Die letzten zwei, drei Jahre waren für Joy Denalane emotional eine Achterbahnfahrt. Trauer, Abschied, Aufbruch und jetzt Lust auf das, was kommt – über all das sprachen wir mit der Sängerin.
Wow, wir konnten es selbst kaum glauben, aber es ist über sechs Jahre her, dass Joy Denalane uns zum Cover-Shooting getroffen hatte. Seitdem ist viel passiert. Bei Joy und in der Welt. Ihr Album "Let Yourself Be Loved" hatte sie beim legendären Motown-Label eingespielt und sich für den Release mitten in der Pandemie entschieden! Denn wenn sie "Dringlichkeit" spürt, lässt sie sich von so einem Virus nicht aufhalten. Dass ihre Söhne Isaiah und Jamil aus dem Haus gehen, wollte sie gar nicht aufhalten – "das ist ja ein schöner Moment, wenn man als Eltern das Gefühl hat, die gehen ihren Weg", sagt sie und guckt dabei nur ein klitzekleines bisschen wehmütig. Eigentlich wollten ihr Mann, Max Herre, und sie nach dem Auszug der Jungs reisen. Aber wie das bei Musik-Besessenen so ist – die intensivste Reise wird dann oft: neue Musik. Zum Zeitpunkt des Interviews war Joy gerade in Johannesburg, der Heimat ihres Vaters, um das Video für "Happy" aufzunehmen. In dem Song steckt viel vom Spirit ihres neuen Albums, das im Oktober erschienen ist: "Willpower" – intensiver Happysad-Soul von einer Frau, die was vom Leben weiß!
Joy, du bist im Juni 50 geworden, die Jungs sind aus dem Haus, jetzt erscheint "Willpower" – wie geht es dir?
Hervorragend! Die 50 war mir ziemlich egal. Ich war schon davor an dem Punkt, dass ich manchmal überlegen musste, bin ich gerade 47, 48, 49? Aber der 50. gilt ja als eine Art Meilenstein. Ich bin jetzt in dem Alter, das es einem erlaubt, zurückzublicken. Wenn die Kinder frisch aus dem Haus sind, tritt das Leben natürlich in eine neue Phase. Für mich hängt das aber gar nicht an diesem Geburtstag, sondern daran, wie sich mein Leben in den letzten zwei, drei Jahren entwickelt hat.
Für Paare ist es keine ganz ungefährliche Zeit, wenn die Kinder ausziehen. Wie gelingt Max und dir das, euch immer wieder mit frischen Augen zu sehen? Seid ihr gut darin?
Ich finde, ja. Aber wie wir das machen, kann ich dir nicht sagen. Vor Kurzem hat mich jemand zur Liebesexpertin erklärt, aber ich habe keine Tipps für andere. Die Beziehungen, die man eingeht, erzeugen ja ganz unterschiedliche Dynamiken. Mit einem anderen Mann wäre ich vielleicht eine andere geworden.
Könnt ihr euch noch überraschen?
Unsere Ausgangssituation ist schon deshalb ungewöhnlich, weil wir durch die Musik beide ständig unterwegs sind. Wir können uns Welten bauen, in denen wir unsere eigenen Erfahrungen machen. Aber wenn ich irgendwas erlebe, ist Max immer der, dem ich davon erzählen will. Und ich finde ihn einfach herausragend gut in dem, was er macht. Ich mag's, wie er an Sachen herangeht, dass dieser Hunger nicht verloren geht. Und ich glaube, er würde über mich was Ähnliches sagen.
Worauf seid ihr hungrig?
Das ist so eine Neugier auf die Welt. Und ich merke inzwischen, dass die gar nicht alle selbstverständlich haben. Dieser Hunger auf Neues macht uns aus: neue Leute kennenlernen, neue Dinge sehen, neue Musik hören, sie zu verstehen, zu analysieren, einfach darin aufzugehen ... das ist schon toll.
Brauchst du andere Menschen um dich?
Ich bin ziemlich lebensfroh und gespannt auf Menschen, aber ich bin auch sehr gerne mit mir selbst.
Ist mit deinen Söhnen auch der Mental Load ausgezogen, oder bist du eine WhatsApp-Mom, die weiter aus der Ferne für die Kids das Leben organisiert?
Das Mitdenken hat definitiv noch nicht aufgehört. Ich bin aber eher eine Telefon-Mutter und versuche die ganze Zeit vorauszusehen, was sein könnte. Wenn zum Beispiel eine Reise ansteht, rufe ich an: Hast du deinen Ausweis? Deinen Schlüssel? Und ich ruf wirklich so oft an, bis sie rangehen. (lacht)
In deinem Song "Fly By" singst du, das Glück lasse sich nicht festhalten, aber es würde dich jedes Mal aufs Neue finden. Woher nimmst du das Vertrauen?
Keine Ahnung. Wahrscheinlich ist das Teil meines Charakters in Kombination mit meiner Erziehung. Ich habe früh gelernt, ich kann mich nicht einfach aufs Glück verlassen, ich muss arbeiten, ich muss gut sein in dem, was ich mache. Ich muss auch manchmal die extra Meile gehen, um die Anerkennung zu bekommen, die vielleicht jemand, der anders aussieht, leichter bekommt.
Wie meinst du das?
