Erziehungstipps findet man jetzt auch auf Instagram überall. Was macht das mit einem, wenn einem ständig vor Augen geführt wird, wie man sein Kind (noch) besser großziehen kann? Unsere Autorin hat ungeahnte Erkenntnisse über ihren Erziehungsstil gewonnen.
Kleine Kinder gut beim Aufwachsen zu begleiten ist eine riesige Aufgabe. Sie kann einem den letzten Nerv rauben und gleichzeitig kann man unglaublich daran wachsen. Das Leben mit Kleinkindern schenkt einem Momente, die so schön sind, dass man kaum an sich halten kann – und welche, in denen man vor lauter Erschöpfung gar nicht mehr weiß, wo einem der Kopf steht.
Dass das Leben als Eltern kleiner Kinder manchmal richtig überfordernd sein kann, ist zum Glück heute kein Tabuthema mehr. Auf Instagram findet man inzwischen so viele "Momfluencerinnen", die auch die Herausforderungen des Elternglücks nicht aussparen. Das war lange Zeit gar nicht so selbstverständlich, da es auf vielen Accounts nach wie vor auch schlicht darum geht, ein heimeliges Familienidyll vorzuleben. Irgendwann hatten offenbar viele Mütter (und Väter?) genug von den stylischen, super ordentlichen Altbauwohnungen mit frischen Blumen auf dem Couchtisch. Von den pastellfarbenen Kinderzimmern mit sorgsam drapierten (Holz-)Spielsachen mit strahlenden Kindern und Eltern darin, die aussehen, wie aus dem Ei gepellt.
Der Trend geht zu mehr Realness auf Instagram
Heute plädieren einige Eltern, die ihr Elternsein auf Instagram teilen (sog. "Sharenting" ist nicht unproblematisch, wie ihr hier nachlesen könnt), für mehr Realness und zeigen auch das, was sonst eher im Verborgenen liegt: chaotische Wohnungen, Brei verschmierte Hochstühle, müde Mütter mit ungewaschenen Haaren. Sie berichten auch von harten Tagen, von Wutausbrüchen, Kinderkrankheiten und durchwachten Nächten. Von dem paradoxen Gefühl, völlig am Ende und gleichzeitig extrem dankbar zu sein für die kleinen Wesen, mit denen man zusammenlebt.
Als Mutter finde ich solchen Content ehrlich gesagt ganz sympathisch, weil ich mich so gut darin wiederfinden kann. Das Gefühl, nicht allein zu sein mit dem alltäglichen Struggle ist einfach Balsam für die Elternseele. Ungeschönt über Elternschaft zu sprechen ist insofern eine tolle Entwicklung, die auch offline zu mehr Realtalk und weniger "ja-klar-ist-alles-ganz-wunderbar-mit-den-Kleinen,-schließlich-wollte-ich-es-ja-so" führt.
Neu entdeckt: Erziehungs-Reels
Neuerdings begegnen mir auf Instagram aber auch immer mehr Erziehungstipps. Beikost, Babyschlaf, Montessori-Pädagogik – es gibt für jedes Thema den passenden Account. Ich werde förmlich überspült mit Reels zu bedürfnisorientierter Erziehung und mit Tipps, wie man schwierige Situationen mit Kleinkindern in der Autonomiephase besser auflösen kann.
Anfangs habe ich das alles aufgesaugt wie ein Schwamm. Wie die meisten Mütter möchte ich bei meinen Kindern alles richtig machen und sie optimal begleiten ("erziehen" sagt man eigentlich nicht mehr so richtig, es geht jetzt um Beziehung statt Erziehung). Ich versuchte also, die ganzen Ratschläge zu verinnerlichen und sie auch anzuwenden. Ich probierte zum Beispiel, mein Kind nicht so viel zu loben ("Sonst werden sie süchtig nach Lob"). Ästhetische Urteile sind ohnehin immer schlecht, also sollte man nie sagen, ein Bild sei "schön", sondern irgendwas anderes wie: "toll, dass du dir so viel Mühe damit gemacht hast".
Ich fand auch den Hinweis, dass man ein vor Wut tobendes Kleinkind nicht ablenken, sondern ihm durch die Gefühle hindurch helfen sollte, indem man seine Gefühle spiegelt ("du bist wütend"). Als ich das mal ausprobierte, kam ich mir etwas doof vor – aber geschadet hat es immerhin auch nicht.
Kopfchaos: Bin ich eine gute Mutter?
Viele Tipps, die ich dort gefunden habe, sind super und generell hilfreich. Trotzdem musste ich mich vom Erziehungs-Content wieder etwas distanzieren, weil die Unsicherheit in mir immer größer wurde. Ich habe ohnehin abends oft ein schlechtes Gewissen, weil ich an Fehler denke, die ich wieder gemacht habe und die meine Kinder nun für immer verkorksen werden. Das wurde durch die ganzen Tipps und Sinnsprüche nochmal verstärkt.
Es gibt diesen Spruch von der Wissenschaftsjournalistin Nicola Schmidt, die ganz viel über Erziehung schreibt: "Euer Alltag ist ihre Kindheit". Das stimmt natürlich und trotzdem setzt es einen als Elternteil ganz schön unter Druck. Denn gerade der Alltag ist es, der mit seiner engen Taktung Konfliktsituationen hervorruft. Natürlich sollte es unser Anspruch sein, diese stets zugewandt und achtsam aufzulösen. Trotzdem meine ich, dass gerade die überreflektierten modernen Jungeltern von heute nicht zu hart zu sich sein sollten. Eltern, die vor lauter Selbstkritik völlig verkrampfen, sind für Kinder bestimmt auch nicht gerade angenehm.
Weniger ist manchmal mehr
Der zweite Grund, weshalb ich viele Erziehungsvideos heute überscrolle, ist, dass ich durch zu viele Ratschläge und Vorbilder den Draht zu meiner Intuition verliere. Ich sitze dann vor dem Kind und im Kopf rattert es, was wohl in so und so einer Lage jetzt wohl am besten getan und gesagt werden sollte. Und das, so ist mir jetzt klar, möchte ich nicht. Ich möchte das Kind loben, wenn ich mich danach fühle. Denn sonst werde ich als Mutter unauthentisch. Das heißt nicht, dass ich nicht mehr bereit bin, dazuzulernen. Ich bin auch nicht der Meinung, dass ich als Mutter alles am besten weiß. Einiges schaue ich mir weiterhin gerne an. Ich habe nur auch gelernt, dass ich mich selbst als Wegweiserin nicht ganz vergessen sollte.
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