Nina Hoss gilt als Ausnahmetalent in Film, Fernsehen und Theater. Im EMOTION-Interview spricht sie über Lebensentscheidungen und den Mut, Neues zu wagen.
Nina Hoss: Die Schauspielerin im Interview
Wenn man so möchte, ist Nina Hoss wie heiße Pizza: Man kann einfach nie genug von ihr bekommen. Als Ausnahmetalent in Film, Fernsehen und Theater. Und als Mensch: Weil sie einerseits bodenständig und besonnen ist, andererseits aber immer bereit, Risiken für die Kunst einzugehen. Klar, dass wir alles lieben, was sie uns serviert. Bei Nina Hoss darf man kurz ruhig pathetisch werden: Ohne die enorm wandlungsfähige Schauspielerin und ihre facettenreiche Persönlichkeit wäre die deutsche Film- und Theaterlandschaft wesentlich ärmer. Bei unserem Interview ist die 44-Jährige hoch konzentriert bei der Sache, hört aufmerksam zu, gibt überlegte Antworten. Ihr großer Humor blitzt dabei immer durch, und ihr Lachen ist laut und mitreißend.
Ich habe immer das getan, wofür mein Herz brannte und kann bis jetzt in diesem Beruf so viel erleben, dass es nie aufhört, mich zu erfüllen.
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EMOTION: Ich habe den Trompeter Till Brönner einmal gefragt, welche Schauspieler*innen er am liebsten sieht. Seine Antwort: „In Hollywood kommt man ja aus dem Schwärmen gar nicht mehr raus. Aber auch in Deutschland gibt es viele gute. Wie Nina Hoss. Ich finde sie beispiellos.“
Nina Hoss: Das ist ja toll. Beispiellos ist allerhand, ein großes Wort! Darüber freue ich mich sehr.
Sie haben für Ihre Rolle als Geigenlehrerin in „Das Vorspiel“ den Douglas-Sirk-Preis erhalten und wurden beim Internationalen Filmfest von San Sebastián als besteHauptdarstellerin ausgezeichnet. Und seit Juli 2019 sind Sie auch noch Mitglied der Oscar-Academy.
Ich werde im Moment reich beschenkt. Ich habe ein großartiges Jahr hinter mir, in dem ich viele spannende Begegnungen hatte und die Projekte mich allesamt im besten Sinne herausgefordert haben. Wenn diese Arbeit dann auch noch Gefallen findet, ist das natürlich wunderbar. Im Allgemeinem ist mein Leben in dieser Beziehung wundersam geradlinig verlaufen: In mir brannte schon als Kind so eine Leidenschaft, ich war mir immer sicher, dass ich einmal Schauspielerin werden würde – und habe zielstrebig darauf hingearbeitet. Weil ich auf keinen Fall ein weiteres Jahr verlieren wollte, habe ich bereits während des Abis bei Schauspielschulen vorgesprochen. Ich empfinde es heute als Glück, dass ich so früh wusste, was meine Berufung ist. Ich habe immer das getan, wofür mein Herz brannte und kann bis jetzt in diesem Beruf so viel erleben, dass es nie aufhört, mich zu erfüllen. Ich fing sehr aufs Theater konzentriert an, kam mehr oder weniger durch Zufall zum Film und hatte nach „Das Mädchen Rosemarie“ die Chance, Theater und Film im Wechsel zu verbinden. Eigentlich ein Traum, dass das alles immer so möglich war und ist.
Habe ich mir meine Träume erfüllt? Bin ich glücklich? Diese Fragen treiben Ihre Figur der Anna in „Das Vorspiel“ um. Wie beschreiben Sie Ihre jetzige Lebensphase?
2019 habe ich fünf wunderschöne Arbeiten gedreht: den Kinofilm „Schwesterlein“ mit Lars Eidinger, die Netflix-Serie „Criminal“ mit Regisseur Oliver Hirschbiegel, die ZDF-Serie „Shadowplay“ mit Taylor Kitsch und Michael C. Hall, „Pelikanblut“ und eben „Das Vorspiel“. Ich bin in einer Phase, die mir großen Spaß macht. Ich habe Lust darauf, beweglich zu sein. Ich bin neugierig. Ich habe Lust auf Risiko. Im Moment fühle ich mich irgendwie ... frisch.
Das klingt nach Aufbruch.
Ich habe einfach für den Augenblick eine Pause vom Theaterspielen eingelegt. Das tut mir gut, nicht durch dieses Korsett der Auftrittstermine eingeschränkt zu sein, das gibt mir eine große Freiheit: Etwas fliegt an mir vorüber – und ich kann einfach zugreifen, wenn ich ein Projekt interessant finde, ohne mich erst mal absprechen zu müssen. Ich musste zuletzt sechs Monate im Voraus Auftrittstermine zusagen, ich kam mir schon vor wie eine Opernsängerin. Das hat mich in letzter Zeit doch ein bisschen angestrengt, obwohl ich das Theater sehr liebe. Es ist schade, dass das nicht so gut damit zusammengeht, vor der Kamera zu stehen. Ich habe beschlossen, diese Auszeit zu genießen – um danach vielleicht wieder umso größere Lust zu haben, auf der Bühne zu stehen.
