"Quiet Quitting" war der große Jobtrend des letzten Jahres, jetzt könnte sein Nachfolger gefunden sein. Das Phänomen "Rage Applying" dient unzufriedenen Angestellten als Ventil für ihren Frust und als schnellen Ausweg aus ihrer derzeitigen Jobsituation. Was steckt hinter dem Trend?
Neuer Jobtrend Rage Appyling
Die letzten Jahre waren von Dauerkrisen geprägt, die auch im Arbeitsleben weitreichende Folgen hatten: erst die Pandemie, jetzt die Inflation. Zwar rechnen Personalleiter:innen für 2023 mit spürbaren Lohnsteigerungen bis zu 5,5 Prozent – aber schon jetzt macht sich ein Großteil der Deutschen laut einer Umfrage Sorgen, ihre Rechnungen nicht bezahlen zu können.
Bei allen, die in diesen herausfordernden Zeiten keine Aussicht auf eine Beförderung oder eine Gehaltserhöhung haben, baut sich schnell Frust auf. Arbeitnehmer:innen rufen jetzt in sozialen Medien einen neuen Jobtrend aus, der in solchen Situationen schnell Abhilfe schaffen soll: Rage Applying.
Lies auch:
- Beim Vorstellungsgespräch in Erinnerung bleiben – das sind die Top-Tipps
- Quiet Firing: Warum Arbeitgeber:innen ihre Angestellten rausekeln
- "Career Cushioning": So kann man sich durch einen Plan B in der Karriere absichern
- Richtig kündigen: Wie gelingt ein Abgang mit Stil? Der ultimative Exit-Knigge
Was ist Rage Applying?
Es ist ein neues Buzzword für ein Phänomen, das auf den ersten Blick so alt ist wie die Arbeitswelt selbst: Wenn Mitarbeiter:innen unzufrieden sind, suchen sie sich einen neuen Job. Aber es ist eben doch nur auf den ersten Blick nicht neu. Denn die jüngsten Generationen am Arbeitsmarkt, die Millennials und die Gen Z, die diesen Trend maßgeblich prägen, machen es doch ein wenig anders als vorige. Beim Rage Applying geht es nämlich nicht darum, eine sorgfältig formulierte Bewerbung an ausgewählte Unternehmen zu schicken, es bezeichnet vielmehr das wilde Bewerben bei vielen, teils Dutzenden verschiedenen Arbeitgebern gleichzeitig.
Fehlende Wertschätzung als Grund für Rage Applying
Arbeitnehmer:innen, die Rage Applying betreiben und ihre Wut-Bewerbungen rausschicken, tun das in der Hoffnung, ihren alten Job so schnell wie möglich hinter sich zu lassen und bald zu besseren Bedingungen arbeiten zu können. In erster Linie treiben junge Arbeitnehmer:innen diesen Trend voran. Sie trifft die schlechte Wirtschaftslage häufig besonders, da sie im Gegensatz zu älteren Angestellten oft noch keine oder nicht genug finanzielle Rücklagen haben. Ihnen fehlt also häufig die monetäre Sicherheit, um die schlechte Wirtschaftslage gut abzufedern.
Im US-"Business Insider" berichtet beispielsweise eine junge Frau von ihren Erfahrungen: "Nachdem ich mich ziemlich aufgebracht bei vielen verschiedenen Jobs beworben habe, habe ich in weniger als einer Woche mehrere Jobangebote bekommen". Was sie dazu gebracht hat? Das Gefühl, in ihrem alten Job nicht genug wertgeschätzt zu werden, weil sie vergeblich auf eine Beförderung hoffte.
Bringt das was?
Kann man sich also tatsächlich Vorteile von der etwas ungewöhnlichen Methode erhoffen? Der Job-Experte Jack Kelly ist sich da nicht so sicher. Es sei keine effektive Strategie, aufgebracht voreilige Entscheidungen im beruflichen Kontext zu treffen, schreibt er im Wirtschaftsmagazin "Forbes". Für Personalabteilungen könne es ein rotes Tuch sein, wenn Bewerber:innen ihren Frust und ihr Ressentiment, die beim Rage Applying meist eine übergeordnete Rolle spielen, mit in ein Bewerbungsgespräch nehmen. Kelly warnt außerdem davor, dass man sich beim Impuls-Bewerben nicht die Zeit nehme, Job-Angebote gut zu überdenken – und dadurch womöglich eines annimmt, das einen letztlich nicht erfüllt.
Jungen Menschen ist der Job nicht mehr so wichtig wie zuvor
Der Trend ist außerdem ein Beleg für eine Entwicklung der Arbeitswelt, die Expert:innen schon länger beobachten, insbesondere bei jungen Menschen: Die Bindung an den eigenen Job unter Arbeitnehmer:innen nimmt immer weiter ab. In einer repräsentativen Umfrage des Markt- und Meinungsforschungsinstituts YouGov, die letzten September veröffentlicht wurde, sagten beispielsweise nur noch 58 Prozent der unter 25-Jährigen, dass sie sich ein Leben ohne Beruf nicht vorstellen könnten. Zwei Jahre davor waren das noch 69 Prozent gewesen.
Was die Gen Z und Millennials wollen
Mit einer solchen Haltung – dass der Job eben nicht essentiell ist für ein erfülltes Leben – verändern sich auch die Anforderungen an Jobs. Das beobachten auch Expert:innen. So sagt Torsten Withake, Chef der nordrhein-westfälischen Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit: "Es verwundert nicht, dass die Anforderung von Unternehmen wie auch die Erwartungen der Beschäftigten an ihr Arbeits- und Alltagsleben sich rasant verändern".
Was wünschen die Gen Z und Millennials sich also vom eigenen Job? Eine globale Studie mit 35.000 Befragten, die von "Business Insider" zitiert wird, zeigt: Junge Menschen wollen vor allem eine Stelle, die zu ihnen passt und die sie erfüllt. Jede:r Zweite würde demnach sogar lieber arbeitslos als unglücklich im Job sein. Geld spielt aber nach wie vor eine Rolle, das zeigt nicht nur das Phänomen Rage Applying, sondern auch die Studie "Jugend in Deutschland".
Auch Geld wird jungen Arbeitnehmer:innen wichtiger
Die größte Sorge junger Menschen hierzulande ist demnach die Inflation – dadurch haben sich ihre Erwartungen an Beruf und Arbeit verschoben. Geld liegt im Motivations-Ranking mit 60 Prozent mit großem Abstand vor Spaß (40 Prozent) und dem Erreichen von Zielen (33 Prozent).
Der Studienleiter sagt dazu: "Was wir hier beobachten, ist kein neuer Materialismus, sondern eine Form von Existenzialismus. Junge Menschen sehen ihrer finanziellen Zukunft mit großer Sorge entgegen, und um sich für die Zukunft abzusichern, benötigen sie Geld."
Mehr Themen: