Hat Corona uns Frauen zurück in die Fünfziger katapultiert? Die Krise der vergangenen Wochen war vor allem auch eine Krise der Frauen. Zeit, sich gegen Ungleichheiten zu wehren, findet EMOTION-Gründerin Kasia Mol-Wolf und ruft zum (digitalen) Protest auf. #jetzterstrecht!
Jetzt erst recht! Die EMOTION-Aktion für mehr Gleichberechtigung in dieser Zeit
Viele Corona-Maßnahmen sind zwar schon wieder gelockert, aber normal läuft das Leben noch nicht wieder. Viele haben immer noch zwischen Homeoffice und (teilweisem) Homeschooling wenig Zeit, an sich und an die Zukunft zu denken.
Das geht mir ganz genauso. Ich bin ziemlich erschöpft nach den letzten Wochen und Monaten im Homeoffice, in einer Wohnung mit zwei Erwachsenen, einer 8-Jährigen und einem 4 Monate altem Baby. Es waren Wochen des Multitaskings. Wochen des "alles gleichzeitig", Wochen zwischen Babyschaukeln, Mathe-Unterricht, Laptop und Videokonferenzen - überall Job und Familie.
Ich war da für die Kinder und dann wieder auch nicht, weil mein Job und der Überlebenskampf als Unternehmerin in dieser Krise auch auf meinem Tagesprogramm standen. Deshalb hatte ich kaum Zeit für die beiden. Und das war in dieser Situation noch belastender als sonst, wenn meine Tochter in der Schule ist. Denn da zu sein und gleichzeitig auch nicht, also zwar anwesend zu sein, aber mit dem Kopf woanders, das nagt zusätzlich an meinem Gewissen. Auch das kennen sicherlich viele Eltern.
Die Krise ist vor allem auch eine Krise der Frauen
Aber egal ob Unternehmerin, Journalistin, Apothekerin, Projektmanagerin, Lehrerin – das Gefühl der Erschöpfung eint die meisten von uns. Denn Krisen machen bestehende Ungerechtigkeiten größer. Und so ist in den letzten Wochen meines Erachtens auch deutlich geworden, dass die Corona-Krise vor allem auch eine Krise der Frauen ist.
Denn einerseits waren sie es hauptsächlich, die die Gesellschaft und die Versorgung am Laufen hielten. Ärztinnen, Pflegerinnen, Kassiererinnen, Apothekerinnen oder Erzieherinnen, die Notbetreuung leisteten. In einem durchschnittlichen Krankenhaus sind zum Beispiel mehr als 75 Prozent der Beschäftigten weiblich! Es sind oft Frauen, die in systemrelevanten Berufen arbeiten und dort oft überlastet und schlecht bezahlt werden, auch das wurde in dieser Krise noch einmal deutlich.
Hart erkämpft und schnell verloren? Rückschritte in Sachen Gleichberechtigung
Während also eigentlich umso sichtbarer wurde, welche wichtige Arbeit Frauen leisten, erlebten wir gleichzeitig einen beispiellosen Backlash. Viele auf unserem Weg zur Gleichberechtigung erkämpften Positionen wurden in den letzten Wochen aufgeweicht oder gingen ganz verloren.
Ein paar Beispiele:
- So haben Wissenschaftlerinnen zum Beispiel in dieser Zeit sehr viel weniger publiziert, während ihre männlichen Kollegen zur Hochform auffahren konnten. Redaktionen von wissenschaftlichen Journals berichteten nach sechs Wochen Lockdown von einem Merkwürdigen Stopp: Sie erhielten fast nur noch Einsendungen von Männern.
- Das Risiko für Frauen, Opfer von häuslicher Gewalt zu werden, ist während der Kontaktbeschränkungen gestiegen.
- Frauen, die generell häufiger in Teilzeit und Minijobs arbeiten, wurden schneller arbeitslos.
- Weil sie ohnehin mehr Care-Arbeit übernehmen, sprangen sie auch jetzt in der Krise besonders ein, wenn es darum ging, Angehörigen oder Freunden zu helfen.
