Liv Lisa Fries: Der "Babylon Berlin"-Star spricht im Interview mit EMOTION über Neuanfänge und ihre Sehnsucht nach Langeweile.
Liv Lisa Fries: "Babylon Berlin"-Star im Interview
Sie ist total unprätentiös, von Starallüren keine Spur. Liv Lisa Fries weiß, was sie will – und was nicht. Und sie weiß auch, dass sie gut ist, dass ihr Erfolg verdient ist. Dennoch lässt sie Sätze fallen wie: „Dass Tom Tykwer mich ernsthaft um meine Meinung bittet, ist kaum zu glauben.“ Unter der Regie von ihm, Henk Handloegten und Achim von Borries ist die 29-Jährige jetzt in der dritten Staffel von „Babylon Berlin“ zu sehen.
Ich muss das Gefühl haben, ich kann der Rolle etwas geben, aber die Rolle kann auch mir etwas geben.
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EMOTION: Du sitzt als Schauspielerin fest im Sattel, seit du 2006 in „Schimanski“ zu sehen warst.
Liv Lisa Fries: Ich habe mir viel von Götz George abgeguckt, der seinen Beruf sehr ernst genommen hat. Er konnte schon vor dem ersten Drehtag den Text für den gesamten Film. Einmal wollte er mit mir den Text für den nächsten Tag durchgehen, aber ich lerne den meist erst am Vorabend in Gänze auswendig. Er hat mich mit großen Augen angeguckt und die Welt nicht verstanden. Aber er fand es total cool, als ich damals mit einer gewissen Schnoddrigkeit sagte: „Ich mache es auf meine Art – ich heiße ja nicht Liv George ...“ Ich bin wirklich sehr diszipliniert und gewissenhaft, da muss ich nicht noch zusätzlich eine von außen aufgezwungene Etikette erfüllen. Ich habe keine Lust, allen nach dem Mund zu reden.
Inwiefern hat „Babylon Berlin“ dein Leben verändert?
Ich fühle mich zuweilen beobachtet – das ist ein neues Element in meinem Leben. Nach „Babylon Berlin“ waren alle total aufgeregt, geradezu ekstatisch, wenn sie mich getroffen haben. Die Leute haben in der Serie so lange in mein Gesicht geguckt, die erkennen mich auf der Straße mittlerweile sogar unter meiner Kapuze. Ich versuche herauszufinden, wie ich damit umgehe. Ich will das aktiv gestalten. Manchmal sind die Menschen so glücklich, wenn sie mich sehen – wie weise ich die nicht zurück und bewahre gleichzeitig einen Raum für mich? Wahrscheinlich, weil ich schon genug angeguckt werde auf dem Bildschirm, will ich mich beschützen vor Blicken und Gedanken, vor privaten Fragen wie: Habe ich einen Freund? Zehn Kinder? Bin ich lesbisch? Was machen meine Eltern beruflich? Viele Leute bewerten einen, das finde ich anstrengend. Zumal sie mich ja nur über meine Rollen definieren und gar nicht wissen, wer ich wirklich bin.
Und wer bist du?
Das muss ich selber erst mal herausfinden. Was mich interessiert, ist die Suche danach. Natürlich interessieren mich auch die Antworten – es ist auch ein Stück weit beruhigend, sagen zu können: Ich weiß, wer ich bin. Wobei: Selbst wenn ich das irgendwann sagen kann, ist es ja nicht so, dass ich mich dann nicht mehr mit mir beschäftigen müsste. Sich selbst kennenzulernen ist ein immerwährender Prozess.
Nein, das Leben muss nicht immer ein Feuerwerk sein; es muss nicht alles spektakulär sein – es kann auch einfach mal nur okay sein. Oder sogar langweilig.
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In der „Babylon“-Rolle der Charlotte machst du deinen Weg ohne Wenn und Aber. Was wünschst du dir für dein Leben? Welche Ziele hast du?
Ich bin kein Fan von Überlegungen wie: „Wenn ich erst das und das erreicht habe, ist es gut.“ Es ist gut, wie es ist. Und wenn ich so zurückblicke, war das, was bisher geschah, schon sehr schön. Deshalb habe ich vielleicht auch nicht so wahnsinnig Angst vor dem Tod. Ich habe schon so viel erlebt – das reicht eigentlich für ein ganzes Leben. „Von jedem Tag will ich was haben, was ich nicht vergesse“, hat der Liedermacher Gerhard Gundermann in „Männer und Frauen“ gesungen. Das ist doch eine wunderbare Lebensmaxime. Was genau den Einzelnen berührt, kann persönlich variieren. Das braucht gar nicht immer wahnsinnig geil zu sein. Ob bei Instagram oder auch sonst, die Tendenz geht ja immer mehr dahin, dass alles toll sein muss, eine einzige Euphorie-Orgie. Und das transportiert man dann in seinen Alltag und denkt, das muss genauso auch bei mir sein. Nein, das Leben muss nicht immer ein Feuerwerk sein; es muss nicht alles spektakulär sein – es kann auch einfach mal nur okay sein. Oder sogar langweilig. Das ist immer ein Wunsch von mir, mich ab und zu richtig zu langweilen.
