Schlafstörungen sind zermürbend für Psyche und Körper. Welche Ursachen die Insomnie haben kann und welche Tipps für einen besseren Schlaf Forscher haben.
Schlafstörungen? Diese Ursachen rauben uns den guten Schlaf
Na, ausgeschlafen? Glückwunsch. Dann gehören Sie zu einer beneidenswerten Minderheit. Immerhin schlafen bereits 80 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland schlecht, wie ein Gesundheitsreport der DAK feststellt. Jeder zehnte Arbeitnehmer leidet sogar an einer dauerhaften Schlafstörung, einer Insomnie, Frauen häufiger als Männer. Kein Wunder. Schließlich brauchen wir auch mehr Nachtruhe. Durchschnittlich 20 Minuten, wie Professor Jim Horne, Neurowissenschaftler und einer der führenden Schlafforscher Großbritanniens, festgestellt hat. Denn da wir Meisterinnen des Multitasking tagsüber meist auf vielen Hochzeiten gleichzeitig tanzen, sind unsere Gehirne komplexer vernetzt.
Im Schlaf verarbeiten wir das Erlebte
Da sind nachts mehr „Aufräumarbeiten“ nötig. Die finden vor allem in den ersten eineinhalb bis zwei Stunden Schlaf statt, wie Professor Maximilian Moser weiß. In Tiefschlafphasen, so der Chronobiologe an der Medizinischen Universität Graz, öffnen sich feine Kanäle (auch glymphatisches System genannt), durch die das Gehirn von Zellabfällen freigespült wird. Nach dieser "Gehirnwäsche" kann es frisch geputzt alles verarbeiten, was tagsüber passiert ist. "Die Nacht ist eine hochaktive Phase, in der das Chaos des Tages vom Organismus wieder neu geordnet und der Stoffwechsel gereinigt wird", sagt der Autor des Buches "Vom richtigen Umgang mit der Zeit".
Insomnia – gerade Frauen haben Schlafprobleme
Das Problem: Gerade Frauen fällt es oft schwer, diesen erholsamen Tief schlaf zu finden. Selbst wenn wir todmüde sind, bleibt der Schlaf oft oberflächlich. Bei der kleinsten Störung schreckt man hoch, und schon beginnt sich das Gedankenkarussell zu drehen. Nicht enden wollende To-doListen, hustende Kinder, Stress im Job und Zoff mit dem Partner lassen viele nicht zur Ruhe kommen. Andere verdrängen ihre Müdigkeit, weil Schlaf im übervollen Terminkalender keinen Platz hat oder unbedingt noch die neueste Serienfolge geguckt werden muss.
Schlafstörungen können Erkrankungen auslösen
Das Leben gerät aus dem Takt, der eigene Biorhythmus wird laut Maximilian Moser heute oft sträflich ignoriert. Einen Gefallen tun wir uns damit nicht – laut Studien schädigt uns ein Schlafdefizit noch mehr als Männer: Unser Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes Typ 2, Depressionen und Angststörungen nimmt stärker zu. Ist der Tag-NachtRhythmus dauerhaft zum Beispiel durch Schichtarbeit gestört, kann das die Entstehung von Krebs begünstigen. Von ständiger Erschöpfung mal ganz abgesehen.
Trotzdem geht nur jeder 20. laut DAKGesundheitsreport wegen Schlafstörungen zum Arzt. „Unsere Gesellschaft drängt Schlaf in eine Nebenrolle“, beklagt Professor Ingo Fietze, Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums der Berliner Charité.
Durchschlafstörungen – ab wann besorgniserregend?
Wer einen Monat lang mindestens dreimal pro Woche nicht ein oder durchschlafen kann, hat ein Problem und sollte dringend etwas unternehmen, rät der Experte. "Zu hoffen, das gibt sich schon wieder, wäre fatal. Bereits nach drei Monaten wird eine Schlafstörung chronisch. Das lässt sich nur verhindern, wenn man frühzeitig etwas dagegen tut."
Wege aus der Schlafstörung
Der erste Schritt ist, für Entspannung zu sorgen – nicht erst zur Schlafenszeit, sondern auch tagsüber. Sich selbst nicht krampfhaft unter Druck zu setzen – weder im Job noch beim Einschlafen – gehört ebenso dazu wie das Erlernen einer Entspannungsmethode.
Dabei beruhigen Fantasiereisen, die das Gehirn angenehm beschäftigen, Menschen mit Schlafstörungen oft besser als autogenes Training. Katharina Kunzmann, Bloggerin und Autorin des Buches "Ab ins Bett!", schwört zum Beispiel neben dem Glas warmer Milch auf:
- Kassetten aus Kindertagen, persönliche Feelgood Geräusche und wohltuende Flüster- und Klangvideos; die findet man unter dem Stichwort „ASMR“ bei Youtube.
