Ob andere uns bewerten oder wir selbst an uns herummäkeln: Unser Äußeres definiert uns leider auch in Zeiten von #bodypositivity noch. Und das raubt Kraft, die uns woanders fehlt. Lasst uns also endlich unseren Körper dafür feiern, was er kann – egal, wie er dabei aussieht!
In der preisgekrönten Serie "Bad Banks" gelingt Christelle Leblanc (fantastisch gespielt von Désirée Nosbusch) mit vielen Intrigen der Aufstieg nach ganz oben. Auf einer Pressekonferenz wird die frisch ernannte Bankchefin von einer Journalistin gefragt: "Wie wichtig ist für Sie als Frau in der Chefetage Ihr Äußeres?" Leblancs kühle Antwort: "Unwichtig. Das Äußere als Instrument einzusetzen ist gefährlich." Die Zuschauer:innen hingegen wissen: Leblanc hat gerade eine Styling-Assistentin eingestellt, die sich 24/7 um Outfits und Haare/Make-up kümmert. Frauen und körperliche Attraktivität – eine never ending story! Es ist alles dabei: Bewertung, Abhängigkeit, Scham, Lust, Freude, Macht. Und immer häufiger Unbehagen und Widerstand gegen einengende Körperideale und Beauty-Standards. Auf Instagram gibt es mittlerweile rund 5,4 Millionen Posts zum Thema #bodypositivity. Die Bewegung, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, alle Körper zu akzeptieren und die individuelle Schönheit zu feiern, hat viel verändert: mehr Wertschätzung und Diversität, weniger ästhetische Monokultur. Menschen, die nicht gängigen Idealen entsprechen, sind stärker sichtbar. Marken buchen Plus-Size-Models, Barbie gibt's inzwischen auch ohne Thigh-Gap, also ohne Lücke zwischen den Schenkeln. Sind wir jetzt raus aus der Sache? Nicht ganz.
Problem Eins
Wir kreisen beim Austausch über Body Positivity weiterhin um: Äußerliches. Auch wenn wir den Schönheitsbegriff erweitern, steckt darin die alte Botschaft, dass Frauen sich über ihr Aussehen definieren (sollen).
Problem Zwei
Solange Aussehen als relevante weibliche Qualität betrachtet wird, bleiben Frauen "lookistischer Diskriminierung" ausgesetzt. Wenn etwa Adele nach einer Gewichtsabnahme einerseits für ihren "Mega-Body" enthusiastisch gelobt wird, gleichzeitig Fans von ihrer veränderten Figur schwer enttäuscht sind (die FAZ sprach von einem "medialen Beben"), dann ist etwas faul.
Problem Drei
Body Positivity kann kaum etwas daran ändern, dass es ein "beauty privilege" gibt – wer als schön wahrgenommen wird, profitiert davon, ob sie will oder nicht. Heißt leider automatisch im Umkehrschluss: Wer als weniger schön wahrgenommen wird, hat Nachteile.
Problem Vier
Selber schuld? Kapitalismuskritiker:innen prangern an, dass die Verantwortung für Missstände immer stärker auf das Individuum abgewälzt wird, sprich, uns wird eingeredet: Wenn ich gestresst und frustriert bin, liegt es nicht an der Gesellschaft oder den Arbeitsbedingungen, sondern ich muss mich stärker in Achtsamkeit üben. (Alternativ: minimalistischer leben, bewusster lieben, nachhaltiger konsumieren, gesünder ernähren). Kurz: Yogakurs statt Klassenkampf. Diese Logik betrifft auch Frauen, die nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen und deswegen auf dem Partner- und dem Arbeitsmarkt messbare Nachteile erfahren. Sie können sich inzwischen nicht einmal mehr beklagen, nicht über die bevorzugte Normfigur zu verfügen. Denn es steht ihnen ja frei, sich gemäß des Mottos "Love your body!" selbst schön zu finden. Wenn das nicht ausreicht, tja, Pech gehabt, war die Selbstakzeptanz wohl nicht groß genug.
