Autorin und Feministin Sophie Passmann war früher ein "Pick me girl", also eine Frau, die das Gefühl hat, anders zu sein als andere Frauen. Das arbeitet sie in ihrem neuesten Werk auf. Warum das Buch für sie eine Erleuchtung ist, hat unsere Kollegin Selina Jüngling hier aufgeschrieben.
"Du bist anders als andere Frauen." Lange galt das als das ultimative Kompliment, was man von einem Mann bekommen konnte. Dieser eine Satz hat einen besonders fühlen lassen. Er hat einen abgehoben von der grauen Masse der mutmaßlich oberflächlichen, dümmlichen "anderen Frauen". Es war der Satz, der die Transformation zum "Pick me girl" endgültig abgeschlossen hat.
Was ist ein "Pick me girl"?
Der Begriff "Pick me girl" tauchte zum ersten Mal 2016 auf Twitter auf und beschreibt (junge) Frauen, die glauben, anders zu sein als "andere Frauen". Sie sind lieber mit Männern befreundet, weil die ja nicht so "anstrengend" seien wie Frauen. Sie grenzen sich von vermeintlich weiblichem Verhalten ab, geben scheinbar nicht viel auf ihr Aussehen und interessieren sich für Dinge, für die sich hauptsächlich Männer interessieren würden. Sie seien "einer von den Jungs". Das alles tun "Pick me girls" einzig und allein für die Aufmerksamkeit von Männern.
Wir hören euch buchstäblich schon die Augen verdrehen. Ja, "Pick me girls" können ganz schön nervig sein – und auf den ersten Blick hört sich das Verhalten dieser Frauen an wie ziemlich ausgeprägte internalisierte Misogynie. Ist es wahrscheinlich auch. Das Ding ist aber: An irgendeinem Punkt in unserem Leben waren wir wahrscheinlich alle schon mal ein "Pick me girl".
Ein "Pick me girl" schreibt ein Buch über "Pick me girls"
Diese Feststellung macht Sophie Passmann in ihrem neuen Buch "Pick me girls" (KiWi, 22 €), das heute erscheint. Die 29-Jährige nimmt darin ihre Jugend auseinander, legt all ihre Selbstzweifel offen und begegnet ihrem verunsicherten Teenagerinnen-Ich am Ende mit Sanftheit und Verständnis. Genau das, wonach man sich damals gesehnt hat. Denn "Pick me girls", und damit kennt Sophie Passmann sich aus, war sie doch früher (und vielleicht immer noch) selbst das ultimative "Pick me girl", wollen mit ihrem Verhalten gar nicht andere Frauen abwerten.
Im Gegenteil: Indem sie sich um die Aufmerksamkeit von Männern bemühen, sich verbiegen bis zum Geht-nicht-mehr, um einfach nur wahrgenommen zu werden, verschleiern sie ihre eigenen Komplexe. Denn sie glauben, andere Frauen seien viel schöner, lustiger, intelligenter als sie, hätten ihr Leben im Griff. Es ist ihre Art, mit dem Druck umzugehen, den das Patriarchat auf sie ausübt. "Pick me girls" fühlen sich allein mit ihren Problemen. Sie haben das Gefühl, sie sind die einzigen Frauen auf dieser Welt, die etwas an ihrem Körper auszusetzen haben oder ihren Charakter zu langweilig finden. Was sie (noch) nicht wissen: Es gibt keine perfekte Frau. Jede Frau macht mehr oder weniger in unterschiedlichen Abstufungen exakt das gleiche durch.
Wir sitzen alle in einem Boot
Im Prinzip ist das der größte "Pick me girl"-Move, den Sophie Passmann hätte machen können: ein Buch darüber schreiben, wie anders man als alle anderen Frauen ist, nur um zum Schluss zu kommen, dass wir eben doch alle auf dieselbe Weise vom Patriarchat gebeutelt sind. Entweder man versucht, als junge Frau den Idealen, die ebendieses Patriarchat einem vorschreibt, zu entsprechen (aussichtslos). Oder man holt sich männliche Bestätigung, indem man diese Ideale ablehnt (ebenfalls aussichtslos). Was bleibt, ist in beiden Fällen eine tiefsitzende Unsicherheit, für die es bei den meisten Jahre braucht, um sie so weit einzudämmen, dass man ein Level von Zufriedenheit erreicht.
Wieso tun wir uns das als Teenagerinnen an? Dieser ganze Stress, einfach nur, um von einem Jungen, an dessen Namen man sich 20 Jahre später nicht mal mehr erinnert, gesagt zu bekommen, man sei "anders als die anderen"? Sophie Passmann trifft es auf den Punkt: Es ist nun mal einfacher, anderen eine "coolere" Version von sich selbst vorzuspielen, als herauszufinden, wie und wer man wirklich ist. Sich mit seinen Selbstzweifeln auseinanderzusetzen ist nun mal schmerzhaft. Was weniger weh tut: so tun, als ob man Fußball mag.
Nimm mich so, wie ich bin
Sophie Passmann schreibt in "Pick me girls" aus einer sehr persönlichen Perspektive. Sie schildert Erfahrungen, die sie damals allein fühlen lassen haben. Die Ironie: Indem sie all das aufschreibt, spricht sie sämtlichen Frauen und Mädchen aus der Seele. Sie fasst in kluge Worte, was man als Teenagerin fühlt, wenn man sich einen Weg durch diese komplizierte, von Männern dominierte Welt bahnen muss. All die Zusammenhänge, die man damals nicht verstanden hat, werden einem offengelegt. Dieses Buch ist eine Erleuchtung, nach der man vieles mit anderen Augen sieht: Kleidung, Filme und Serien, Schönheits-OPs, Männer, Frauen und vor allem sich selbst.
An einer Stelle im Buch sagt Sophie Passmann, dass sie "Pick me girls" geschrieben hat, weil sie ihr Teenagerinnen-Ich gerne umarmen würde, das aber nicht mehr geht. Sie habe es vor allem für sich selbst geschrieben. In "Pick me girls" geht es nicht darum, Frauen in verschiedene Schubladen einzuteilen. Es geht nicht darum, ob es nun feministischer ist, auf "Pick me girls" herabzuschauen oder doch lieber auf Frauen, die sich bestimmten Idealen beugen. Stattdessen ist es ein Plädoyer für Selbstakzeptanz: sich die Mühe zu machen, sich selbst und das jüngere Ich besser zu verstehen. In diesem Sinne ist dieses Buch nicht nur ein Buch für Sophie Passmann, sondern für uns alle.
Mehr Themen: