Neue Angewohnheiten etablieren und alte loswerden – wie funktioniert das? Und stimmt es tatsächlich, dass man dafür nur 21 Tage braucht? Der Faktencheck über neue Gewohnheiten.
Die Macht der Gewohnheit...ist nicht per se etwas Schlechtes
Wie viele von unseren täglichen Handlungen von Gewohnheiten beeinflusst werden, lässt sich nur schwer schätzen, weil das individuell unterschiedlich ist. Der Professor für Sozialpsychologie Bas Verplanken, der sich seit über 20 Jahren mit dem Einfluss von Angewohnheiten auf unser Leben und Wesen beschäftigt, geht allerdings von rund 30 bis 50 Prozent aus. Gewohnheiten haben meist einen schlechten Ruf – assoziieren wir sie doch sofort mit negativen Dingen wie Junkfood, Rauchen oder zu wenig Bewegung. Dabei sind sie an sich nichts Schlechtes. Wissenschaftler:innen gehen sogar davon aus, dass wir ohne sie nicht lebensfähig wären. Denn unser Gehirn wäre maßlos überfordert, wenn es jede kleine Handlung bewusst steuern müsste.
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Ohne Gewohnheiten wären wir außerdem nicht in der Lage, Neues zu lernen – weil unser Gehirn sich die neu erworbenen Fähigkeiten schlicht nicht merken könnte. In unserem Handlungsgedächtnis werden alle erfolgreichen Bewegungen und Handlungen abgespeichert, beim nächsten Mal erinnert sich das Gehirn daran. Dadurch werden neue Verknüpfungen in unserem Hirn geschaffen, die sich – wenn wir weiterhin am Ball bleiben und die Bewegungen bzw. Handlungen immer wieder durchführen – festigen. Irgendwann müssen wir sie dann nicht mehr bewusst ausführen, weil sie in unserem Unterbewusstsein angekommen sind.
Wie können wir neue Gewohnheiten langfristig etablieren?
Das Thema Gewohnheiten ist für die Wissenschaft ein wichtiges und vielfach untersuchtes Thema – einerseits, weil wir sie so dringend brauchen, andererseits, weil sie uns oft ausbremsen und wir uns mit ungesunden Gewohnheiten selbst schaden. Wir haben sechs Tipps aus der Wissenschaft, wie man neue Gewohnheiten langfristig etablieren kann, gesammelt.
1. Sich selbst nicht überfordern: Weil unser Gehirn die Routine braucht, hält es gerne an ihr fest. Es ist also ratsam, nicht alle guten Vorsätze (regelmäßig Sport, weniger Ungesundes essen, mit dem Rauchen aufhören...) auf einmal anzugehen. Das überfordert und lässt die Motivation bei Nichtgelingen des Vorhabens schnell in den Keller sinken. Stattdessen lieber mit dem, was einem besonders wichtig ist, starten – der Rest kommt danach. Es ist außerdem leichter für uns, neue Gewohnheiten zu etablieren, als alte Angewohnheiten loszulassen.
2. Ziele in Etappen aufteilen: Hat man sich große Vorsätze vorgenommen, gelingen diese eher, wenn man sie in kleinere Zwischenschritte unterteilt, erklärt der deutsche Biologe und Hirnforscher Gerhard Roth.
3. Sich nach (Teil-)Erfolgen belohnen: Wichtig ist laut Roth außerdem, sich selbst nach jedem Teilerfolg zu belohnen, um dem Gehirn positives Feedback zu geben. Mit der Zeit kann man die Abstände zwischen den Belohnungen vergrößern. Die Art, wie man sich selbst belohnt, sollte man dabei variieren – damit die Belohnungen nicht zur Gewohnheit werden und ihre Wirkung verlieren.
4. Eine neue Umgebung nutzen: Dan Ariely ist Professor für Psychologie und Verhaltensökonomik an der Duke University. Er empfiehlt, Gewohnheiten besonders dann zu ändern, wenn man in einer neuen Umgebung ist – etwa nach einem Umzug oder auch im Urlaub. Dort sind wir in der Regel nicht den Auslösereizen ausgesetzt, die uns in unserer gewohnten Umgebung dazu verleiten, unsere alten Angewohnheiten auszuleben.
5. "Habit Stacking" – Bestehende Muster nutzen, um neue zu schaffen: Gewohnheiten, die wir bereits verinnerlicht haben, müssen unser Vorhaben, neue zu etablieren, nicht unbedingt bremsen. Im Gegenteil – man kann sie sogar für den eigenen Vorteil nutzen. Wenn du dir zum Beispiel angewöhnen willst, jeden Morgen ein großes Glas Wasser zu trinken, kannst du das jedes Mal machen, wenn du deinen ersten Kaffee trinkst. Besonders effektiv ist diese Strategie, die von Verhaltensforscher:innen "Habit Stacking" genannt wird, weil es uns leichter fällt, neue Gewohnheiten mit bestehenden zu verknüpfen, als sie von Grund auf neu zu schaffen.
6. Gewohnheiten etablieren, die mit den eigenen Werten übereinstimmen:
Aus wissenschaftlicher Sicht ist einer der größten Motivationsfaktoren, wenn unsere Ziele mit unseren Werten übereinstimmen. Wenn man sich also gesünder ernähren will, um abzunehmen, dem Diätwahn innerlich aber längst abgeschworen hat, fällt es viel schwerer, dieses Ziel tatsächlich umzusetzen. Wenn wir uns dagegen etwas vornehmen, von dem wir überzeugt sind, kommt die Motivation ganz von allein.
Mythen rund um Gewohnheiten – was stimmt, was nicht?
Dass es nur 21 Tage braucht, um eine neue Gewohnheit zu etablieren, ist eine weit verbreitete Annahme. Aber stimmt sie auch? "Diese Idee stammt aus einem Selbsthilfebuch aus den 60er-Jahren und ist ehrlich gesagt lächerlich – die Grundaussage bezog sich auch nicht auf Gewohnheiten, sondern darauf, wie lange es dauert, bis man sich nach einer Schönheits-OP an das neue Spiegelbild gewöhnt", erklärt die britische Psychologin Wendy Wood. Auch hier hängt es von individuellen Faktoren ab, wie schnell man neue Gewohnheiten langfristig in das eigene Leben integrieren kann. Eine genaue Anzahl von Tagen kann man dabei nicht nennen, zumal man einige Angewohnheiten leichter etablieren kann als andere, weil sie weniger komplex oder aufwendig sind.
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