Dieses Bewusstsein: Wie sehe ich aus, wie werde ich von der Mehrheitsgesellschaft kategorisiert – das habe ich schon ganz früh entwickelt. Und entsprechend habe ich meinen Weg gesucht und versucht, mich nicht davon abhängig zu machen, was andere von mir denken. Das ist so eine innere Haltung.
Ziehst du daraus auch eine innere Ruhe?
Also, ich würde mich schon als in mir ruhend beschreiben.
Du hast schon 2017 in EMOTION von rassistischen Erfahrungen erzählt. Seitdem ist in der Auseinandersetzung mit Rassismus viel passiert. Wie erlebst du das?
Das erlebe ich vermutlich so ähnlich wie du auch. Oder wie meinst du das?
Als Teil der "weißen" Mehrheitsgesellschaft ist mir Vieles erst durch die Debatten richtig bewusst geworden.
Dass endlich darüber gesprochen wird, ist toll. Und ich finde es wichtig, dass sich die Mehrheitsgesellschaft mit ihren Privilegien auseinandersetzt und sich fragt: Wieso habe ich das bisher nicht wahrgenommen? Es ist nicht leicht, sich kritisch zu hinterfragen. Wir stecken ja alle in unserem Alltag. Alle haben ihre individuellen Probleme. Da ist es manchmal schwer, vor allem, wenn man gar kein Gefühl dafür hat, wo man eigentlich privilegiert ist. Das kenn ich selbst ja auch...
Wobei fällt dir das auf?
Nimm mal Berlin. Für mich ist das eine Stadt, die man sich total gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erschließen kann. Das stimmt aber nur, wenn man gut zu Fuß ist und Treppen auf und ab steigen kann. Das meine ich mit Privileg – manchmal ist es einfach schwer, über den eigenen Horizont hinauszublicken. Weil: Aus der eigenen Sicht ist ja alles ganz okay. Und dann ist es eben schwer, sich von sich aus diese Gedanken zu machen.
Was wünschst du dir?
In den Schulbüchern meiner Kinder gab es noch viele Stereotype, und die beiden sind ja noch nicht lange aus der Schule. Da wird zum Beispiel gezeigt, wie Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt aussehen. Aus irgendeinem Grund sind alle weißen Menschen aus westlichen Ländern unglaublich gut gekleidet und super frisiert. Und die anderen sehen aus, als lebten sie in Hütten ohne Wasserzugang. Kinder sehen, da sind Leute, die sehen ärmlich aus, und dann gibt es Leute, die sehen eher aus wie ich – das macht was mit einem. Es muss da noch mehr in die Bildungsarbeit investiert werden, damit diese Stereotype nicht immer weiter vermittelt werden.
In "Happy", dem Song für deinen verstorbenen Vater, singst du, du seist "happy for the loss", wie meinst du das?
Das ist ein Paradox. Dadurch, dass ich mich so intensiv um ihn gekümmert habe, habe ich ihn noch mal ganz neu kennengelernt. Er war dement, aber er hat sein freundliches Wesen behalten, was schön für uns Kinder war. Als Geschwister haben wir wahnsinnig gut funktioniert und uns abwechselnd um ihn gekümmert. Er war eigentlich nie allein. Ich habe ihn beschützen können – und er konnte sich das gefallen lassen. Wir waren dieselbe Einheit, nur in neuer Rollenverteilung. Wir hatten wirklich schöne Stunden miteinander. Wir haben gelacht, gesungen und er hat viele Geschichten aus seiner Vergangenheit erzählt, die wir noch nicht kannten. Seine Erkrankung hat uns auf eine neue Art zusammengeführt und darüber bin ich sehr happy.
Auch, weil es bei deiner Mutter damals so anders war?
Meine Mutter hat ihre Krankheit damals ganz für sich behalten, sodass wir uns gar nicht richtig verabschieden konnten.
War da dadurch neben der Trauer auch Wut?
Nein, wütend war ich nie. Es tut mir eher leid. Meine Mutter war toll, eine großartige Mutter – meine Eltern waren beide sehr beliebt bei unseren Freunden. Meine Mutter konnte immer bei allen genau hinschauen, bei ihr selbst hat ihr, glaube ich, der Mut gefehlt. Auch deshalb war der Abschied von meinem Vater so anders. Ihn verloren zu haben, ist schon das Traurigste, was mir je passiert ist. Dadurch ist was in mir umprogrammiert worden, weil: Jetzt bin ich elternlos. Das ist eine Einsamkeit, die ich bis dahin nicht kannte. Und das ist auch das, was mich und mein Leben seit der letzten Platte am stärksten verändert hat.
Beschreibst du den Sound von "Willpower" deshalb als Happysad-Soul?
Der Song "Happy" ist super zentral für mich, und ich mag's auch, weil es so dynamisch ist, es ist sehr, sehr leise und ganz laut – happysad erfasst das schon wirklich gut.
Und wie viel erfasst das von dir?
Ich bin jemand, der sich seines Lebens freut. Ich habe viel Glück gehabt, tolle Menschen getroffen und durfte schöne Dinge erleben. Das trägt mich stark durchs Leben. Ich glaube, ich bin lustig, und ich halte mich für emotional großzügig. Ich finde es toll, dass es so viele Menschen gibt, die sich Mühe geben, etwas Gutes zu machen. Das finde ich inspirierend.
Joy, das klingt, als wärst du echt in Einklang mit dir.
Ja, ich mag, dass ich ich bin.
Dieser Artikel erschien erstmals in EMOTION 11/23.
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