Es gibt eine Zeit, da sind sie unser Leben, die Freund:innen, mit denen wir aufwachsen. Doch wenn unsere Wege auseinandergehen? Eine Liebeserklärung.
Wir waren ein Vierergespann – laut, sorglos, frei. Immer auf der Suche nach einem neuen Abenteuer, im Zaum gehalten durch die Enge des kleinen Dorfes, in dem wir groß geworden sind. Wir hatten unsere eigene Sprache, denselben Lebensrhythmus, ähnliche Unsicherheiten. Neue Erfahrungen machten wir gemeinsam, das nächste seelenoffenbarende Gespräch nie
weit entfernt. Und natürlich stritten wir uns. Über Kleinigkeiten und Großartigkeiten, über Jungs, Neid und Lästereien. Lena, Sophie, Ana und ich waren wie ein Kaleidoskop: unterschiedliche Farben, Formen und Facetten, und doch eins.
Wenn sich Wege trennen
Jetzt, zehn Jahre später, haben wir die aufreibenden gemeinsamen Teenager-Jahre lange hinter uns gelassen, und es kann passieren, dass wir ein halbes Jahr nichts voneinander hören. Man lebt an unterschiedlichen Orten – und sich auseinander. Beginnt neue Freundschaften, geht neue Wege. Vorstellungen, Werte und Interessen ändern sich, man wächst weiter, wie früher, aber ohne die früheren Wegbegleiterinnen. Das Schöne ist: In dem Moment, in dem wir uns wieder in die Arme schließen (wir schaffen es mindestens einmal pro Jahr), ist es, als sei keine Zeit vergangen. Unsere Freundschaft existiert in einer Art Raum-Zeit-Kontinuum, losgelöst von Umgebung und Einflüssen.
In dieses Raum-Zeit-Kontinuum bin ich vor Kurzem wieder eingetreten, als ich für ein paar Tage in der Heimat war, genau wie meine Lebensabschnittsgefährtinnen. Wie immer kam dieses vertraute Gefühl von Zuhausesein auf. Keine unbeholfenen "Und wie geht’s dir so"-Floskeln, obwohl wir wieder über längere Zeit keinen Kontakt hatten. Und als wir uns verabschiedet haben, hat Lena gesagt: "Wie schön, dass wir uns gesehen haben. Ich habe mich richtig verbunden mit dir gefühlt."
Es stimmt: Es gibt eine besondere Bindung zwischen uns, die keine neue Freundschaft, so innig sie auch sein mag, nachahmen kann. Wir haben uns gegenseitig beim Wachsen geholfen. Sie kennen noch die Selina, für die Selbstreflexion ein Fremdwort war, meine fiesesten, unbeholfensten, selbstsüchtigsten Seiten. Sie wissen genau, wo ich herkomme, können jede meiner Handlungen nachvollziehen, weil sie meine Geschichte im Hintergrund kennen, weil sie Teil dieser Hintergrundgeschichte sind. Obwohl sie vielleicht nicht immer genau wissen, was in meinem Leben heute los ist, kennt mich wahrscheinlich niemand so gut wie die drei. Lena, Sophie und Ana waren meine wahre Jugendliebe, meine erste Liebe. Und die vergisst man bekanntlich nie.
Wirf weg, was nicht mehr passt?
In den letzten Jahren hat sich dank Marie Kondo die Philosophie des Ausmistens großer Beliebtheit erfreut – und auch wenn Kondo bei Kleiderschränken ist, wird mittlerweile alles aussortiert, was einen nicht mehr weiterbringt, auch Freundschaften. Und oft ist das wahrscheinlich richtig so. Wieso sollte ich Energie für einen Menschen aufbringen, der mir nicht guttut, mich immer wieder verletzt? Es ergibt Sinn, solche Leute aus dem Leben zu streichen.
Aber wir machen es uns dadurch auch sehr einfach. Sobald ein Freund oder eine Freundin Meinungen vertritt, die nicht mit der eigenen übereinstimmen, oder Charaktereigenschaften entwickelt, die einen stören, wird heute kurzer Prozess gemacht. Schnipp, schnapp, weg damit. Lieber verziehen wir uns in unsere wohlig warmen Bubbles, in denen sich alle untereinander ständig zustimmen und Konflikte schon im Keim erstickt werden, auch weil wir oft gar nicht wir selbst in allen Facetten sind. Ich verstehe das, es ist bequem. Dabei lohnt es, an Beziehungen zu arbeiten, besonders an alten Freundschaften, die so tief in einem verwurzelt sind. Statt Menschen aus dem Leben zu verbannen, hilft es, empathisch zu sein, zu hinterfragen: Wieso handelt die Person so?
Freundschafts-Intervention
Einer der prägendsten Momente meines Lebens war, als Lena, Ana und Sophie eine Freundschafts-Intervention organisierten. Wir waren vielleicht 17 oder 18. Es kriselte schon eine Weile zwischen uns, und es wurde Zeit, dass all die Dinge, die uns aneinander störten, endlich auf den Tisch kamen. An diesem Abend ist unsere Freundschaft auf gewisse Art und Weise erwachsen geworden – und wir mit ihr. Noch nie hatten wir so ehrlich und schonungslos kommuniziert. Danach waren wir uns so nah wie nie zuvor, auch wenn es natürlich schmerzt zu hören, was andere an einem nicht mögen.
Ich habe das damals nicht direkt begriffen, aber ich glaube, die Intervention hat unsere Freundschaft gerettet. Wenn wir nie über unsere Probleme gesprochen und daran gearbeitet hätten, vielleicht wären Lena, Sophie und Ana dann die ersten gewesen, die ich aus meinem Leben ge-Marie-Kondo-t hätte. Ich bin so dankbar, dass es nicht so passiert ist. Denn dann hätte ich einen großen und wichtigen Teil meines Lebens verloren.
Dieser Artikel erschien zuerst in EMOTION 7/23.
Mehr Themen: