"Hast du deine Zähne schon geputzt?", "Du kannst nicht nur den Nachtisch essen" oder "Nicht in diesem Ton!": Unsere Autorin hat sich dabei erwischt, wie sie das, was sie sich früher immer von ihren Eltern anhören musste, jetzt zu ihren eigenen Kindern sagt. Und fragt sich jetzt: Kann es sein, dass nicht alle "Eltern-Sätze" völliger Quatsch sind?
Eines Tages ist es mir einfach so rausgerutscht: "Jetzt reiß dich doch mal zusammen" sagte ich zu dem brüllenden Kleinkind, das zum fünften Mal die Handschuhe "richtig" und nicht "falsch" angezogen haben wollte. Das war – zu meiner Verteidigung – natürlich eine Stresssituation: Morgens, Kita-Aufbruch, Zeitdruck, alle Beteiligten waren schon leicht genervt. Das kleine Geschwisterkind schwitzte im dicken Schneeanzug und quengelte von der einen Seite während das größere auf der anderen sein persönliches Handschuhdrama erlebte.
Wo kommt das her?
Im Nachhinein ärgerte ich mich. "Reiß dich mal zusammen!" Das ist so ein Satz, den ich früher von meinen Eltern zu hören bekam und den ich niemals zu meinen eigenen Kindern sagen wollte. Ich erinnere mich genau daran, wie mich diese Aufforderung, mich doch bitte mal zusammenzureißen, nur immer noch wütender gemacht hat. Hilfreich fand ich das überhaupt nicht. Aus heutiger Sicht finde ich den Satz auch nicht richtig, denn in meinem Ideal von bedürfnisorientierter Erziehung sind alle Emotionen willkommen und das Kind soll sich nicht dafür schämen müssen, wütend, traurig oder aufgedreht oder was auch immer zu sein.
Wieso sage ich so etwas trotzdem? Wahrscheinlich, weil das Erbe der eigenen Erziehung noch tiefer in uns verwurzelt ist, als uns bewusst ist. "Viele sagen, sie wollen nicht wie ihre eigenen Eltern sein", sagt die britische Psychotherapeutin und Autorin Philippa Perry gegenüber dem Zeit Magazin. "Und dann merken wir, wie die Worte der Eltern trotzdem aus unserem Mund und die Taten durch unsere Hände kommen."
Wir geben das weiter, was wir selbst erfahren haben
Das weiterzugeben, was man als Kind selbst erfahren hat, ist laut Perry sehr weit verbreitet. Und eben das nicht zu tun, ist richtig schwer, selbst wenn man das Verhalten der eigenen Eltern nicht gutheißt, so liest man auch in ihrem Bestseller "Das Buch von dem du dir wünschst, deine Eltern hätten es gelesen". Das geht leider so weit, dass Menschen, die als Kind Gewalt erfahren haben, oft den eigenen Kindern gegenüber auch gewalttätig werden. Doch auch wenn das Verhältnis zu den Eltern insgesamt gut ist und man auf eine schöne Kindheit zurückschaut, gibt es immer Dinge, die man weitergeben möchte und welche, die man anders machen will.
Je länger ich über den besagten Satz sinniere, desto mehr muss ich auch ein wenig über mich selbst lachen. Denn was ich da gesagt habe, ist eben ein richtiger Eltern-Satz. Und weil ich noch nicht so lange Kinder habe, fühlt es sich manchmal noch komisch an, dass ich nun in der Position bin, solche Dinge zu sagen, die ich bisher nur aus der kindlichen Perspektive kannte.
Durchs Elternwerden ändert sich die Perspektive
Indem ich die Worte meiner eigenen Eltern wiederhole, versetze ich mich unbewusst ein wenig in sie hinein und dadurch kann ich ihr Verhalten plötzlich besser verstehen. Ich denke, dass mir die wahre Bedeutung mancher "Eltern-Sätze" erst jetzt bewusst wird oder ich zumindest erkennen kann, aus welchem Bedürfnis heraus sie kommen. Ich konnte zum Beispiel nie verstehen, wieso es meiner Mutter manchmal zu laut wurde und sie um mehr Ruhe gebeten hat. Oder warum es ihr wichtig war, dass wir freundlich miteinander sprechen.
Manche Eltern-Sätze haben durchaus ihre Berechtigung, finde ich. "Bevor wir hier spielen können, müssen wir aufräumen" zum Beispiel oder "Mehr Kekse/Eis/Bildschirmzeit gibt es nicht." Ich glaube, ohne Eltern-Sätze geht es gar nicht, sonst wäre man ja kein Elternteil. Manche sind natürlich total blöd, altbacken oder sogar schädlich. Die Kunst ist es, herauszufinden, welche zu uns selbst passen und welche wir eigentlich nur ungefragt nachplappern. Das mit dem Zusammenreißen möchte ich aus meinem Repertoire wieder streichen.
"Guck nach vorne, nach voooorne" rufe ich dem großen Kind hinterher, das gerade mit dem Radfahren anfängt. Das Gleiche hat mein Vater immer und immer wieder gesagt, bis es mich total genervt hat. Aber was soll ich sagen? Er hatte ja vielleicht gar nicht so unrecht.
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