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Anna leidet an Minderwertigkeitskomplexen, an Versagensangst. Kannten Sie das in irgendeinem Alter auch?
Das klingt vielleicht komisch, aber minderwertig habe ich mich noch nie gefühlt. Vielleicht gab es Situationen, in denen ich noch nicht so weit war oder wusste, ich hätte es besser machen können. Ich kenne es auch, dass ich mir selbst im Weg gestanden habe und mit einer Arbeit nicht so weit gekommen bin, wie ich gern gekommen wäre. Aber ich habe mich dann nicht minderwertig gefühlt, sondern wusste, was da passiert ist. So starkes Lampenfieber, dass es mir die Freude am Spielen genommen hätte, hatte ich zum Glück noch nie. Das stelle ich mir ganz schrecklich vor, sich selbst mit seiner Angst zu versagen so sehr im Weg zu stehen, dass du deinen Beruf nicht mehr ausüben kannst, so wie es bei Anna der Fall ist. Aber natürlich kenne ich Ängste und Zweifel, habe öfter schwankend vor der Frage gestanden: Wage ich einen neuen Schritt? Packe ich die Aufgabe?
Jon Bon Jovi, mit dem auch Ihr Freund, der Musikproduzent Alex Silva, zusammengearbeitet hat, sagt: „Erfolg heißt, neunmal hinzufallen und zehnmal aufzustehen.“
Das ist sehr amerikanisch: der Fight, sich durchkämpfen, sich nicht unterkriegen lassen. Da ist was dran. Aber für mich ist Erfolg, wenn da innen und außen was zusammenkommt. Wenn ich Erfolg habe und selbst gar nicht zufrieden bin, ist das fast schrecklich. Für mich ist der größte Erfolg, wenn etwas anerkannt wird, hinter dem ich selbst hundertprozentig stehe. Man kann sich aber auch Misserfolge erlauben, sie sind sogar wichtig, denn diese Erfahrungen nehmen einem die Angst: Man geht dadurch nicht unter, es geht weiter. Es wird nur schlimm, wenn du dir selbst zu viel Druck machst und dann erst gar nicht zu etwas kommst. Wenn man es schafft, diesen Misserfolg loszulassen, was natürlich nicht einfach ist in dem Moment, dann hat man danach mehr Freude am Risiko. Ich zumindest finde es aufregend, ohne Absicherung in eine Szene hineinzugehen, den Moment zu erleben und so zu manchmal Unvorhergesehenem zu kommen. Das kann Angst machen, aber nach dieser Freiheit im Spiel habe ich schon immer gesucht. Und da hilft natürlich der Zuspruch und auch der Erfolg deiner Arbeiten ganz ungemein, weil es dir Selbstsicherheit gibt.
Gehen Sie insgesamt improvisierend durchs Leben oder sind Sie im Alltag super strukturiert?
Ich bin jemand, der ungeliebte Dinge wie Papierkram gerne nach hinten verschiebt. Nachher denke ich immer: Warum hast du das nicht schon früher gemacht, war ja eigentlich gar nicht so ein Drama. Aber dieses Alltagsgedöns langweilt mich. Ich bin da nicht so ein beflissener Mensch. Alles, was mit meiner Arbeit zusammenhängt, entspannt mich hingegen.
Eine Szene, die mich sehr berührt hat in „Das Vorspiel“: Annas Mann spielt ihr eine Aufnahme vor, auf dem sie zu Beginn ihrer Karriere als Geigerin zu hören ist. Auf ihre Frage „Wer spielt das? Klingt unfertig!“, antwortet er: „Das ist ja das Schöne.“ Wie würden Sie rückblickend Ihren Weg zu Ihrem heutigen Ich beschreiben?
In meinen Zwanzigern war ich noch sehr auf der Suche, dachte aber, ich wüsste schon alles. Alles schien möglich, ich war neugierig, vielleicht naiver, auch ein bisschen verbissener. Das ließ in den Dreißigern nach. Ich werde zunehmend offener, je älter ich werde. Ich weiß inzwischen viel mehr, aber dadurch habe ich eigentlich viel mehr Fragen. Vielleicht studiere ich doch irgendwann Philosophie, wie ich schon immer wollte.
Meine Eltern haben mich so erzogen, dass ich nie auf die Idee gekommen wäre, dass irgendjemand weniger wert ist als ich.
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Ihre Eltern – die Schauspielerin Heidemarie Rohweder und der Politiker Willi Hoss – hatten immer ein offenes Haus für Menschen aus allen Kulturkreisen und sozialen Schichten. Wie hat Sie diese Offenheit geprägt?
