispiel ihr Partner es so einfach haben kann. Dann merken sie, dass es nicht so leicht ist und werden mit ihren vermeintlichen Unzulänglichkeiten konfrontiert. Auch im Vergleich zur Selbstbefriedigung, wo viele Frauen eben doch zum Orgasmus kommen.
Heißt das, es ist nur die Verantwortung der Frau, ob sie beim Sex mit Partner kommt oder muss der Partner auch schon ein bisschen wissen, was er tut?
Ja und nein. Es ist wieder wie beim Musikinstrument: Je breiter die Frau geübt hat, also mal langsam, schnell, weiter oben, weiter unten, mit Blase am Finger oder mit zu langen oder zu kurzen Fingernägeln – umso weniger spielt es eine Rolle, was der Partner macht. Andererseits habe ich als Profi auch mehr Spaß mit jemanden, der genauso variantenreicht ist und nicht eben einfach nur „Alle meinen Entchen“ spielen kann.
Warum kommen Männer eigentlich oft leichter beim Sex?
Was meinen Sie?
Weil die mehr geübt haben?
Natürlich. Bei Männern findet ja der Sex und die Selbstbefriedigung sozusagen am selben Ort statt. Es ist immer der Penis an dem sie reiben oder drücken und mit dem sie in die Vagina gehen. Männer bekommen dann eher Probleme, wenn sie ein Kondom überziehen, weil sie das nicht gewohnt sind. Oder wenn die Frau sehr feucht ist. Männer sagen dann, die Frau sei zu weit. Aber das ist natürlich Quatsch. Die Reibung entspricht nur einfach nicht mehr dem, was sie mit der Hand machen.
Das klingt alles sehr einleuchtend.
Ja, was aber noch wichtig ist zu verstehen: Es klingt simpel – und an sich ist es das auch! Aber es braucht schon eine gewisse Zeit, um etwas zu verändern. Ich muss überhaupt erstmal umdenken und alte Denkweisen ablegen. Und dann brauche ich Zeit um zu üben.
Wenn ich jetzt etwas ändern möchte, wie könnte ich anfangen?
Das erste ist, zu verstehen: Ich könnte etwas verändern, wenn ich will. Viele machen die Erfahrung, dass sie nicht kommen können. Aber wir sind beim Sex nicht einem Schicksal ausgeliefert. Gerade Frauen haben schon immer die Message bekommen: Naja, ist halt nicht so für Frauen das Ganze. Aber das stimmt nicht, und das finde ich mega cool. Als nächstes können Sie eine Bestandsaufnahme machen: Was funktioniert für mich? Wo könnte ich für eine Veränderung ansetzen? Und dann können Sie mein Buch lesen und die Übungen darin Schritt für Schritt durchgehen.
Das ist ungewöhnlich, dass im Rahmen eine Sexualtherapie gesagt wird: Es gibt ganz konkrete Übungen, die könnt ihr machen und dann wird’s besser.
Genau, in einigen Therapieansätzen wird gesagt: Es liegt an Erfahrungen in der Kindheit, es ist der falsche Partner oder Traumata von denen Sie selbst nicht mal eine Ahnung haben. Manchmal ist das genau der richtige Weg, um ein Thema anzugehen. Ich bin ja auch Psychotherapeutin und weiß, dass das sicherlich einen großen Einfluss haben kann. Ein alternative Sichtweise ist, dass man beim Gitarre spielen ja auch nie auf die Idee kommen würde, zu sagen: Kläre am besten erstmal das Verhältnis zu deiner Mutter, dann wird dir das Spielen leichter fallen. Sondern man sagt: Spiel Gitarre, wenn du wütend auf deine Mutter bist, das hilft dir, Spannung abzubauen. So erreicht man vielleicht, dass der Mensch durch das Gitarre Spielen leichter andere Themen angehen kann.
Das klingt…
… Und so kann eben auch die Sexualität sein. Entschuldigung, ich habe Sie unterbrochen. Ich mache das schon seit Jahren, aber ich bin einfach immer noch begeistert.
Das verstehe ich. Das ist wirklich eine ganz neue Sichtweise, die Lust macht, zu erkunden, was noch so möglich ist.
Genau das wünsche ich mir!
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