Männer sind unzufriedener, wenn sie mehr im Haushalt machen, Frauen eher nicht? Die Studie von Soziologe Martin Schröder zeigt, wann wir wirklich zufrieden sind.
XXL-Studie: Wann sind wir wirklich zufrieden?
Mehr Geld? Kinder kriegen? Oder Hauptsache gesund? Wann wir wirklich zufrieden sind, hat der Soziologe Professor Martin Schröder in einer der größten Langzeitstudien unserer Zeit untersucht und in seinem Buch "Wann sind wir wirklich zufrieden?" genauer beleuchtet. Seit Mitte der 1980er Jahre wurden Menschen im Rahmen des sozio-ökonomischen Panels wiederholt befragt - insgesamt 600.000 mal! Die Ergebnisse der repräsentativen Befragung über Arbeit, Liebe, Geld und Gesundheit überraschen, schockieren und bringen zum Lachen.
7 Erkenntnisse über Zufriedenheit in Beruf und Familie
- Männer sind unzufriedener, wenn sie mehr Hausarbeit machen
- Heiraten, Single bleiben oder Single werden? Sie gewöhnen sich an alles
- Wer mit Anfang 30 Kinder kriegt, hat danach das zufriedenste Leben
- Geld wird nutzloser, je mehr Sie davon haben
- Männer müssen mehr, Frauen weniger als ihr Partner verdienen
- Väter sind zufriedener, wenn sie lange arbeiten (bis über 50 Std/Woche), Mütter nicht
- Fangen Sie nicht zu früh an zu arbeiten!
Traditionelle Rollenbilder – der Schlüssel zum Glück?
Wir haben diskutiert, gekämpft, aufgeschrien - für mehr Gleichberechtigung. Dafür, dass Frauen endlich gleich viel verdienen wie Männer, um den Gender Pay Gap zu schließen. Dafür, dass Homeschooling und Betreuung besonders in Zeiten von Corona nicht nur Aufgabe der Mütter sein sollte. Und dann zeigt eine große Studie, dass alte Rollenbilder uns wohl doch zufriedener machen?! Wir haben den Soziologen, Prof. Dr. Martin Schröder gefragt, woher diese schockierenden Ergebnisse kommen.
EMOTION: Sie sprechen von Zufriedenheit anstatt von Glück. Wo ist der Unterschied?
Martin Schröder: Wissenschaftler sagen im Wesentlichen: Glück ist affektiv und Zufriedenheit ist eher kognitiv. Auf Deutsch bedeutet das: Wenn ich Sie frage, ob Sie glücklich sind, dann fühlen sie kurz in ihren Bauch hinein und überlegen, was da ist. Wenn ich frage, ob Sie zufrieden sind, überlegen Sie wahrscheinlich, wie ihr perfektes Leben aussehen würde und wie viel Abweichung es zu ihrem aktuellen Leben gibt. Die Frage, wann Menschen zufrieden sind, halte ich insofern für aussagekräftiger.
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Väter sind zufriedener, wenn sie länger arbeiten, Mütter aber nicht? Sind die Ergebnisse nicht etwas rückschrittlich?
Ja, aber das findet sich erstmal so in den Daten. Ist auch komisch. Der reine Umstand, dass Väter zufriedener sind, wenn sie länger arbeiten, Mütter aber nicht, heißt jetzt nicht, dass diejenigen Väter, die es bewusst von sich aus anders machen, sich dann automatisch ins Unglück stürzen. Väter, die bewusst Elternzeit nehmen, sind durchaus in dieser Zeit zufriedener.
Das heißt, es geht bei den Ergebnissen darum, den Zusammenhang nicht mit Ursachen zu verwechseln. Männer arbeiten länger und sind zufriedener. Sie sind nicht unbedingt zufriedener, weil sie länger arbeiten?
