Luisa Neubauer gilt als deutsches Gesicht der von Greta Thunberg inspirierten "Fridays for Future". Wir haben die Klimaschutz-Aktivistin zum Gespräch getroffen.
Luisa Neubauer – wie tickt die deutsche Umwelt-Aktivistin?
Sie trifft mal eben Emmanuel Macron, diskutiert Wirtschaftsminister Peter Altmaier in Grund und Boden, bringt Tausende auf die Straße. Dabei ist Luisa Neubauer erst 23. Wie bitte?
Luisa Neubauer (geb. 1996 in Hamburg) gilt als deutsches Gesicht der von Greta Thunberg inspirierten "Fridays for Future". Nach dem Abi jobbte sie auf einem Öko-Bauernhof, heute studiert sie Geografie in Göttingen. Sie ist Bündnis 90/Die Grünen-Mitglied und war UN-Jugenddelegierte beim Weltklimagipfel. Mit EMOTION-Autorin Ulrike Bremm hat sie sich zum Gespräch getroffen.
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Ob sie genug schlafe, fragt ihre Mutter. Öfter, ob sie regelmäßig esse und zwischendurch Pausen einlege. Die Sorge ist berechtigt, gibt Luisa Neubauer zu. Müde sieht sie aus, als wir zu einem Kölner Café gehen. Dennoch wendet sie sich mir strahlend zu: "Und wie geht es dir?" Die 23-Jährige ist gefragt und bekommt entsprechend viele Anrufe. Wer mit ihr Zeit verbringt, muss teilen können: "Heute bin ich jede Sekunde online, um Dinge auf den Weg zu bringen", sagt die Mitorganisatorin der Klimastreik-Bewegung "Fridays for Future".
EMOTION: Ganz ehrlich: Ich kann deine Mutter verstehen ...
Luisa Neubauer: Meine Mum ist keine Helikopter-Mutter, aber sie sieht mich als jemand, der viel unterwegs ist und unter großem Druck steht. Nach drei Kindern hat sie wahrscheinlich gedacht: Ich habe alles erlebt, jetzt kann nichts mehr schiefgehen. Dann komme ich und mache so was wie spontan das Europaparlament in Brüssel zu besetzen.
Bei der Europawahl wurden die Grünen in Deutschland mit 20,5 Prozent zweistärkste Kraft. Ist das auch der Verdienst von euren Demos?
Ich scheue mich davor, es als unseren Verdienst zu beanspruchen, aber es ist sicherlich eine Folge davon, dass wir Klimapolitik öffentlich zum Thema gemacht haben. Ich hoffe, dass Klima- und Umweltpolitik in alle Parteien hineingetragen wird. Aber im Moment sind die Grünen offenbar die Einzigen, denen zugetraut wird, den Klimaschutz auch wirklich umzusetzen.
Treffen mit Politikern ernüchtern mich. Oft denke ich: Kein Wunder, dass wir in einer Krise stecken.
Luisa NeubauerTweet
Was ist Glück für dich?
Etwas aus dem Privileg zu machen, in einem Elternhaus aufgewachsen zu sein, in dem ich politisch gebildet, gefördert und irgendwo auch beschützt wurde.
Wer ist für dich ein Vorbild?
Ich finde den Begriff Vorbild schwierig. Im Zweifel vielleicht meine Großmutter. Sie war's, die sagte: "Leute, was verschlaft ihr hier gerade!" Sie hat die Klimakrise vor zehn Jahren auf meine Agenda gesetzt.
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Was ist das für ein Gefühl, dass du von jetzt auf gleich so ins Licht der Öffentlichkeit gerückt wurdest?
Das bekommt man selbst am wenigsten mit. Ich werde zwar erkannt, man kennt meinen Namen. Aber ich höre ja nicht, wie die Leute am Abendbrottisch über mich sprechen, sich eine Meinung über mich bilden. Natürlich gibt es merkwürdige Momente, aber das ist mehr ein kurzes Aufploppen: Ich gucke die „"Tagesschau" und auf einmal bin ich da drin. Oder ich sitze im Zug und merke, wie die Leute mich googeln und meinen Wikipedia-Artikel durchscrollen.