Das klingt in der Tat erstrebenswert!
Und neulich ist mir das sogar mal wieder gelungen. Das Schöne ist ja: Daraus, dass man sich einfach mal treiben lässt, entsteht wieder etwas – und zwar im Zweifelsfall etwas anderes, als man vielleicht erwartet hat. Ich gehe immer mal woanders lang oder gucke irgendwohin, wo ich noch nie hingeguckt habe – zum Beispiel auf diese Kerbe hier in der Wand meines Stammcafés. Apropos sich treiben lassen: Ein einigermaßen begradigtes Flussbett zu haben, ist sicher sinnvoll im Leben, aber ich finde es generell schöner, wenn alles mäandert. Ich stehe überhaupt nicht auf Druck. Heute muss alles so wahnsinnig schnell gehen. Ich möchte in Ruhe nachdenken können, bevor ich agiere.
Nimmst du dir denn die Zeit dafür?
Auf jeden Fall. Oft ist mir alles zu terminlich, es gibt so viel Taktung – das wird mir manchmal zu viel. Mein Kalender darf nicht zu voll werden, ich brauche immer ein bisschen Luft, damit ich mich in Balance fühle. So bereite ich auch meine Rollen vor: schon sehr genau, aber dennoch mit etwas Zeit, sonst habe ich da gar keinen Bock drauf. Ich weiß ja nicht, was mein Gegenüber machen wird, darauf will ich doch eingehen können. Wenn ich da fest in meinen vermeintlich perfekten Kokon eingesponnen bin, bin ich nicht flexibel für Interaktion, für eine Begegnung.
„Begegnung“ ist übrigens mein erklärtes Lieblingswort ...
Das kann ich gut nachvollziehen. Mich mit anderen auszutauschen, ist auch meine Devise. Wenn man an einer Figur, an einer Erkenntnis herumfeilt oder in Gedankenketten hängt, sind Gespräche oft erleichternd und bereichernd. Mein absoluter Lieblingssatz von Tom Tykwer: „Ich wünsche mir ein bisschen mehr Diskurs!“ Ich finde oft beim Reden eine Lösung, da manifestiert sich etwas durchs Aussprechen, Gedanken bilden sich weiter. Man kann von Begegnungen profitieren. Wobei: Wir reden ständig. Wenn mir irgendetwas zu viel wird, beruhigt es mich, einfach mal in die Wolken zu gucken. Zu beobachten, wie sich die unterschiedlichen Schichten immer wieder neu formieren – das ist ein schönes Bild fürs Dasein, für die Wandlungen des Lebens.
Ich finde es richtig sexy, wenn ich sehe, dass jemand mal loslässt.
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Wolkengucken ist auch eine meiner Lieblingsbeschäftigungen!
Die Wolken vorüberziehen sehen und im Flow sein. Weder reden noch denken. Ich finde es richtig sexy, wenn ich sehe, dass jemand mal loslässt. Jeder von uns hält an seinem Image, an seinen Konstrukten fest. Umso schöner, wenn man dabei zugucken kann, wie sich Leute zurücklehnen und ausatmen.
Wenn du die Möglichkeit hättest, die Reset-Taste für dein Leben zu drücken: Was würdest du beim zweiten Versuch anders machen?
Ich müsste gar nichts ändern. Meine Ängste, Probleme und Sorgen haben mich dort hingeführt, wo ich gerade bin, und das ist ja okay für mich. Was ich mir allerdings wünschte: weniger ängstlich zu sein, mir weniger Gedanken zu machen über die Meinung anderer Menschen. Wie viele möchte ich gemocht werden; ich kriege keine freudigen Gefühle, wenn ich weiß, dass jemand mich blöd findet. Ich könnte natürlich darüberstehen, mehr Selbstbewusstsein haben und sagen: So bin ich halt.
Was hält dich davon ab?