- Währenddessen waren es die Virologen und Ökonomen, die uns im Fernsehen die Krise erklärten und damit auch ihre Karrieren voranbrachten, hauptsächlich Männer. Dafür gebe es mehrere Gründe, hat die Virologin Melanie Brinkmann einmal vermutet, einer davon sei womöglich, dass auch Virologinnen sich zu Hause um die Kinder kümmern mussten.
In rund der Hälfte der Familien kümmert sich seit Corona allein die Frau um die Kinder
Viele von uns finden sich in alten Rollenmodellen wieder. Vielleicht, weil sie es mal so gewählt haben und die Arbeitsbelastung in den letzten Wochen nicht mehr ausdiskutiert wurde, weil der Alltag uns einfach in seinen Fängen hatte.
Vielleicht, weil ungleiche Löhne immer noch dafür sorgen, dass viele Männer besser verdienen und viele Frauen karrieremäßig zurückstecken, wenn es sein muss. Und die letzten Wochen waren so eine Situation, in der es sein musste. In der Kompromisse gefunden werden mussten, die dann oft zum Nachteil der Frauen ausgingen.
"Ich bin dann mal am Schreibtisch…" Männer haben sich weniger um die Betreuung der Kinder gekümmert
Die "Corona-Studie" der Uni Mannheim hat etwa gezeigt, dass in nur etwa 24 Prozent der Haushalte sich beide Elternteile an der Kinderbetreuung beteiligten. In rund der Hälfte der Haushalte war es allein die Frau, die sich kümmerte, damit der Vater in Ruhe im Homeoffice arbeiten kann.
Das hat dazu geführt, dass in diesen Wochen viele Frauen ihre Arbeitszeit weiter reduziert haben. Und oft ist dann eine Rückkehr auf das alte Niveau nicht so leicht möglich. Nach dem Stress der letzten Wochen können wir es uns aber vielleicht auch gar nicht mehr vorstellen, noch mehr zu arbeiten!
Andere von uns, die sich vielleicht zum Jahresstart vorgenommen hatten, trotz Kindern endlich wieder ihre Karriere in die Hand zu nehmen und die in der Corona-Zeit gemerkt haben, wie viel Stress, Kinder und Teilzeit-Arbeit bedeuten, wenn mal nicht alles glatt läuft, denken vielleicht gerade daran, aufzugeben und doch erstmal auf der aktuellen Position zu bleiben.
Männer finden nach einer Krise schneller zu ihrem vorherigen Einkommen zurück
Übrigens kam eine Studie, die sich die wirtschaftliche Entwicklung im Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit nach andere Epidemien wie Ebola, Zika oder der Vogelgrippe angeschaut hat, zu dem Ergebnis, dass gerade Frauen langfristiger wirtschaftlich unter einer solchen Krise leiden. Sie verlieren öfter ihren Job oder bleiben in Teilzeit. Männer finden nach einer Krise schneller zu ihrem vorherigen Einkommen zurück. Die Soziologin Jutta Allmendinger geht auch bei Corona von langfristigen Folgen aus. Sie fürchtet, dass wir gerade um 30 Jahre zurückgeworfen werden könnten auf unserem Weg zur Gleichberechtigung. (Ich hoffe, dass sie damit Unrecht hat!)
Aber genau das dürfen wir nicht zulassen! Wir dürfen das Erkämpfte nicht so leicht aufgeben!
Auch deshalb gibt es EMOTION. EMOTION, wir Frauen hinter EMOTION, sehen Euch alle. Wir sehen die Ungerechtigkeiten, wir hören euch zu, wir wollen sie benennen und mit euch gemeinsam bekämpfen.
Kasia Mol-WolfTweet
Ich wünsche mir - wir von EMOTION wünschen uns und möchten Euch dazu auffordern - jetzt erst recht nicht nachzulassen! Nicht aufzugeben, denn der Kampf um unsere Gleichberechtigung ist mühsam genug und wir dürfen nicht wegen der Ereignisse der letzten Wochen nachgeben. Wir dürfen #jetzterstrecht nicht das Erreichte aufs Spiel setzen.
