Karoline Iwersen über Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs und eine Politik, die arbeitende Frauen übersieht.
"Ich hätte nicht zu träumen gewagt, dass wir noch so rückständig sind“
Corona legt uns alle in Ketten. Aber nicht alle Ketten sind gleich schwer. Frauen haben mehr Sorgen vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes als Männer. Mütter arbeiten im Vor-Corona-Vergleich in geringerem Stundenumfang als Väter, so zeigen erste Zahlen des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.
Für berufstätige Frauen ist diese Zeit wie permanent im Spagat stehen. Karoline Iwersen berät mit ihrem Unternehmen "brands for talents" Frauen, die nach einer Familienzeit in ihren Job zurückkehren wollen und Unternehmen, die Müttern und Vätern Karriere ermöglichen wollen. Und führt gerade täglich Gespräche mit Frauen, die nicht mehr können.
EMOTION: Sie sagen, dass Frauen mit verschiedenen Schnittstellen gerade übersehen werden. Was meinen Sie damit?
Karoline Iwersen: Wenn Sie die Pressekonferenz der Bundeskanzlerin in der letzten Woche gesehen haben, ging es nicht um berufstätige Frauen mit Kindern, sondern um Shoppingcenter und Fußballspiele. Wir Frauen werden gerade auf kleine Teilzeitstellen und Kinderbetreuung runter reduziert.
Wissen die Politiker, dass ich Kinder habe mit Homeschooling und Betreuung, dass ich einen Mann habe mit einem Vollzeitjob, dass ich Kunden habe, dass ich ein Team habe, dass ich einen Haushalt habe, dass ich Eltern habe?
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All diese Schnittstellen bediene ich. Keiner redet darüber, was wir gerade leisten.
An dem Leopoldina Papier haben nur zwei Frauen mitgearbeitet, jetzt, bei den Neuregelungen der Bundesregierung, hat man Kita-Schließungen fast ohne weitere Erläuterung bis auf weiteres angesetzt.
Welche Perspektiven und Bedürfnisse übersieht die Politik gerade?
Frauen in dualen Karrieren mit Kindern. Die Hoffnungsträgerinnen der Wirtschaft brauchen eine Stimme. Sie wollen nicht in Corona-Elternzeit wie gefordert, sie wollen ihren Job weitermachen.
Warum übersieht man diese Frauen?
Wir haben keine Lobby. Sowohl in der Politik nicht als auch in Gesellschaft. Frauen in Talent- und Führungspositionen sind sowieso schon in der deutschen Gesellschaft nicht genug beachtete. Die Rabenmutter oder die Teilzeitmama sind nicht umsonst so häufig im Wortschatz vertreten.
Was fordern Sie von der Politik?
Dass wir gesehen werden. Gemischte Teams sind ein Erfolgstool für Unternehmen. Die Innovationskraft liegt in unserer Hand. Wir erziehen Kinder zur Gleichberechtigung und Selbständigkeit. Wir leben neue Rollenmuster und nun streichen wir das alles? Was muss konkret passieren? Wir brauchen eine Strategie für Kita-Kinder und fürs Homeschooling. Das heißt erreichbare Lehrer und Online-Unterricht. Wir brauchen eine finanzielle Kompensation für Kita-Beträge, die nicht zurückerstattet werden und zusätzliche Betreuungskosten. Betreuungssharing und kleinen Kindergruppen zum Spielen sollten erlaubt werden.
Sie haben selbst vier Kinder – wie kommen Sie zurecht?
Kinder brauchen soziale Kontakte und diese fehlen. Die Großfamilie ist eine Chance, aber auch mehr Arbeit. Homeschooling klappt je nach Lehrer super oder schlecht und als Motivator eines 5-köpfigen Frauenteams zu fungieren ist nicht immer einfach. Aber die Lage ist für mich erträglich. Meine Erfahrung in Organisation und Erziehung kommt mir zu Gute. Ich stehe sehr früh auf um alles zu schaffen und bin abends sehr müde und erschöpft. Wenn Kinder und Job dauerhaft anwesend sind, sind Körper und der Geist sehr stark gefragt. Wir treiben Frauen gerade die Lust an der Karriere aus.
Sie beraten und sprechen viel mit Frauen, die in Führungspositionen zurückkommen nach ihrer Elternzeit. Wie geht es diesen Frauen gerade?
Unterschiedlich. Frauen in Unternehmen, die Diversity und Familienfreundlichkeit bis jetzt nur als Werbeplakat gesehen haben, nicht gut. Sie sind allein gelassen im Homeoffice oder nur 1mal im Büro und tragen zu Hause die zusätzliche Care-Arbeit. Stellen Sie sich vor, Sie haben drei Kinder unter fünf Jahren und sind in einem Beratungsunternehmen mit 35 Stunden und Teamverantwortung ohne Verständnis des Arbeitsgebers. Diese Frauen sind kurz vor dem Zusammenbruch.