Problem Fünf
Wir neigen generell dazu, zu viele Schlüsse aus der äußeren Erscheinung abzuleiten. Ohne es überhaupt zu merken, urteilen wir oft über Charakter und Kompetenz nur auf Basis des Aussehens der Person. In der Psychologie wird dieses Phänomen "Halo-Effekt" genannt, "Heiligenschein-Effekt". Eine 2019 veröffentlichte Studie mit dem sinnigen Titel "A Catwalk to Congress?" hat für die Midterm-Wahlen in den USA 2016 untersucht, welche Eigenschaft der Kandidat:innen an der Wahlurne den stärksten Ausschlag gibt "Wir stellen fest, dass sich Attraktivität positiv auf den Stimmenanteil auswirkt, während gefühlte Sympathie und Kompetenz keine Rolle spielen", so die vier Studienverfasser. Ernüchternd.
Alles unauflösbar? Wie wäre es, ganz anders zu denken? Zehn Kilo mehr oder weniger, definierte Muskeln ja oder nein, lange Beine, kurze Beine – wie sähe eine Welt aus, in der das einfach keine allzu große Rolle spielte? In der die Schönen schön sein dürften, die nicht ganz so Schönen einfach weniger schön – und es schlicht kein so großes Thema wäre? In der wir unsere Körper pflegen, genießen und lieben, aber Aussehen nicht zu sehr zum Gradmesser für unser Wohlbefinden machten, Blicken und Bildern weniger Bedeutung einräumten? Es könnte sich lohnen. Die amerikanische Schauspielerin Carrie Fisher befand schon vor vielen Jahren: "Jugend und Schönheit sind keine Errungenschaften. Sie sind die vorübergehenden, glücklichen Nebenprodukte von Zeit und DNA." Oder wie Sozialpsychologin Anuschka Rees in ihrem Buch "Beyond Beautiful" (Dumont) schreibt: "Etwas so Fremdbestimmtes und Instabiles wie Schönheit ist einfach keine gute Basis für etwas so Essenzielles wie unseren Selbstwert."
Einen neuen Weg aus dem alten Dilemma könnte das Konzept von Body Neutrality weisen. Die Idee dahinter: Du musst deinen Körper nicht rund um die Uhr schön finden. Feiere ihn vielmehr dafür, was er kann und jeden Tag für dich tut. Unser Körper ermöglicht uns, von A nach B zu kommen, Wärme und Kälte zu empfinden, ein gutes Bauchgefühl zu haben, zu denken, zu kämpfen, Sex zu haben, zu atmen, zu leben. Eigentlich der totale Wahnsinn! Mit diesem Blick hört der Körper auf, vor allem Dekoration zu sein, die darauf wartet, als schön oder unzureichend bewertet zu werden. Studien der amerikanischen Psychologin Tracy Tylka haben gezeigt, dass Frauen, die ihren Körper eher funktional als optisch betrachten, tatsächlich auch zufriedener mit sich sind. Eine Win-win-Situation.
Die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Lechner, die an der Universität Wien über Body Positivity arbeitet, hält Körperneutralität derzeit dennoch für eine Utopie. Der Weg zu einem überzeugten "Wir sind viel mehr als nur Schönheit" sei noch weit. Was nichts daran ändert, dass wir jeden Tag Schritte in die Richtung nehmen können: etwa indem wir der Freundin, der Kollegin häufiger ein Kompliment für ihre Kompetenz machen. Oder die eigene Posting-Politik überdenken: Was für ein Bild von mir will ich in den sozialen Medien präsentieren?
Die Schönheit der Frauen – erkenntnisfördernd ist am Ende auch die alte Frage "Cui bono?" Denn mal ehrlich: Wer profitiert eigentlich davon, wenn Frauen sehr viel Zeit und Geld auf Ihr Äußeres verwenden? Wem nutzt es, dass Frauen miteinander optisch konkurrieren oder sich von inneren Kritikern kleinmachen lassen? Wer hat einen Vorteil davon, dass Frauen so sehr mit "ästhetischer Arbeit" beschäftigt sind, dass sie weniger Energie haben, Macht und Einfluss einzufordern? So viel ist klar: Frauen sind es nicht! Wollen wir das? Könnte es nicht auch anders gehen?
Dieser Artikel erschien erstmals in EMOTION 11/20.
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