Positive Überraschungen – auch das sollten wir wahrnehmen!
Und wir haben ja auch Grund zur Hoffnung! Denn wir haben in den letzten Wochen auch viele Erfolge erreicht! Diese sollten wir uns bewusst machen: Erfolge für Frauen, wie auch für Männer, die künftig mehr von ihren Kindern haben möchten. Denn die letzten Wochen haben in vielen Berufen gezeigt: Arbeit im Homeoffice ist doch möglich! Führung aus dem Homeoffice ist möglich! Teilzeit im Homeoffice ist möglich! Wir haben gemerkt, dass nicht jede berufliche Reise nötig ist - eine Videokonferenz tut es manchmal auch. Arbeitgebern, die sich bisher gegen flexiblere Modelle gesperrt haben, können wir nun mit Gegenbeweisen begegnen.
Partner, die bisher vielleicht weniger im Haushalt und in der Kinderbetreuung übernommen haben, haben in den letzten Wochen mehr Einblicke in unser Leben bekommen. Sie verstehen vielleicht besser, was es heißt, Kinder, Haushalt, Job, und sei er Teilzeit, zu wuppen. Wahrscheinlich haben wir jetzt eine Menge neue Verbündete im Kampf gegen den "mental load", also das Phänomen, wenn die mentale Verantwortung für die Familienorganisation hauptsächlich bei einem liegt.
Jetzt erst recht gemeinsam für Gleichberechtigung!
Und wir Frauen benennen den Backlash und schließen uns gegen diesen Backlash zusammen! Denn #jetzterstrecht sind wir gemeinsam unterwegs. Wir Frauen gemeinsam, wir gemeinsam mit den Männern, mit alten und neuen Verbündeten, denen die Krise vielleicht erst die Augen geöffnet hat. #jetzterstrecht gemeinsam für Gleichberechtigung.
#jetzterstrecht – So kannst Du mitmachen:
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Schreibe den Hashtag #jetzterstrecht auf eine Karte, ein Blatt Papier oder Ähnliches und fotografiere Dich damit
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Teile eine Erfahrung mit uns in der caption: Wo hast Du dich in der Krise allein gelassen gefühlt? Welche Ungerechtigkeit hast Du vielleicht bei anderen beobachtet? Was sollte Deiner Meinung nach dringend passieren?
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Setze unbedingt den Hashtag #jetzterstrecht dazu und verlinke @emotionmagazin und @kasia_inspired in Deinem Post, damit wir ihn finden können
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Weitere optionale Hashtags: #gemeinsamstark #strongertogether #emotionfüruns
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Sei dabei und unterstütze uns im Kampf für mehr Gleichberechtigung!
NEU!!! Macht mit bei unserer EMOTION-Umfrage 2020
Mit EMOTION könnt ihr Eure Stimme laut werden lassen - für eine bessere Politik und eine gerechtere Wirtschaft. Alle Ergebnisse werden öffentlich gemacht und eure häufigsten Forderungen der Bundesministerin für Frauen und Familie überreicht sowie in den führenden deutschen Unternehmen platziert. Insgesamt dauert die Umfrage ca. 10 Minuten, alle Daten werden anonymisiert erfasst, sodass kein Rückschluss auf euch persönlich gezogen werden kann.
Wir wollen wissen:
- Was ärgert Euch besonders?
- Welche Ungerechtigkeiten erlebt Ihr, beobachtet Ihr – vor oder während der Krise?
- Was muss sich endlich ändern?
Teilt es unter dem Hashtag #jetzterstrecht und macht mit bei unserer Umfrage, die wir gemeinsam mit appinio gestartet haben: "Was Frauen fordern 2020".
Macht mit bei unserer Umfrage!
Außerdem möchten wir uns auch mit euch in unserer Facebook-Gruppe #jetzterstrecht: Was Frauen fordern! in einem geschützten Raum austauschen – die EMOTION-Redaktion hört euch zu!
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