So, wie wir heute über Kinder und Familie sprechen, beleuchten wir oft nur die Probleme. Ja, die muss man benennen. Eine Mutter fragt sich dennoch: Wo bleibt die Liebe?
Eltern sind verletzlich
Ich erinnere mich genau an den Moment, als ich zum ersten Mal dachte: Jetzt bin ich raus! Meine Tochter trank gerade an meiner Brust, während ich auf Instagram durch Posts zum Thema "Stillen ist Stillen" (als Gegenposition zu "Stillen ist Liebe") scrollte. Parallel verfolgte ich die Debatte, ob man nicht lieber von "Chestfeeding" statt "Breastfeeding" sprechen sollte, um Transgender-Eltern mehr Sichtbarkeit zu geben. Ich war kurz davor, das Handy einfach gegen die Wand zu klatschen. Damals war ich ziemlich runter mit den Nerven, selten gewaschen und oft den Tränen nahe. Das Baby schrie unglaublich viel. Die Kinderärztin konnte nichts finden, Osteopathie half nicht. (Erst in der Schreiambulanz lernten wir, unsere Tochter Alma mit Ruhe und Präsenz durch diese Phasen zu begleiten.) Vor Almas Geburt hätte ich sicherlich lautstark in den Instagram-Chor mit eingestimmt, der mich nach ihrer Geburt fast zum Durchdrehen brachte. Schließlich finde ich auch, dass man Elternschaft inklusiv denken sollte und Stillen nicht die einzige Möglichkeit ist, ein Kind zu versorgen. Da ahnte ich aber auch noch nicht, wie verletzlich man als Eltern sein kann. Denn die Einzigen, die Alma wirklich aus ihrer Anspannung halfen, waren meine Brüste. Die Stillzeiten waren die seltenen Momente, in denen meine Tochter und ich uns aneinander anlehnen konnten. Für uns beide war Stillen die Rettung.
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Wir dürfen überfordert und trotzdem gerne Mütter sein
Damals machte mir nicht nur die Vehemenz der Posts und Kommentare zu schaffen, sondern vor allem ihre Nüchternheit, die dieses tröstliche Verbundenheitsgefühl, dass das Stillen uns gab, komplett ignorierte. Das Glück darüber, dass bei Alma und mir endlich mal was funktionierte, wir uns nah sein konnten, fühlte sich plötzlich schal an. Dieser Beigeschmack begleitet mich bis heute, wenn ich Diskussionen rund ums Elternsein verfolge, ob auf Social Media oder bei Freund:innen. Immer öfter frage ich mich, ob wir es mit der Deromantisierung des Themas nicht zu weit getrieben haben. Schon während ich diese These tippe, finde ich selbst, dass sie sich wahnsinnig gestrig anhört. Es ist wichtig, dass wir weiter mit den Klischees übers Muttersein brechen und ein anderes Bild zeichnen, das sich gegen diese überkommene kulturelle Glorifizierung der Mutterrolle stellt. Schließlich habe ich auch von dieser realistischeren Sichtweise profitiert: Ich habe nie geglaubt, dass ich die schwierigen ersten Monate mit Alma alleine stemmen muss und hatte kein schlechtes Gewissen, dass wir Hilfe brauchten. Ich hab selbst so viel geheult und mit meiner neuen Rolle gehadert. Auch weil ich Fragen zulassen konnte, für die sich Mütter früherer Generationen wohl noch geschämt hätten, etwa: Wie sollen dieses Baby und ich nur zusammenfinden?
Ist wirklich alles nur Mental Load und Care-Arbeit?
Miriam BöndelTweet
Where is the love?
Trotzdem macht es mich manchmal einfach müde, wenn ich Plattformen wie Instagram öffne und es dort nur noch um Mental Load, Care-Arbeit und die ständige Überforderung geht. Ich habe das Gefühl, dass wir durch diese dauernde Wiederholung auch wieder ein zu einseitiges Narrativ zementieren, eine Art, wie man eben über das Zusammenleben mit Kindern spricht. Selbst wenn es um den normalen Alltag geht, fallen wir in Forderungsslang, benutzen Begriffe wie "Elternschaft" und "Fürsorgezeit". Es klingt so deutsch und akademisch. Selbstverständlich sehe ich, dass man diese Begriffe braucht, um deutlich zu machen, dass Elternschaft auch ein politisches Thema ist. Wie kann man das in diesen Zeiten auch nicht sehen?
Dennoch finde ich, dass durch diesen abständlichen, akademischen Bürokratiesprech Nähe und Weichheit verloren gehen. Mag sein, dass es für diejenigen, die darüber auf Social Media schreiben, eine Selbstverständlichkeit ist, aber mir fehlen oft die warmen Zwischentöne. Oder wie die Autorin Mirna Funk vor einiger Zeit die Diskussion kommentierte: "Where is the love?"
Kinder zeigen uns das Hier und Jetzt
Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob es einfach nur die Dankbarkeit darüber ist, dass wir Almas erste Lebensmonate unbeschadet überstanden haben: Ich hatte während der ganzen Pandemie nie das Gefühl, dass unsere Tochter eine Belastung ist, sondern der einzige Grund, warum wir nicht durchgedreht sind. Nicht, weil wir dachten, wir müssten uns für sie zusammenreißen, sondern schlicht, weil sie uns ablenkte. Vielleicht war sie auch im perfekten Alter, denn während der Corona-Hochphase lernte sie laufen und sprechen. Wenn ich sie von der Krippe abholte, war ich immer froh, weil ich wusste, jetzt hat der Sorgenwahnsinn Pause. Sportpsycholog:innen würden das als "Flow" beschreiben, als Zustand, in dem man einfach in der Gegenwart ist, im Hier und Jetzt. Auch meinen Mann haben seine Nachmittage mit Alma gestärkt und psychisch gesund gehalten.
Check your privilege
Und natürlich haben wir auch Glück, weil wir privilegiert sind. Ich konnte im Homeoffice arbeiten, unsere Krippe hat trotz aller Auflagen immer versucht, den Kindern das Zusammensein zu ermöglichen und uns Eltern im Notbetrieb zumindest für drei Stunden am zu Tag entlasten. Während des harten Lockdowns konnten wir zu Oma und Opa ziehen. Auch wir hatten Zukunftsängste, aber wirklich existenziell wäre es wohl nie geworden.
Wahrscheinlich ist es genau das, was mich stört: Die lauten Eltern-Accounts mit großer Reichweite führen ein Leben wie ich (String-Regal und Wegner-Chair inklusive). Eines, das einem neben Kindern ziemlich viel geschenkt hat. Mir geht es da wie Marija Latković, die neulich in einer ihrer Storys schrieb, es gäbe Härteres als Eltern in Deutschland zu sein. Nämlich Eltern in einem anderen Land oder alleinerziehend zu sein oder ein Kind pflegen zu müssen oder beides in Kombination und das vielleicht noch mit Migrationshintergrund. Diese Familien und ihre Herausforderungen brauchen Sichtbarkeit. Ich wünsche mir, dass etwas mehr Gelassenheit, Demut und Kuscheln einziehen.
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