Als ich ganz klein war, wurden bei uns im Wohnzimmer Gewerkschaftstreffen abgehalten. Die Gastarbeiter aus Italien, Griechenland, Jugoslawien und der Türkei hatten keine Betriebsräte, die ihre Sprache sprachen. Deswegen hat mein Vater diese Gruppe gegründet, durch die ich mit Kindern aus ganz vielen Nationen zusammenkam. Meine Eltern haben mich so erzogen, dass ich nie auf die Idee gekommen wäre, dass irgendjemand weniger wert ist als ich. Als ich später begriffen habe, dass das nicht der Normalfall ist, war das ein richtiges Schockerlebnis für mich.
Wie fühlte sich Ihre Kindheit an?
Durch diese große Zuwendung und die Tatsache, dass ich mich immer ernst genommen gefühlt habe von meinen Eltern, konnte ich mich in Sicherheit wiegen – und gleichzeitig habe ich mit ihnen jede Menge Abenteuer erlebt. Das finde ich eine ganz tolle Kombination! Das hat sich durch mein Leben gezogen, ich habe immer die Menschen gefunden, bei denen ich mich sicher gefühlt habe und mit denen ich umso mehr Wagnisse eingehen konnte. Wie zum Beispiel mit dem Regisseur Christian Petzold, mit dem ich in sechs Filmen zusammengearbeitet habe, aber auch anderen auf meinem Weg.
Sicherheit und Abenteuer: Leben Sie diese Kombination auch in Ihrer Beziehung?
Ja. Mit Alex habe ich jemanden an meiner Seite, mit dem ich darüber sprechen kann, wenn etwas nicht gelingt, wenn ich verzweifelt bin. Ohne in irgendeiner Form verurteilt, beurteilt zu werden. Bei uns ist das witzigerweise so ein Wechselspiel: Wenn der eine ein bisschen hadert, ist der andere oben und kann ihn auffangen. Alex sagt immer: Go for it! Andersherum ist es genauso: Wenn er ein halbes Jahr woandershin müsste, aber mit einem irren Künstler arbeiten könnte, würde ich ihn bestärken: Das musst du machen; wir kriegen das hin. Diese Erfahrungen machen einen ja auch wieder neugierig aufeinander.
Das Leben ist zu kurz, um sich zu langweilen!
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Nach dem Motto: Nur kein Stillstand?
Ich würde wahnsinnig werden, wenn nichts in Bewegung wäre. Ich muss immer raus, mich in neue Situationen begeben. Ich habe auch Freundinnen in meinem Beruf, die das eher als Belastung empfinden, von zu Hause weg zu sein. Mich macht das nicht nervös, im Gegenteil: Da habe ich einfach Freude dran, ich fühle mich dadurch bereichert. Ich habe ein besonderes Leben: aufregend und ereignis- reich. Das Leben ist zu kurz, um sich zu langweilen! Nicht, dass ich etwas gegen Muße hätte, die brauche ich zum Ausgleich und kann sie genießen, aber ich empfinde es als Geschenk, dass es immer etwas Anregendes gibt, wo ich weiter denken, mich ausprobieren kann.
Je reifer man wird, desto eher hört man auf seine innere Stimme. Sagt Ihre: Ich mache nur noch, was ich will?
Eigentlich habe ich immer gemacht, was ich wollte. Zum Glück bekomme ich tolle Aufgaben angeboten. Aber ich bin mir bewusst, dass der Beruf risikobehaftet ist, dass es auch mal aufhören kann mit den Rollen. Ich sehe einfach zu viele Kollegen, die durch so Täler durchmüssen.
Was würden Sie tun, wenn der Erfolg mal ausbleiben sollte?
Dieser Gedanke macht mir keine Angst. Es wäre bestimmt erst mal schwierig, aber ich denke, dann würde ich mich auf zu neuen Ufern machen. Ich bin handwerklich nicht unbegabt, habe als Jugendliche geschreinert. Holz fasziniert mich als Arbeitsmaterial, das Entwerfen der Möbel ist eine hohe Kunst. Das würde mich reizen. Also, da habe ich keine Sorge: Mir würde bestimmt etwas einfallen.
Nina Hoss wurde 1975 in Stuttgart geboren. Sie studierte an der Hochschule für Schauspiel „Ernst Busch“ in Berlin und hatte 1996 ihren Durchbruch im Fernsehfilm „Das Mädchen Rosemarie“. Neben ihren Arbeiten mit Christian Petzold (z. B. „Barbara“, „Yella“) drehte sie u. a. „Nackt“ mit Doris Dörrie, „Die weiße Massai“ mit Hermine Huntgeburth und „Return to Montauk“ mit Volker Schlöndorff. Durch „A Most Wanted Man“ und die US-Serie „Homeland“ wurde sie auch international bekannt. „Das Vorspiel“ läuft aktuell im Kino, am 23.4. startet der Film „Pelikanblut“.