Kann man Party machen, trinken, rauchen, lieben – und trotzdem gläubig sein? Lange war Elif zerrissen zwischen einem Entwederoder. Jetzt weiß sie: Sie kann alles sein. Die Sängerin spricht mit uns über lähmenden Schmerz und die Kraft, die sie aus ihm gezogen hat.
Dass diese Begegnung kein oberflächliches "Deshalb solltet ihr meine neue Platte kaufen"-Interview wird, war bei einem brutal ehrlichen Albumtitel wie "Endlich tut es wieder weh" von vornherein klar. Wenn Elif über ihre Musik spricht, spricht sie gleichzeitig auch über ihre Gefühle. Als wir über Zoom miteinander reden, ist die Berlinerin einmal den Tränen nah. Pause zum Durchatmen? "Nee, weiter!", sagt sie. Immer durchpowern, nie aufgeben, nie die Hoffnung verlieren, sondern wachsen, wachsen, wachsen. Egal, wie viel Schmerz dafür nötig ist. Das ist Elifs Learning aus den zurückliegenden Jahren. Eine beeindruckende Einstellung, bei der man spürt, sie hat der 30-Jährigen auch einiges an Kraft abverlangt. Woher nimmt sie die?
EMOTION: In deinem Song "Roses" besingst du Lieder, die dich an früher erinnern. Ich hab da noch eins für dich: "Don't Look Back in Anger" von Oasis. Wie schaust du heute auf deine Vergangenheit zurück? Hast du Frieden mit ihr geschlossen?
Elif: Ja, schon. Meine Zwanziger waren ziemlich turbulent. Ich habe einiges durchgemacht, viele Kämpfe hinter mir. Aber ich freue mich auf die Zeit, die jetzt kommt. Ich glaube, zwischen 30 und 40 passieren so viele neue, tolle Sachen.
Magst du das Gefühl von bittersüßer Nostalgie?
Ja, weil ich gut mit negativen Gefühlen umgehen kann. Darin bin ich geübt.
Mit guten Gefühlen nicht?
Wenn man Liebe immer mit Schmerz verbindet, dann ist das Gehirn erst mal verwirrt, wenn alles auf einmal gut läuft.
"Endlich tut es wieder weh", der Titel von deinem vierten Album, klingt, als wäre Schmerz für dich etwas Gutes.
Das ist interessant, jeder hat da so seine eigenen Interpretationen. Schon ein halbes Jahr, bevor mir der Albumtitel einfiel, ist mir bewusst geworden: Man muss Schmerz nicht nur negativ sehen. Vielleicht ist er einfach dafür da, dass man wächst. Manchmal hasse ich den Prozess, aber heute verstehe ich, dass es gut ist, wenn es wieder wehtut. Das bedeutet, dass ich vorankomme.
Blickst du so auch auf toxische Beziehungen zurück, die hinter dir liegen?
Die Erfahrungen, die ich gemacht habe, haben mich so viel stärker gemacht. Ich weiß, dass mir so etwas heute nicht mehr passieren würde. Ich erkenne mittlerweile viel schneller, wenn ich nicht mehr ich selbst bin. Aber es war sehr schwer, da rauszukommen.
Du hast dich aus einer schwierigen Beziehung befreien können. Hilft es dir, so jemanden ganz aus dem Leben zu streichen?
Wir hatten vor Kurzem ein Abschlussgespräch. Ich habe ihm inzwischen verziehen, weil ich weiß, dass es ihm von Herzen leidtut. Aber Freunde werden wir in diesem Leben nicht mehr, dafür fehlt das Vertrauen. Generell bin ich ein Mensch, der gut verzeihen kann. Ich habe schon Leuten verziehen, die wirklich Schlimmes getan haben. Das will ich mir bewahren, das ist mein Herz und ich möchte nicht nachtragend sein.
Verliebst du dich schnell?
Es passiert super selten, dass ich jemanden so richtig gern habe, weil ich nicht so schnell vertrauen kann. Aber wenn ich jemanden gern habe, dann fällt es mir sehr schwer, diesen Menschen loszulassen. Deswegen klingen meine Songs auch oft so intensiv.
Kannst du gut alleine sein?
Ich liebe es sogar so sehr, alleine zu sein, dass ich denke: Wow, ich müsste jemanden schon echt gern haben, um das aufzugeben. (lacht) Für mich ergibt das Konzept Beziehung im Moment keinen Sinn. Das bringt nur etwas, wenn man dafür 100 Prozent gibt, und ich weiß, dass das gerade nicht funktionieren würde.
Du hast mit 16 an der Castingshow "Popstars" teilgenommen, mit 17 deinen ersten Plattenvertrag unterschrieben. Bist du froh, dass du so früh schon so selbstständig warst?
Ja, weil ich jetzt, mit 30, schon 13, 14 Jahre Berufserfahrung habe. Das gibt mir sehr viel Sicherheit.
Von deinen Eltern hast du zu Beginn deiner Karriere wenig Unterstützung bekommen. Kannst du sie verstehen?