Sie haben geschrieben, dass wir gerade Frauen die Lust an Karriere austreiben.
Genau! Und zwar aufgrund der Überlastung. Wenn Sie sich vorstellen, dass Sie dieses Szenario nun 6–8 Monate so durchhalten müssen, wenn auch mit weniger werdender Extrembelastung. Haben Sie dann noch Lust auf das nächste Level im Job? Die höhere Stundenzahl oder auf Führungsverantwortung? Die meisten Frauen wünschen sich danach nichts als Ruhe. Ruhe von Allem.
Was können Arbeitgeber jetzt tun?
Sie müssen Frauen Unterstützung geben und zwar nicht in Form von Mitleid, sondern ihnen signalisieren: Wir sind für Euch da und sehen Eure Thematik. Eine Möglichkeit der Unterstützung bieten wir gerade unseren Kunden an: Ein Dashboard über die Herausforderungen mit Lösungsansätzen, die weit über "Wie organisiere ich meinen Homeoffice-Tag?" hinausgehen. Frauen müssen spüren, dass sie auch in der Krise als Führungskräfte und Talente wahrgenommen werden und nicht als Problem.
Wie sieht es bei den positiven Beispielen aus?
Frauen in Unternehmen, die erkannt haben, dass Familienfreundlichkeit nicht nur ein Buzzwort ist, können flexibel agieren. Sie waren durch umfangreiche Unterstützung schon vor der Krise mit Notfallplänen und straffer Organisation ausgestattet und können jetzt ihren Job in einem erträglichen Maße fortzusetzen. Zudem stehen diese Unternehmen jetzt mit vielen Tools parat Frauen in der Karriere weiter zu unterstützen.
Könnten wir als arbeitende Mütter untereinander solidarischer sein?
Wir müssen zusammenstehen und stolz auf uns sein. Das ist wichtig. Als erstes müssen wir aufhören so zu tun, als ob dies gerade easy ist, und wir zudem noch schnell ein Bananenbrot oder Mandelmilch herstellen. Wenn wir in den Positionen sind, sollten wir in den Unternehmen Hilfsangebote schaffen und nicht die Hardliner spielen, wenn wir in den Entscheidungspositionen sind. Sobald es möglich ist: Betreuung untereinander organisieren. Freundinnen in der gleichen Situation anrufen und sich austauschen.
Sie setzen sich Arbeitgeber*innen gegenüber sehr stark dafür ein, dass auch Führungspositionen in 80 Prozent ausgeübt werden können. Jetzt sieht man oft, dass der Vollzeit-arbeitende Mann kaum oder wenig Verantwortung für die Organisation des Homeschooling und der Care-Arbeit übernimmt und die Teilzeit-arbeitende Mutter weniger arbeiten kann und sich um alles kümmern muss. Eine neue Form der Teilzeit-Falle. Wie kommen wir da raus?
Oh ja. Eine neue Teilzeitfalle. Organisation und das Gespräch mit dem Partner suchen, ist hier die Devise. Die Wahrheit ist aber, dass durch den Wegfall der Kinderbetreuung gerade jetzt Paare in dualen Karrieren besonders betroffen sind. Genau dies ist bei der Politik nicht angekommen. Das fortschrittlichste Modell ist am stärksten in der Überforderung. Frauen organisieren Alltag, Männer entwickeln Strategien - wie sind wir plötzlich wieder in den Fünfzigerjahren gelandet? Ja sind wir.
Wer führt uns denn durch die Krise, von Frau Merkel abgesehen? Politiker jenseits der 50 mit einem klaren Frauenbild.
Karoline IwersenTweet
Selbst im engsten Umfeld fallen die Menschen in alte Rollenmuster zurück. Mann macht das schon. Er rettet die Familie und stellt sich in den Wind. Ich hätte nicht zu träumen gewagt, dass wir noch so rückständig sind.
Über Karoline Iwersen:
Karoline Iwersen ist bei der Krefelder Unternehmensberatung „brands for talents“ zuständig für Vertrieb und Beratung. Die vierfache Mutter hilft Frauen ihre persönliche Rolle im Kontext Familie und Beruf zu finden und unterstützt Unternehmen bei der Implementierung von Familienfreundlichkeit. Die studierte Diplom-Biologin ist auch aktiv im Verband kinderreicher Familien. Sie war in Folge 1 zu Gast beim Working Women Podcast „Wir arbeiten dran“ und hat darüber berichtet, warum sie lieber von "Addition von Karriere und Familie" spricht als von Vereinbarkeit.