Familien-Influencer:innen zeigen ihren Alltag mit dem Nachwuchs auf Social Media. Damit wollen sie andere inspirieren, ihnen Einblicke geben – aber natürlich auch Geld verdienen. Die Soziologin Sara Flieder sieht die Rechte der Kinder in vielen Fällen verletzt. Deshalb hat sie eine Petition gestartet, um sie mehr zu schützen.
Wenn Eltern regelmäßig sensible Bilder ihrer Kinder und Informationen über sie im Netz teilen, nennt man das "Sharenting". Familien-Influencer:innen tun das im großen Stil. Es ist ihr Geschäftsmodell, Einblicke in den Familienalltag zu zeigen. Damit verdienen sie Geld, etwa wenn Unternehmen ihr Profil als lukrativen Ort sehen, an dem sie Kinderkleidung, Windeln oder Spielzeug bewerben können. Die Kinder sind natürlich ein wesentlicher Bestandteil dieses Geschäftsmodells. Manche Influencer:innen verpixeln zum Schutz ihrer Kinder ihre Gesichter oder achten darauf, sie zumindest optisch nur am Rande zu integrieren, indem sie sie etwa nur von hinten zeigen. Andere zeigen mehr – die Kinder in der Badewanne, beim Essen, beim Spielen.
Bei vielen Elternblogger:innen werden die Kinder halbnackt oder schlafend gefilmt. Das gesamte Leben ist online.
Sara Flieder, hat die Petition "Kinderrechte auf Instagram wahren" ins Leben gerufenTweet
Gratwanderung zwischen Inspiration und Kinderrechtsverletzung?
Viele Menschen, insbesondere die, die selbst Kinder haben, schöpfen Inspiration aus diesen Beiträgen. Sie bekommen einen Einblick in den Alltag anderer Familien, sehen, dass es dort vielleicht ähnlich läuft wie bei ihnen zuhause. Aber es gibt auch Kritik an der Art und Weise, wie die Kinder vor teils Hunderttausenden oder Millionen Fremden inszeniert werden.
Eine der Kritiker:innen, die die Rechte der Kinder in vielen Fällen verletzt sehen, ist die Soziologin und Politikwissenschaftlerin Sara Flieder. Aus diesem Grund hat sie vor wenigen Monaten eine Petition gestartet, um sich für schärfere Gesetze einzusetzen. Ihr Ziel: Kinderrechte auf Instagram zu wahren. So formuliert sie es im Text ihrer Petition, die sie an die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Lisa Paus gerichtet hat.
Flieder sieht das Recht auf Privat- und Intimsphäre vieler Kinder, deren Elter Bilder und Informationen von ihnen teilen, als gefährdet an. "Bei vielen Elternblogger:innen werden die Kinder halbnackt oder schlafend gefilmt. Das gesamte Leben ist online. Live kann man verfolgen, wie die Kinder schlafen, wann sie gestillt werden, wie ihre Kinderzimmer und Kleiderschränke aussehen, welche Krankheiten sie haben, wann sie wo im Urlaub sind, wie ihr Charakter ist. Nachzulesen für alle, für immer", schreibt sie in der Petitionsbegründung.
Die Gefahren, wenn man Kinderbilder im Netz teilt
Flieder verweist auf die Gefahr, dass die Bilder der Kinder von jedem angesehen werden könnten – auch von Pädophilen, die diese Bilder in Darknet-Foren weiterverbreiten. Auch Mobbing, sogar Jahre nach dem Hochladen der Bilder, sieht sie als Risiko.
Die Polizei rät ebenfalls davon ab, Bilder von Kindern im Internet zu teilen. So schreibt das Landeskriminalamt Niedersachsen auf seiner Website: "Eltern ist oft nicht bewusst, dass hochgeladenes Bildmaterial auch nach einem Löschen immer noch im Netz existiert und somit frei verfügbar ist." Das Deutsche Kinderhilfswerk pocht, wie Flieder, auf die Einhaltung der Kinderrechte im digitalen Raum. Sharenting führt laut einer Studie des Deutschen Kinderhilfswerkes "oftmals zu einer gravierenden Gefährdung der Persönlichkeitsrechte von Kindern".
Welche Gesetze schützen Kinder?
In Deutschland gibt es auch in Bezug auf Kinderfotos auf Social Media Gesetze. Laut dem Bundesfamilienministerium, das auf eine Anfrage von "RedaktionsNetzwerk Deutschland" antwortete, ist dieser Schutz grundsätzlich auch gewährleistet. Die Sprecherin sagte gegenüber dem RND, dass sich Bestimmungen dazu sowohl in der DSGVO als auch im Jugendschutzgesetz, in den EU-Kinderrechtskonventionen und im Jugendmedienschutzgesetz finden würden.
Sara Flieder kennt diese Gesetze, hält sie aber in der Praxis für nicht umsetzbar: "Wo kein Kläger, da auch kein Richter". Sie wirft Familien-Influencer:innen vor, mehrere von der UN-Kinderrechtskonvention festgelegte Kinderrechte zu verletzen, darunter den Schutz auf Privatsphäre und Ehre und den Schutz vor sexuellem Missbrauch.
Die Gesetze reichen nicht aus, findet Flieder
Aus diesem Grund will Flieder strengere Maßnahmen für gewerblich agierende Influencer:innen, die gesetzlich festgelegt werden. Sie fordert, dass sie sich in ihrer Arbeit künftig an folgende gesetzlich festgeschriebene Vorgaben halten müssen:
- Keine halbnackten (in Windeln oder Badesachen) oder gar nackten Bilder von Kindern
- Keine Informationen über Name und Wohnort der Kinder (Damit ist der genaue Wohnort gemeint, der Rückschlüsse auf die besuchte Kita/Schule ziehen lässt)
- Keine persönlichen Informationen über akute Krankheiten, Toilettengänge, Essverhalten
- Keine Kinder für Werbung, es sei denn, es ist gesetzlich geregelt und kontrolliert wie bei öffentlichen Werbedrehs/Shootings
- Kein Zeigen der privaten Räume der Kinder
- Keine Videos, in denen Kinder bloßgestellt werden (in denen sie fallen, von den Eltern geärgert werden, einen verschmierten Mund haben, auf der Toilette sitzen, in "lustigen" Positionen eingeschlafen sind etc.)
Viele dieser Motive und Informationen sind fester Bestandteil auf den Profilen von Familien-Influencer:innen. Flieder weiß aus eigener Erfahrung, wie viel man irgendwann über die betreffenden Kinder weiß. Als sie als Social-Media-Referentin für ein Kinderhilfswerk tätig war, verfolgte sie durch ihr berufliches Interesse vieler solcher Profile. Irgendwann, so erzählt sie es in einem Interview, habe sie sogar Kinder von Influencer:innen auf der Straße erkennen können – durch Bilder, die ihre Eltern gepostet hatten. Mit ihren Forderung nach mehr Kinderrechten im digitalen Raum will sie dieser Entwicklung nun einen Riegel vorschieben.
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