Sehr! Ich würde nicht wollen, dass meine Tochter in die Musikbranche einsteigt. Es ist einfach sehr krass. Ich kann von Glück reden, dass ich nicht drogenabhängig geworden bin. Ich hatte alle Voraussetzungen, um richtig abzustürzen. Wenn ich nicht so einen starken Charakter hätte, hätte das auch ganz anders laufen können.
Was hast du heute für ein Verhältnis zu deinen Eltern?
Ich will ja, dass meine Eltern mich so akzeptieren, wie ich bin. Das bedeutet aber auch, dass ich meine Eltern so akzeptieren muss, wie sie sind. Das musste ich erst mal verstehen. Ich versuche nicht mehr, sie zu verändern und andersherum genauso. Ich möchte nicht mehr gegen meine Eltern ankämpfen. Ich bewundere, was sie geschafft haben. Vier Kinder erziehen? Hut ab vor meiner Mutter!
Wie bist du als Kind mit Grenzen umgegangen, die dir gesetzt wurden?
Meine Schwester meinte letztens zu mir, für mich sei es zehnmal schlimmer gewesen als für sie, wenn uns etwas verboten wurde. Für mich war das immer wie Freiheitsentzug, das Ende der Welt … Ich bin ein sehr emotionaler Mensch, das habe ich von meiner Mutter. Im Gegensatz zu ihr kann ich das aber anders ausleben. Sie wurde in der Türkei geboren, da geht man anders damit um.
Wie gelingt es dir, deinen Glauben mit diesem Freiheitsdrang zu vereinen?
Das ist ein ewiger innerer Konflikt. Ich mache vieles, was aus religiöser Sicht nicht erlaubt ist, aber ich glaube, wichtig ist, nicht vom Weg abzukommen. Ich habe früher immer gedacht: Wenn ich das eine mache, dann darf ich das andere nicht sein.
Du meinst, wenn du dich als Musikerin offensiv inszenierst, kannst du nicht gläubig sein und umgekehrt?
Genau. Aber jetzt weiß ich: Das geht.
Von all deinen neuen Songs hat mich "Unendlichkeit" am meisten berührt. Worum geht es darin?
Ich hatte letztes Jahr einen Todesfall in der Familie. Es war das erste Mal, dass jemand gestorben ist, der mir so nahestand. Dieses Vermissen ist einfach anders, so endgültig. Es fühlt sich an wie: Lass mich nicht allein.
Wie bist du damit umgegangen?
Ich habe keine Termine abgesagt, hatte Fernsehshows und Fotoshootings, habe mich in die Arbeit gestürzt. Das Album mussten wir auch fertig machen. Zwischendrin habe ich getrauert, aber ich musste weitermachen, sonst wäre ich zerbrochen. Alle hätten verstanden, wenn ich eine Pause gebraucht hätte, aber das wollte ich nicht. Jedes Jahr ist für mich kostbar, ich habe noch so viel vor und will keine Zeit verschwenden. Und ich glaube, diese Person hätte auch nicht gewollt, dass ich am Boden zerstört bin.
2019 hattest du ein Burn-out. Hast du nicht Angst, dass das noch mal passieren könnte?
Doch, aber ich weiß auch, dass man nur wächst, wenn man an sein Limit geht.
Kannst du gut Nein sagen?
Mittlerweile ja. Ich habe gemerkt, dass es manchmal guttut, Nein zu sagen. Das ist für mich wie ein kleines Erfolgserlebnis, weil ich für mich selbst einstehe.
Du wirkst sehr bei dir, sehr gefestigt. Täuscht das?
Es ist immer ein Prozess. Ich fühle mich auf jeden Fall stärker als noch vor zwei Jahren, aber trotzdem gibt es immer noch schwache Momente, in denen ich denke, ich kann nicht mehr. Aber dann rappele ich mich am nächsten Tag wieder auf und kann doch wieder. Ich bin nicht die einzige, die Schicksalsschläge erlebt. Wenn du lebst, wirst du irgendwann sterben. Das ist das Leben und das müssen wir lernen zu akzeptieren.
Fällt es dir schwer, so öffentlich über deine Gefühle zu reden und zu singen?
Wenn ich jünger wäre – und auch jetzt noch – würde ich mir selbst eine Künstlerin wünschen, die genauso viel preisgibt. Die teilt, was sie beschäftigt, wie es ihr wirklich geht. Am Ende des Tages geht es mir vor allem darum, andere Leute zu inspirieren.
Wir haben so viel über Vergangenes gesprochen, lass uns mal in die Zukunft schauen: Was möchtest du noch erreichen?
Ich habe so viel vor. Ich würde gerne modeln, ich möchte öfter als Synchronsprecherin arbeiten, Klamotten designen und hätte Lust, mein eigenes Produkt rauszubringen. Mein Manager meinte letztens zu mir: "Es geht doch gerade erst los." Er hat so recht! Bisher ging es darum, den Menschen zu zeigen, wer ich bin und was ich kann. Mittlerweile kennen mich die Leute. Jetzt kann man die ganze Sache komplett anders angehen – und auf diese nächste Phase freue ich mich schon sehr.
Dieser Artikel erschien zuerst in der EMOTION 4/23.
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