Manche Menschen sagen von sich, sie wären grundsätzlich chaotisch veranlagt, könnten deshalb nur schlecht strukturiert arbeiten. Und tatsächlich kann Schusseligkeit genetisch bedingt sein. Die Psychologie zeigt aber auch: Man kann sich trotzdem fast alles aneignen, auch Strukturiertheit. Sechs Tipps für den Start.
Alle, die mit anderen Menschen zusammenarbeiten oder es jemals getan haben, dürften es kennen: Es gibt immer jemanden im Team, der oder die scheinbar nicht fähig ist, strukturiert zu arbeiten. Diese eine Vorgesetzte, die ständig vergisst, wichtige To-dos zu verteilen oder der eine Kollege, der seine Termine andauernd verschwitzt. Oder man ist es sogar selbst – und es fällt einem schlicht unfassbar schwer, seine Aufgaben zu strukturieren und sich selbst zu organisieren.
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Als Kolleg:in ist man da schnell mal genervt. Im Zweifelsfall ist aber Nachsicht geboten. Denn, so zeigt es die Wissenschaft, für manche Menschen ist es tatsächlich schwieriger, strukturiert und organisiert zu arbeiten als für andere. Ein Forschungsteam der Universität Bonn konnte nachweisen, dass Schusseligkeit bei manchen schlicht in den Genen liegt – und somit auch vererbt werden kann. Kann man in so einem Fall trotzdem lernen, strukturiert zu sein? Das Sprichwort "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr" gibt es ja wohl nicht umsonst. Oder?
Nicht Willenskraft sei der Schlüssel, sondern Gewohnheit
Die US-amerikanische Psychologie-Professorin Wendy Wood würde das so wohl nicht unterschreiben. Sie ist der Ansicht: Wir können uns fast alles aneignen. Aber nicht, wie viele denken, durch pure Willenskraft und Disziplin, sondern vor allem durch Gewohnheiten, wie sie der "SZ" in einem Interview sagt. Der Schlüssel liegt für sie darin, Routinen zu entwickeln. Statt sich also permanent durchbeißen zu müssen, soll einen die Macht der Gewohnheit langfristig ans Ziel bringen. Tatsächlich besteht ein beträchtlicher Teil unseres Alltags ohnehin aus Routinen. Denn unser Gehirn wäre maßlos überfordert, wenn es jede kleine Handlung bewusst steuern müsste.
Nicht für alle dürfte dieser Ansatz jedoch gleich einfach sein. Eine Ausnahme könnten zum Beispiel neurodivergente Menschen darstellen. Für sie kann es zu einer Strapaze werden, Gewohnheiten zu etablieren, sagt die Autismus-Fachberaterin und ADHS-Trainerin Michaela Hartl dem "Standard" in einem Interview.
Für den Anfang kann es deshalb ratsam sein, langsam zu starten. Diese sechs Tipps helfen dabei.
Strukturiertheit lernen: Mit diesen 6 Gewohnheiten wird es leichter
Jeden Tag eine To-do-Liste für den nächsten Tag erstellen
Damit behältst du immer einen groben Überblick, was zu tun ist. Wenn dir das Notizbuch zu oldschool ist, kannst du einfach Apps oder anderweitige elektronische Listen nutzen. Egal, wofür du dich entscheidest, wichtig dabei: Die Aufgaben sollten nicht so viel Zeit in Anspruch nehmen, dass du ohnehin keine Chance hast, die Punkte an einem Tag abzuarbeiten. Ansonsten ist Frustration vorprogrammiert. Von vornherein einen zeitlichen Puffer einzuplanen hilft außerdem dabei, dich auf spontan eintreffende und dringliche To-dos einzustellen. Ein Tipp für all jene, die Aufgaben für ganz unterschiedliche Bereiche erledigen müssen: Farbliche Markierungen helfen, die To-dos klar voneinander abzugrenzen.