Genau, darum heißt das Buch auch „Wann sind Menschen zufrieden?“ und nicht „Warum sind Menschen zufrieden?“ Ich bin Soziologe, ich beobachte die Gesellschaft und ich stehe zu dem, was ich herausgefunden habe. Aber das heißt nicht, dass ich sagen würde: bitte so handeln. Ich kann zeigen, in welchen Situationen es Menschen besser geht oder nicht, aber nicht woran das liegt. Aber es kann unsere Aufgabe sein, gesellschaftlich darüber zu diskutieren. Denn es kann sein, dass dabei Ergebnisse herauskommen, die man nicht so vermutet hätte. Wir müssen mal überlegen, wie es denn sein kann, dass Mütter nicht zufriedener sind, wenn sie länger arbeiten, aber Väter schon. Einfach zu sagen: „Das liegt daran, dass Frauen so sind und Männer so sind,“ ist eine unzureichende Interpretation.
#jetzterstrecht! Diskutiert mit - wir wollen gemeinsam mit euch die Ungerechtigkeiten der letzten Wochen sichtbar machen und diese Krise endlich für uns nutzen!
Bei EMOTION schreiben wir über Frauen, die ihren Weg gehen, über Gleichberechtigung und die Frage, wie wir Gender-Klischees aufbrechen können. Die Ergebnisse Ihrer Studie machen uns sprachlos...
Das kann ich gut verstehen. Und das Problem an der ganzen Geschichte ist, das es damit nicht aufhört. In einer aktuellen Untersuchung habe ich gelesen, dass dänische Forscher Zugang zu den Daten vom Arbeitsmarkt und den Krankenkassen derselben Person hatten. Die Ergebnisse sind schockierend: Sobald ein Mann weniger als seine Frau verdient, nimmt bei der Frau in der Partnerschaft die Benutzung von angstlösenden und schlaffördernden Medikamenten zu. Gleichzeitig nimmt bei Männern die Nachfrage nach potenzsteigernden Mitteln zu. Und das in Dänemark, was nicht unbedingt als gender-traditionelles Land gilt, sondern als Land, das es eigentlich geschafft hat, Rollenbilder zu modernisieren.
Gender-stereotypes Verhalten macht nicht unzufrieden
Und was machen wir mit diesen Erkenntnissen?
Eine Sichtweise, gegen die ich mich wehren würde ist, wenn jemand sagt: „Jaja, das ist ja klar, Männer und Frauen sind so. Männer haben in der Steinzeit gejagt und Frauen Beeren gesammelt.“ Dann würde ich antworten: Ich kann niemandem seine Meinung nehmen. Aber da habe ich keine Ahnung von und warum es so ist, weiß ich nicht. Was man aber immer wieder sieht – und da geht es mir genauso wie Ihnen, ich finde das äußerst befremdlich – ist, dass „gender-stereotypes Verhalten“ in vielen Situationen zumindest nicht das ist, was die Zufriedenheit senkt. Und der Versuch, daraus auszubrechen mit Konsequenzen einhergeht, die wir eigentlich nicht so gerne haben.
Wobei die Bewegungen für Gleichberechtigung ja auch aus einer Unzufriedenheit heraus entstanden sind.
Finde ich auch logisch, wenn man sich anschaut, dass bis 1997 Vergewaltigung in der Ehe nicht strafbar war oder der Mann in den 70er Jahren zustimmen musste, ob die Frau arbeiten darf. Logischerweise sagen wir da alle, haben die einen Knall?! Natürlich soll sich das ändern. Aber eine Theorie, um die vielleicht merkwürdigen Ergebnisse zu erklären, ist, dass unsere sexuellen Präferenzen nicht mit dem übereinstimmen, wie wir uns selber gerne hätten. Eine Untersuchung aus den USA zeigt, dass gerade die Paare, die sich die Hausarbeit gleich aufteilen, schlechteren und weniger Sex haben.
Anerzogene Normen prägen unser Verhalten
Nicht im Ernst…?!