Vielleicht ist es darin begründet, dass ich in meinem Beruf mit Kritik arbeite, da ist es meine permanente Aufgabe, nicht zuzumachen. Möglicherweise bin ich dadurch auch im real life offen für Kritik. Ich finde es interessant, wenn mir jemand sagt: „Hast du denn mal darüber nachgedacht?“ oder „Du könntest es doch auch mal so machen ...“
Aber?
Es irritiert mich, wenn mir jemand sagt: „Ich find’ dich gut – nur deine Hose ist nicht so cool.“ Vor Kurzem habe ich das Buch „Weiblichkeit im Aufbruch“ von der ägyptischen Feministin Nora Amin gelesen. Sie schreibt: In dem Moment, in dem man in die Gesellschaft rausgeht, unter die Augen der anderen, fängt man auf einmal an, sich Gedanken über den Blick von außen zu machen. Darüber, wie man wahrgenommen wird. Die Frage ist: Wie kann man es schaffen, sich mit anderen genauso wohl und frei zu fühlen wie mit sich selbst? Es dreht sich nicht alles um einen selbst, man muss wegkommen von diesem egozentrierten Weltbild. Und nicht dauernd kategorisieren, in Schubladen stecken, wozu man unwillkürlich neigt. Die isst Bioschokolade, die trägt einen Rucksack von dieser oder jener Marke – da fängt mein Gehirn unwillkürlich an zu überlegen: Was sagt das über diejenige?
Wann hast du zuletzt einen Neuanfang gewagt?
Innerlich täglich. Mein Leben ist jeden Tag anders, deshalb brauche ich vielleicht nicht so einen radikalen Wandel – zumal ich mich wohlfühle mit dem, was ich tue. Im Grunde ist jede Rolle eine Art Neuanfang, genau wie die Weiterentwicklung der Charlotte in den neuen Folgen von „Babylon Berlin“. Nach zwei intensiven Projekten hintereinander – „Staudamm“, in dem ich die Überlebende eines Amoklaufs gespielt habe, sowie „Und morgen Mittag bin ich tot“, wofür ich mich ein halbes Jahr auf die Rolle einer Mukoviszidose-Kranken vorbereitet habe – habe ich beschlossen, nicht mehr so viele Rollen anzunehmen. Ich könnte sehr viel mehr drehen, als ich drehe. Dass ich das nicht tue, hat den Hintergrund, dass ich Raum für mich brauche, um zu reflektieren und zu verarbeiten. Die Projekte nehmen viel Lebenszeit in Anspruch – und meine Zeit ist mir kostbar.
Bevor ich mich um die Zukunft kümmern kann, habe ich das Gefühl: Ich muss erst mal hinterherkommen bei allem, was gerade so im Leben passiert.
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Wonach wählst du deine Rollen aus?
Ich frage mich immer: Fühle ich mich wohl mit dem Filmteam, respektiert und gesehen, will ich mit denen arbeiten? Ich habe den Job nie für Geld gemacht. Da ich anfangs noch zur Schule gegangen bin und bei meinen Eltern gewohnt habe, habe ich die Gage nicht gebraucht. Geld ist auch heute noch nicht meine Antriebsfeder. Das Schauspielen macht mir einfach Spaß – auch wenn es natürlich Momente gibt, in denen es superanstrengend ist. Sagen wir besser: Es bereichert mich. Ich muss das Gefühl haben, ich kann der Rolle etwas geben, aber die Rolle kann auch mir etwas geben. Wenn keine Angebote mehr kämen, die mich inspirierten, würde ich etwas ganz anderes machen. Einen Neuanfang wagen.
„Babylon Berlin“ spielt in den Goldenen Zwanzigern, zu Zeiten des Wirtschaftsaufschwungs. Wofür gibst du ohne zu zögern Geld aus?
Ich bin gar nicht so ein heftiger Konsument, aber: für Reisen, gutes Essen, Sachen, die mich spirituell und geistig inspirieren wie etwa ein Tanz-Workshop.
Wie legst du dein Geld an?
Ich habe Anteile an einem Fonds gekauft, der in erneuerbare Energien investiert, da ich als Freiberuflerin keine nennenswerte Rente bekommen werde. Das ist natürlich keine unspannende Frage, aber ich bin 29, da kann ich mich auch noch irgendwann anders damit beschäftigen. Zunächst mal habe ich damit zu tun, die Welt zu kapieren, die wahnsinnig komplex ist und immer undurchsichtiger wird. Mein Wunsch ist, dass es mir selbst gut geht. Dann engagiere ich mich für andere(s). Bevor ich mich um die Zukunft kümmern kann, habe ich das Gefühl: Ich muss erst mal hinterherkommen bei allem, was gerade so im Leben passiert.
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