Organisieren, sich kümmern, immer alles im Blick haben – viele Frauen leiden durch ihre täglichen privaten und familiären Verpflichtungen an Überlastung. Das Paradoxe: Was sie alles leisten, wird kaum gesehen. Psychotherapeutin Miriam Junge erklärt, wie man der Mental-Load-Falle entkommt.
Mental Load – Was ist das eigentlich?
"Mental Load ist eine psychische Belastung, bei der es um Beziehungspflege und das Auffangen von persönlichen Bedürfnissen geht", erklärt Miriam Junge. Hier noch schnell ein Geburtstagsgeschenk für die Schwiegermutter kaufen, da noch den Geschirrspüler ausräumen und der Hund muss auch zur Tierärztin – all das ist Mental Load. Das Problem dabei ist aber nicht nur, dass Frauen all diese To-dos wie selbstverständlich überlassen werden: "In unserer Gesellschaft werden diese Aufgaben nicht als Arbeit wahrgenommen", so Junge. Und wenn (emotionale) Arbeit nicht gesehen wird, wird sie auch nicht wertgeschätzt.
Miriam Junge ist Psychotherapeutin, Life- und Businesscoachin. Ihr Buch "Kleine Schritte mit großer Wirkung" erschien 2019. Ein Jahr später folgte mit microhabit.de eine Onlinekurs-Plattform, auf der sie die Methode von Micro Habits in Form von Onlinekursen vermittelt.
Mental Load kann schnell zum psychischen Problem werden
"Dadurch, dass diese Arbeit nicht gesehen und wertgeschätzt wird, schätzt man auch selbst nicht mehr, was man eigentlich alles tut – und überschreitet ständig die eigenen Grenzen". Ein Teufelskreis. Und der kann für Betroffene schnell zum psychischen Problem werden – gesellschaftlich gesehen ist es jedenfalls längst eines. In einer repräsentativen Umfrage der Partnervermittlung ElitePartner gab jede dritte der befragten Frauen an, sich von den Aufgaben des Alltags manchmal überfordert zu fühlen. Nur rund jedem viertem Mann ging es so. Das Resultat: "Man ist erschöpft, fühlt sich vom Leben überanstrengt und kann dadurch Depressionen oder Angststörungen entwickeln", erklärt Miriam Junge. Die Crux an Mental Load: Viele Betroffene können gar nicht richtig einordnen, dass die Masse an To-dos erdrückend für sie ist – eben weil sie oft als Nichtigkeiten abgetan werden. "Gedanken sollte man sich machen, wenn man morgens aufwacht und sofort denkt: 'Was steht heute alles an, was muss ich alles erledigen?'", so die Psychologin.
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Warum übernehmen Frauen all diese Aufgaben – teils sogar bereitwillig?
Diese Frage stellt man sich natürlich unweigerlich, besonders in einer Zeit, in der Frauen feministisch und selbstbestimmt wie nie zuvor sind. Aber so einfach ist es dann doch nicht, wie Miriam Junge erläutert. Oft sind Glaubenssätze, die uns dazu bringen, uns immer mehr Mental Load aufzuhalsen, tief in uns verwurzelt. "Viele denken: 'Wenn ich das nicht mehr mache, bin ich egoistisch, außerdem wird das doch von mir erwartet, ich möchte niemanden enttäuschen' Das geht sehr häufig in die Richtung People Pleasing", berichtet Junge. Besonders Frauen würden sich oft davor scheuen, andere zurückzuweisen, weil es ihnen sehr wichtig sei, als sozial kompetent zu gelten. "Dabei kommt es auch darauf an, wie man selbst aufgewachsen ist: Anhand von Modelllernen übernehmen wir, was uns vorgelebt wurde. Wer besonders in der Kindheit immer Frauen in seinem Leben hatte, die anderen immer viel abgenommen haben, kopiert das unterbewusst".
Ein 'Nein' zu anderen ist meist ein 'Ja' zu einem selbst
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Was kann man gegen Mental Load tun?
Hat es sich in der Beziehung oder Familie erstmal eingeschlichen, dass Frauen einen Großteil der "Kleinigkeiten", wie sie gern abgetan werden, erledigen, kann es also schwierig für sie sein, plötzlich 'Nein' zu sagen und einzufordern, dass Verantwortung und To-dos aufgeteilt werden. Miriam Junge weiß das – und ist sich trotzdem sicher: Es ist wichtig, genau das zu tun. Es sei wichtig, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und die eigenen Grenzen zu kommunizieren, betont sie. "Ein 'Nein' zu anderen ist meist ein 'Ja' zu einem selbst". Um das bewerkstelligen zu können, müsse man auch den eigenen Perfektionismus in Griff kriegen, betont Junge. Denn: "Perfektionismus treibt Mental Load an". Und unser Selbstwert dürfe sich auf keinen Fall darüber definieren, was wir leisten.
Man muss aber auch verstehen: Mental Load entsteht grundsätzlich nicht nur durch das persönliche Versäumnis, "Nein" zu sagen, sondern auch durch gesellschaftliche Strukturen. Was kann man tun, um diese aufzubrechen? "Ganz wichtig: Darüber sprechen. Wenn man sich von dieser Masse an Verantwortung abgrenzt, sollte man darüber auch sprechen, zum Beispiel mit Bekannten oder Freundinnen – denn dann erfahren mehr Frauen von diesem Phänomen und tun es einem vielleicht gleich", sagt Junge.
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