Doch! Eine Vermutung ist, dass wir beim anderen Geschlecht – wenn wir heterosexuell sind – typischerweise darauf stehen, dass Frauen sich „wie Frauen“ und Männer sich „wie Männer“ verhalten. Weniger Männer wollen eine Frau, deren Stimme tiefer ist als ihre eigene. Und weniger Frauen finden Männer besonders dann attraktiv, wenn sie im Rock herumlaufen. Die Frage ist natürlich, wie sind Menschen und was wurde ihnen beigebracht? Wäre uns in den letzten 200 Jahren beigebracht worden, Männer müssten Röcke tragen, könnte es durchaus sein, dass das als attraktiv gelten würde. Aber zu den Normen, mit denen wir nun mal alle aufgewachsen sind – ob wir das gut finden oder nicht – zählt unter anderem, dass der Mann in einer Partnerschaft mehr verdient als die Frau.
Nun beziehen sich die Ergebnisse der Studie auf einen längeren Zeitraum in der Vergangenheit. Gelten die Beobachtungen überhaupt noch für heute?
Man kann einen statistischen Trick durchführen und alle Daten vor 2010 zum Beispiel aus der Analyse rausschmeißen. Oder sagen, die Hälfte der Daten waren vor dem Jahr 2002, also schmeiße ich die raus. Und dann überprüft man, ob weniger starke Effekte herauskommen, wenn man sich nur die letzten Jahre anschaut. Das scheint merkwürdigerweise nicht so zu sein.
Also ist die Prognose, dass es sich in den nächsten Jahren auch nicht unbedingt ändern wird?
Die Prognose kann ich in dem Sinne machen, als dass die Menschen, die befragt wurden, ja zu 95% dieselben Menschen sind, wie die, die nächstes Jahr befragt werden. Und nochmal 92% dieselben sind, die übernächstes Jahr befragt werden. Darum würde es mich sehr wundern, wenn sich das auf einmal ändert. Welches grundlegende einschneidende Erlebnis sollte im Jahr 2020 oder 2021 passieren, damit das auf einmal alles nicht mehr so ist? Selbst bei so etwas wie Corona würde es mich wundern, wenn es den Effekt hat, dass Menschen auf einmal nicht so funktionieren, wie wir es von vorher kennen. Was ich aber nicht mache, ist zu behaupten: So sind Männer und Frauen und im Jahr 2050 ist das auch so. Die Ergebnisse einer Studie können eben eine Folge der Zeit sein, in der sie erhoben wurden. Genauso kann es natürlich bei vielen meiner Beobachtungen sein. Ich kann sagen: das zeigt, wie Deutschland derzeit funktioniert, aber das sagt natürlich nichts darüber aus, ob das in der nächsten oder übernächsten Generation auch so sein muss. Wir müssen erstmal eine Veränderung bringen, und dann verändert sich vielleicht auch die Sichtweise – oder eben die Rollenbilder.
Was uns die Studie über Zufriedenheit zeigt
Bewusstsein ist der erste Schritt zur Veränderung!
Ganz genau. Das ist auch ein Grund, warum ich mein Buch geschrieben habe. Überhaupt erstmal zu wissen, was zufrieden macht, kann ja auch Leuten helfen. Es ging mir nicht darum, einen Ratgeber herauszubringen, wie man sein Leben leben soll. Das Buch regt dazu an, dass jede*r selbst überlegen kann, welche Zusammenhänge man für plausibel oder unplausibel hält. Dabei muss man ja nicht sein Gehirn abschalten. Welche Konsequenzen man für sich daraus zieht, kann jede oder jeder selbst entscheiden.
Martin Schröder ist Professor für Soziologie und forscht zu den Themen soziale Ungleichheit, Sozialstaat, Kapitalismusvarianten, Wirtschaftssoziologie, Generationen, Moral und Lebenszufriedenheit. Weitere überraschende Erkenntnisse zur Zufriedenheit beschreibt er in seinem Buch "Wann sind wir wirklich zufrieden?" (C. Bertelsmann, 20 Euro).
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