Ihr Handy vibriert in der Tasche. "Entschuldigung", sagt sie und vertröstet Cornelius von der FFF-Ortsgruppe Aachen auf "heute zwischen 17.15 und 17.30 Uhr".
Schaltest du dein Telefon jemals aus?
Nachts kommen nur wenige Menschen durch. Vieles landet bei mir, auch einige internationale Anfragen kanalisiere ich- Vieles überschlägt sich gerade. Ich selbst brauche diese 100.000 Whatsapp-Nachrichten definitiv nicht. Aber an sich ist es fantastisch, dass die 500 Gruppen sich vernetzen, bestärken, gemeinsam planen. Und wir werden immer internationaler, ich schreibe zum Beispiel auch mit Menschen in Nigeria oder Indien, die Klimastreiks organisieren.
Du hast Barack Obama und Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron getroffen. Wie erlebst du die Gespräche mit wichtigen Politikern?
In der überwiegenden Mehrheit ernüchternd. Ich gehe aus vielen dieser Gespräche raus und denke: Kein Wunder, dass wir in dieser Krise stecken!
Fühlst du dich und euer Anliegen von Politikern ernst genommen?
Wenn sie es bisher nicht gemacht haben, würde ich ihnen empfehlen, das jetzt zu machen. Offensichtlich wirkt es sich auch an der Wahlurne aus, wenn man das nicht tut, denn eine breite Masse macht sich Sorgen um unseren Planeten. Auf Augenhöhe mit jungen Menschen wie mir zu sprechen, gelingt aber den allerwenigsten. Wir hören ganz oft wohlwollend-herablassend: "Schön, dass ihr für den Klimaschutz auf die Straße geht, aber nur wir Älteren sehen die globalen Zusammenhänge." Kaum jemand traut uns zu, dass wir uns eine Meinung bilden und sie artikulieren, uns organisieren und finanzieren können. Das Potenzial meiner Generation wird chronisch unterschätzt.
Wo willst du hin, in persönlicher und beruflicher Hinsicht?
Ich weiß noch nicht mal, wo ich in einem Monat sein werde, insofern sehe ich diese Frage prozessual. Ich lerne jeden Tag etwas dazu, erfahre, was mich glücklich macht. Ich bin, glaube ich, ganz gut zu begeistern: Ich schreibe, erzähle, diskutiere, moderiere und plane gerne. Ich liebe es, tagelang in der Bibliothek zu sitzen, Unmengen an Kaffee zu trinken und Bücher von alten weißen Männern wie Foucault oder Sartre zu lesen, die meinen, mir die Welt erklären zu können. Im Idealfall werde ich mich auch in der Zukunft ins politische Geschehen einbringen, für den Planeten und die zukünftigen Generationen.
Auch in einem politischen Amt?
Ich erlebe gerade so viel Bereicherndes – den Alltag im Bundestag stelle ich mir dagegen nicht wirklich inspirierend vor.
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Was würdest du tun, wenn du eine Stunde am Tag nur für dich selbst nutzen dürftest?
Kochen, Klavier spielen, Zeit mit engen Freunden und der Familie verbringen. Jeden Tag laufen – das ist sonst das Erste, was ich streiche, wenn jemand anruft, der nach Hilfe fragt. Ein fixer Termin meiner Woche ist der Sonntagabend: Dann gucke ich mit meiner WG-Mitbewohnerin in Göttingen "Tatort". Das bedeutet mir viel.
Welchen Prominenten würdest du gern mal privat treffen?
Ich merke, dass meine Frage Luisa irritiert. Sie schaut zu Boden und überlegt lange.
Wenn ich mich zwischen Thomas Gottschalk und meiner Großmutter entscheiden sollte, müsste ich keinen Augenblick überlegen. Dass Leute durch ein Talent berühmt geworden sind, ist cool für sie – ich wüsste aber nicht genau, warum ich mit denen reden sollte. Ich finde es auch befremdlich, wenn mir jemand sagt: "Ich kann gar nicht glauben, dass ich dich treffe!" Außer Barack Obama, der war tatsächlich spannend. Aber viel lieber als irgendeinen Schauspieler oder Sänger würde ich Intellektuelle treffen wie Noam Chomsky ...
