Discovering Hands ist eine Organisation, die Sehbehinderte und Blinde ausbildet, ihren Tastsinn zur Brustkrebsvorsorge zu schulen. So funktioniert eine Tastuntersuchung – wir haben's ausprobiert.
Bei der Brustkrebsvorsorge gilt, je früher der Tumor erkannt wird, umso besser. Sehbehinderte und Blinde können schon kleinste Gewebeveränderungen ertasten
Ihre Hände sind kräftig. Muskulös und sensibel zugleich. Caroline Schoeniger ist sehbehindert und arbeitet als MTU, Medizinisch-Taktile Untersucherin. Sie wird von der Organisation discovering hands in gynäkologischen Praxen in Hamburg eingesetzt. discovering hands bildet Blinde und Sehbehinderte aus, ihren außergewöhnlich guten Tastsinn für die Erkennung von Brusttumoren zu nutzen. Caroline hat grünen Star auf beiden Augen und war schon als Kind extrem kurzsichtig. Eine Erbkrankheit. Als sie Ende 20 ist, hat sie bereits -30 Dioptrin. Ihr Sehvermögen schwankt stark, genau wie das Sichtfeld, mehrfach wurde sie bereits an den Augen operiert. Bis vor einigen Jahren arbeitete sie noch als Grafikerin, gestaltete Magazine, doch der Job fiel ihr immer schwerer. Bis sie sich irgendwann eingestand, dass sie sich Gedanken um eine Umschulung machen müsste.
Ich wollte auf keinen Fall im Büro sitzen und schnöde Daten verarbeiten. Ich wollte Frauen helfen.
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Bei einer Informationsveranstaltung erfuhr sie von discovering hands und war sofort begeistert. Sie absolvierte eine neunmonatige Ausbildung zur MTU (Medizinisch-Taktile Untersucherin) in Berlin, arbeitete anschließend bei verschiedenen Hamburger Gynäkologen. Caroline Schoeniger kann Knoten in der Brust erkennen, die wesentlich kleiner sind als die, die eine Frauenärztin bei einer Routineabtastung erkennen könnte. MTUs ertasten 30% mehr Gewebeveränderungen als Ärzte. Und wesentlich kleinere: Eine Medizinisch-Taktile Untersucherin kann Tumore in der Größe ab 6 Millimetern finden, ein Gynäkologe meist erst ab ein Zentimeter.
Taktile Brustabtastung - unser Selbstversuch
Wie diese taktile Brustuntersuchung durch eine MTU funktioniert, möchte ich einmal ausprobieren. Vor der Untersuchung klärt Caroline mit mir einige Details zu meiner gesundheitlichen Vorgeschichte - zum Beispiel ob ich rauche, Alkohol trinke, ob und wie lange ich meine Kinder gestillt habe, und ob ich mich regelmäßig nicht nur von meiner Gynäkologin untersuchen lasse, sondern meine Brust auch selbst abtaste. Danach geht es los. In der Praxis der Hamburger Frauenärztin von Roxana-Gabriela Anghel arbeitet Caroline Schoeniger einmal in der Woche. Als ich auf der Liege Platz nehme, klebt sie erst einmal Klebestreifen auf meine Brust - die dienen dazu, dass die sehbehinderten oder blinden MTUs die Brust in Zonen abscannen können und keine Partie vergessen. Dann tastet sie rund 30 Minuten meine Lymphknoten, die rechte und linke Brust ab. Außerdem streicht sie die Brust aus, um zu sehen, ob Flüssigkeit aus der Brustwarze tritt. Das macht sie alles so angenehm, dass selbst etwas festere Griffe gar nicht unangenehm sind.
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Erspüren – aber nicht behandeln
Findet Caroline etwas, markiert sie die Stelle mit einem Stift - um die Patientin anschließend zur Ärztin der Praxis herüberzuschicken. Dort wird dann mit einer Sonografie geklärt, ob die Brust noch genauer untersucht werden sollte und die Patientin zur Mammografie überwiesen wird. Diagnosen darf Caroline nämlich nicht stellen. Besorgte Frauen betreut sie mitfühlend, ihr ist wichtig, an der Krankengeschichte der Frauen dranzubleiben. Caroline Schoeniger will wissen, ob ihre Entdeckung tatsächlich eine krankhafte Veränderung des Brustgewebes war. Und sie untersucht auch Frauen, die bereits in der Vergangenheit an Brustkrebs erkrankten und engmaschig kontrolliert werden müssen. Wichtig ist ihr, darauf hinzuweisen, dass die Taktilographie keine Sono- oder Mammografie ersetzen kann. Sie ist eine perfekte Ergänzung und vor allem in der Früherkennung von Brustkrebs unglaublich wertvoll.
Ich bin erstaunt, dass so wenige Frauen ihre Brust selbst abtasten. Viele fassen sich gar nicht so gern selbst an.
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Medizinisch Taktile Untersucherinnen schulen auch die Selbstachtastung
Die Tastexpertinnen von discovering hands geben auch Seminare und leiten Frauen darin an, ihre Brust selbst abzutasten und so schnell Veränderungen im Gewebe zu erspüren. Diesen Service können auch Firmen für ihre Mitarbeiterinnen buchen.
Fakten zum Thema Brustkrebs – so wichtig ist eine gute Vorsorge
- Jedes Jahr erkranken in Deutschland rund 70.000 Frauen an Brustkrebs. Das bedeutet: Jede achte Frau erkrankt im Laufe ihres Lebens.
- Die häufigste Krebsart für Frauen und nach wie vor eine der häufigsten Todesursachen.
- Eine frühzeitige Erkennung der Krankheit ist wichtig, sie bestimmt Therapie und Überlebenschancen.
- Ab einem Alter von 50 Jahren übernehmen die Krankenkassen alle zwei Jahre eine Mammografie.
- Aber: 20% der Brustkrebserkrankungen betreffen Frauen unter 50.
- Die Taktilographie will die klassischen Vorsorgeuntersuchungen ergänzen – nicht ersetzen! Mammografie oder Sonografie müssen Teil des Vorsorgeprogramms sein.
- Die Kosten für eine Tastuntersuchung tragen bereits zwölf gesetzliche und alle privaten Krankenkassen, ansonsten zahlen Frauen 46,50 Euro. Eine Übersicht über die Krankenkassen gibt discovering hands.
- Eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung McKinsey und ashoka (eine Non-Profit-Organisation zur Förderung von sozialem Unternehmertum) zeigt: Die flächendeckende Taktilographie könnte nicht nur unzähligen Frauen Krankheit und Leid ersparen, sondern sogar jährlich 80 bis 160 Millionen Euro einsparen.
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