Prioritäten setzen
Ein absolutes Muss für strukturiertes Arbeiten ist es, allen Aufgaben eine Priorität zuzuordnen. Dafür gibt es verschiedene Methoden: Die sogenannte 1-3-5 Regel besagt, dass auf einer To-do-Liste eine große beziehungsweise zeitintensive Aufgabe, drei Aufgaben, die mit mittlerem Aufwand verbunden sind sowie etwa fünf, die man schneller erledigen kann, stehen sollten. Das Eisenhower-Modell ist schon etwas komplizierter, aber ebenso effizient. Die Grundidee des Prinzips ist es, Aufgaben zu kategorisieren, um besser entscheiden zu können, welchen To-dos man sich zuerst widmet. Die beiden wichtigsten Kriterien sind dabei die Wichtigkeit und Dringlichkeit.
Welches Modell zur Priorisierung am besten für dich geeignet ist, hängt letztlich nicht nur von deiner persönlichen Präferenz, sondern auch von deinen beruflichen Aufgaben ab. Wenn du zum Beispiel fast nur mit Aufgaben mit ähnlicher Wichtigkeit arbeitest oder keine Kolleg:innen hast, die Aufgaben übernehmen können, hast du vom Eisenhower-Modell wahrscheinlich eher weniger. Für welche Methode du dich auch entscheidest, wichtig ist vor allem, dass die Priorisierung dir den Arbeitsalltag erleichtert.
Konkrete Ziele erarbeiten
Ziele sind essentiell, wenn man strukturiert arbeiten möchte. Sie motivieren uns und helfen dabei, Dinge voranzubringen. Im Trubel des Arbeitsalltags verliert man seine Ziele allerdings schnell aus den Augen. Deshalb ist es hilfreich, sich in regelmäßigen mit seinen Vorhaben und der Frage, was genau man erreichen möchte, zu beschäftigen. Wichtig dabei ist, dass du dir möglichst kurz-, mittel- und langfristige Ziele setzt, damit du dich selbst nicht überforderst und regelmäßig Erfolge feiern kannst. Kurzfristige Ziele, etwa ein wichtiges Projekt zu Ende zu bringen, können innerhalb weniger Wochen umgesetzt werden. Mittelfristige Ziele können innerhalb eines Jahres erreicht werden, langfristige gehen darüber hinaus.
Zeitfenster für Routine-Aufgaben einplanen
Unser Gehirn ist nicht auf Multitasking ausgelegt. Stattdessen springt es ständig zwischen verschiedenen To-dos umher – auf Dauer kann das kräftezehrend sein und in jedem Fall mindert es die Konzentration. Feste Zeitfenster in den Arbeitsalltag einzuplanen, in denen du etwa nur E-Mails beantwortest, beugen diesem Belastungsstrudel vor und helfen dabei, strukturiert und stressfreier zu arbeiten.
Auf genügend Pausen achten
Kleine Pausen sind nicht nur nötig, um kurz verschnaufen zu können, sondern sollen laut Hirnforschung sogar die Produktivität steigern, wenn sie richtig dosiert werden. Der Strategieberater und "Positive Organizations"-Professor Scott Sonenshein schreibt im Buch "Glücklich im Job, glücklich im Leben", das er mit Aufräumen-Beraterin Marie Kondo geschrieben hat: "Abgesehen davon, dass Sie Ihrem Gehirn Zeit geben, sich zu erholen, hilft eine kleine Auszeit neuen Ideen auf die Sprünge." Die Wissenschaftlerinnen Emily Hunter und Cindy Wu von der Baylor University in Texas fanden in einer Studie heraus, dass die Häufigkeit der Pausen dabei eine größere Rolle spielt als deren Länge. Sie empfehlen an einem 9-Stunden-Tag sechs kleine Pausen nach jeweils eineinhalb Stunden Arbeit für die maximale Erholung.
Geduldig mit sich sein
Große Veränderungen geschehen nicht von heute auf morgen. Je nachdem, wie schwer es dir fällt, Ordnung und Struktur in den häufig stressigen Arbeitsalltag zu integrieren, kann dieser Prozess eine Weile dauern. Geduld mit dir selbst ist unschätzbar wichtig, damit du nicht nach kurzer Zeit völlig überfordert von deinen Erwartungen an dich selbst bist und vielleicht sogar frustriert das Handtuch wirfst.
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