Luisa entdeckt ein Fernsehteam vom WDR, mit dem sie verabredet ist. Sie entschuldigt sich, sie wolle das Fernsehinterview nur kurz dazwischenschieben. Schnell zieht sie mit den Fingern ihren Mittelscheitel noch mal nach, guckt prüfend in ein Schaufenster, während sie auf das TV-Team zugeht. Sie begrüßt den Reporter mit Handschlag, stellt sich vor die Kamera – und redet wortreich und gestikulierend. Offenbar hat sie die Fähigkeit, schnell umzuswitchen, sich auf neue Situationen und Menschen einzustellen. Als sie sich wieder an unserem Tisch niedergelassen hat, führt sie das Gespräch fort, als hätte keine Unterbrechung stattgefunden.
Mit welchen Adjektiven fühlst du dich treffend beschrieben?
Komische Frage. Das beantworte ich nicht so gerne, da kann man nur überheblich klingen. Im Zweifel ausdauernd, gleichzeitig ungeduldig. Und ich finde, ich bin auch relativ humorvoll, aber das ist gefährlich, weil das schnell ins Ironische abdriftet. Ich glaube, manche nehmen mich als recht empathisch war. Ich bin sehr geprägt von der Aussage in „The Great Gatsby“, dass man einen Menschen nicht vorschnell beurteilen sollte. Ich bin gestresst, komme von drei Terminen? Ein anderer aber vielleicht auch. Man steckt andere so schnell in eine Schublade.
Gibt es etwas, was du im Rückblick nicht noch mal machen würdest?
Etwas Gravierendes, was wirklich ein Schuss in den Ofen war, fällt mir nicht ein. Aber ich habe sicherlich eine Million dumme Sachen gemacht. Ich bin sehr abenteuerlustig, und beim Klettersteigen geht es bei mir manchmal ein bisschen suizidal zu. Es heißt ja, man bereut eher die Sachen, die man nicht gemacht hat.
Was würdest du dich trotzdem niemals trauen?
Ich würde es mich schon trauen, aber würde es meiner Umwelt nicht unbedingt zumuten wollen, solo zu singen.
Am Gymnasium meiner Tochter gebe ich einen Reportage-Kurs. Auf die Interviewfrage, was ihnen für ihre Zukunft wichtig ist, antworten die Teenager immer wieder: ein großes Haus.
Vielleicht assoziieren sie damit, ein gefestigtes Umfeld zu haben, sozioökonomisch abgesichert zu sein. Wegen meines Engagements habe ich meinen Job als studentische Hilfskraft an der Uni gerade gekündigt. Ich verspüre nicht das Verlangen, in Zukunft viel Geld zu haben – was soll ich damit? Diese Aussage ist natürlich auch wieder wahnsinnig privilegiert. Wie das aussehen würde, wenn ich eine Familie hätte, ist noch mal eine ganz andere Frage. Aber da bin ich noch gar nicht. Meine Schwester hat zwei Kinder, die ich sehr liebe, da kann ich mich familiär erst mal ausleben.
Luisa holt eine Bürste aus der Tasche und fängt an, sich mit energischen Strichen die Haare zu bürsten. Sie trägt Concealer, Lidschatten und Mascara auf und zieht sich die Augenbrauen nach. Nach unserem Gespräch werde sie von einem befreundeten Fotografen abgeholt, dem sie sich für eine Arbeit als Model zur Verfügung stelle, erklärt sie auf meine Frage hin. Ich staune darüber, dass sie gleichzeitig reden und sich die Lippen anmalen kann.
Wann hast du zuletzt gefeiert?
Das ist noch gar nicht so lange her: Vor zwei Wochen habe ich mit meiner Mitbewohnerin Freunde eingeladen und die Nacht durchgetanzt. "Keine halben Sachen!", heißt es bei uns in der Familie immer. Das bedeutet aber auch: kein halbes Bier.
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