- Ebenfalls gut ist es, den eigenen Schlaf-Wach-Rhythmus wieder mit dem normalen Tagesrhythmus zu synchronisieren, also die Nacht nicht wegen einer anstehenden Präsentation zum Tag zu machen und auch am Wochenende nicht zu spät aufzustehen und schlafen zu gehen.
- Morgens ein kräftiges Frühstück verbessert die Schlafqualität der nächsten Nacht – das hat Maximilian Moser in einer Studie nachgewiesen.
- Essen nach 19 Uhr und Licht, vor allem blau grünes wie von Fernseher, PC-Bildschirmen, Smartphones und Energiesparlampen, stören dagegen die Produktion unseres Schlafhormons Melatonin (wie Blue Light der Haut schadet, erklären wir hier).
- Wenn sich das Grübelkarussell im Kopf trotzdem nicht stoppen lässt, lohnt sich oft ein Schlafseminar oder eine Gesprächstherapie (wir haben außerdem gute Tipps, wie du der Grübelfalle entkommen kannst). In der ärztlichen Leitlinie "Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen" steht kognitive Verhaltenstherapie inzwischen an erster Stelle der empfohlenen Behandlungen. Dort lernt man Techniken, um den „Hyperarousel“, wie Experten diesen Zustand dauerhafter Anspannung nennen, besser in den Griff zu bekommen. Solche Kurse gibt es an schlafmedizinischen Zentren. Schlafschulen bieten auch viele Bettengeschäfte an. Hier wird häufig mit dem "SounderSleepSystem" gearbeitet, eine Methode, die der amerikanische Feldenkrais-Lehrer Michael Krugman entwickelt hat. Dabei werden winzige Bewegungen, die den Erregungszustand des Gehirns hemmen, mit dem Atemrhythmus kombiniert. Das beschäftigt den Kopf, für Grübeleien hat er dann keine Energie mehr.
Helfen pflanzliche Schlafmittel?
Eine sanfte Hilfestellung, um wieder besser durch die Nacht zu kommen, können auch pflanzliche Arzneimittel mit Wirkstoffen wie Baldrian, Hopfen, Melisse oder Passionsblume sein. Nach vier Wochen täglicher Einnahme merkt man, ob sich etwas zum Positiven verändert. Wenn ja, sollte das Präparat mindestens ein halbes Jahr jeden Abend genommen werden.
Selbst wenn man längst wieder gut schläft, ist das nötig, damit der Schlaf-Wach-Rhythmus sich dauerhaft neu einpendelt.
Ingo FietzeTweet
Schlafstörungen – ein Fall für den Arzt?
Auch die Aminosäure Tryptophan (Apotheke) ist einen Versuch wert. Bei etwa 20 Prozent der Betroffenen könnte sie helfen, so der Autor des Buches „Die übermüdete Gesellschaft“. Wer trotz allem nach zwei bis drei Monaten noch nicht besser schläft, sollte spätestens dann zum Arzt gehen, am besten zu einem Schlafmediziner. Und zu Schlafmitteln greifen, wenn die Verhaltenstherapie ausgereizt ist. Denn: „Je länger eine Schlafstörung besteht, desto manifester wird sie“, sagt Ingo Fietze. „Wenn man mit Schlafmitteln wieder gut schlafen kann, verbessert sich die Lebensqualität. Und das Risiko für Gesundheitsstörungen und eine verringerte Lebenserwartung sinkt.“
Lies auch: Ich kann nicht schlafen: Einschlaf-Tipps vom Experten
Angst vor Schlaftabletten?
Häufig würden zunächst schwache Mittel wie Melatonin verordnet. Antihistaminika und sedierende Antidepres siva sieht der Spezialist kritisch. Erstere seien nur für akute, nicht für chronische Schlafstörungen geeignet, letztere haben oft Nebenwirkungen bei Betroffenen, die psychisch gesund sind. „Das Vorurteil, Schlafmittel sind tabu, Psychopharmaka dagegen en vogue, finde ich gefährlich“, sagt Ingo Fietze. Von Benzodiazepinen mit hohem Sucht potenzial rät allerdings auch er ab. Seine Mittel der Wahl sind die sogenannten Z-Substanzen wie Zolpidem und Zopiclon. Sie verschreibt er sogar für eine dauerhafte Einnahme.
Dass viele seiner Kollegen noch immer sehr zurückhaltend sind und die Leitlinie eine Verordnung für höchstens vier Wochen empfiehlt, sieht er kritisch: „Damit bekommen viele endlich wieder die sechs bis sieben Stunden Schlaf, die sie brauchen. Und die Gefahr, dass die Wirkung nachlässt, ist auf Dauer nicht höher als bei einem Blutdruckmittel. Keiner sollte sich von seiner Umgebung verunsichern lassen, wenn er in fachlich guten Händen ist.“
Gut sei alles, was gefällt und womit man gut schläft – egal ob es eine neue Matratze, das Kuschelkissen, die Entspannungsübung, Baldrian oder eine Schlaftablette ist. "Mit einer Schlafstörung muss sich im 21. Jahrhundert niemand mehr quälen."
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