Krisen? Gibt's auch bei den engsten Freund:innen – und können uns an den Rand der Verzweiflung bringen. Wir haben die Psychologin Ulrike Scheuermann gefragt, was hilft.
Liebeskummerschmerz muss niemand erklären. Was macht es mit uns, wenn eine wichtige Freundschaft kriselt?
Das kann aufwühlen und an die Substanz gehen. Wir unterschätzen oft, wie bedeutsam Freundschaften für unser Wohlbefinden sind. Unsere sozialen Kontakte, in denen freundschaftliche Beziehungen eine wichtige Rolle spielen, sind nachweislich für unsere Gesundheit sogar wichtiger als gute Ernährung, Bewegung und Nichtrauchen.
Welche Themen bringen Freundschaften besonders häufig ins Schwanken?
Eifersucht, wenn zum Beispiel die Freundin plötzlich mehr Zeit mit einem neuen Partner verbringt, dann fühlt man sich zurückgesetzt und nicht mehr wichtig. Oder Konkurrenzsituationen: Die Freundin bekommt mehr Anerkennung als man selbst, das kann Neid auslösen. Darüber sollte man in einer guten Freundschaft sprechen.
Auch Elternschaft kann Freundschaften auf eine Probe stellen – etwa, wenn eine Freundin ein Kind bekommt, die andere nicht. Was hilft dann?
Reden, reden, reden. Eine Familiengründung verändert das Leben. Für Freund:innen bedeutet es, dass Lebensentwürfe, die vielleicht über lange Jahre parallel gelaufen sind, nun auseinandergehen. Das sollte man anerkennen und sich darüber austauschen. Und dann hängt es von dem Umgang ab, den beide damit finden. Am besten ist es, ich erkenne das neue Lebensmodell als eine Bereicherung an, dass ich über meine Freundin an etwas teilhabe, was vielleicht nicht in meinem Leben stattfindet.
Ich habe eine Freundin, auf die ich mich zu 100 Prozent verlassen kann. Gleichzeitig wertet sie schon kleine Unaufmerksamkeiten als Alarmsignal, unsere Freundschaft könnte Risse haben. Wie gehe ich damit um?
Es ansprechen. Manche Menschen haben in der Kindheit oder auch später nicht genügend Sicherheit in Beziehungen erlebt und reagieren bei kleinsten Irritationen misstrauisch. Wenn wir
aber über ein Gespräch wissen, worum es wirklich bei der oder dem anderen geht, wahrscheinlich eine alte Wunde, können wir sorgsam damit umgehen. Wir können zum Beispiel das misstrauische Verhalten freundlich ansprechen, statt uns zurückzuziehen. Dann kann die Freundin auch eine neue, positive Beziehungserfahrung machen.
Eine Freundin hat einen besserwisserischen Partner, darf ich ihr sagen, dass ich sie lieber alleine treffen möchte?
Auf jeden Fall. Sie können positiv betonen, warum Ihnen so viel daran liegt, nur etwas mit Ihrer Freundin zu unternehmen, zum Beispiel: "Für mich ist es schöner, mit dir allein zu reden, da kann ich ganz frei sagen, was ich gerade denke."
Was tue ich, wenn mich Einstellungen eines Freundes zunehmend befremden?
Es kommt darauf an, wie eng die Freundschaft ist und wie sehr die Haltung des Freundes mit den eigenen Werten kollidiert. Ein wichtiges Indiz ist, wie ich mich nach den Gesprächen fühle. Wenn man den anderen nicht mehr versteht oder immer wieder ein Unwohlsein bleibt, kann es auch sein, dass man sich zurückzieht. Worst Case: Verrat, Lüge, Betrug – was müssen beide mitbringen, damit die Freundschaft weitergehen kann? Auch hier sollte man darüber reden. Oft gibt es noch andere Hintergründe für ein Verhalten, als man vermutet hat. Wenn die Bereitschaft von beiden da ist, sich mit dem, was geschehen ist, auseinanderzusetzen, kann man die Freundschaft vielleicht retten. Es kommt auch auf die Größe des Vertrauensbruchs an. Oft kann es sinnvoll sein, erst einige Zeit vergehen zu lassen, um emotional Abstand zu gewinnen, um dann einigermaßen ruhig miteinander sprechen zu können.
Wann wird es destruktiv?
In intensiven Freundschaften können sich wie in einer Liebesbeziehung schwierige Dynamiken entwickeln. Ich verwende das Wort "toxisch" nicht so gern, aber das bringt es gut auf den Punkt: Die Beziehung tut einem nicht gut. Wenn man sich zum Beispiel nicht mehr wertgeschätzt fühlt oder nicht so angenommen, wie man ist. Oder wenn man sich neben der Freundin immer wieder klein fühlt, sich Sticheleien ausgesetzt sieht und nicht das Gefühl hat, sagen zu können, was man denkt, sodass man nach einem Treffen ewig grübelt und nicht schlafen kann, sollte man die Freundschaft beenden.
Kann Therapie eigentlich auch in Freundschaftskrisen helfen?
Ja, eine professionelle Beratung kann da ebenso helfen wie in einer Partnerschaft. Die qualifizierte Begleitung unterstützt erst einmal dabei, einander ruhiger zuzuhören und in einem sicheren Rahmen die Beweggründe und Gefühle des Gegenübers zu verstehen. So entsteht ein vollständigeres Bild, das eine Wiederannäherung und emotionale Öffnung ermöglicht.
Wie kann ich eine gute Freundin sein?
An erster Stelle können gute Freundinnen einander vertrauen und sich aufeinander verlassen, sodass sie auch in schwierigen Situationen zueinander stehen. Helfen und sich helfen lassen ist wichtig, ebenso Einfühlungsvermögen. Was auch zählt: sich zusammen weiterzuentwickeln, Dinge gerne gemeinsam zu machen. Das heißt auch, sich Zeit zu nehmen und die Freundschaft nicht als selbstverständlich zu sehen, sondern als kostbare Bereicherung im Leben. Genauso gibt emotionale Intensität der Freundschaft Tiefe. Dabei geht es nicht nur um Vergnügliches, sondern auch darum, Konflikte gemeinsam zu bewältigen oder schwierige Gefühle zu teilen. Kleine Gesten sind auch gut: sich bedanken oder direkt sagen, was einem dieser Mensch bedeutet. Eine Studie hat gezeigt, dass eine kurze Meldung bei alten Freunden, so etwa "Ich habe gerade an dich gedacht", viel mehr Freude auslöst, als wir es uns vorstellen.
Dieser Artikel erschien zuerst in EMOTION 7/23.
Mehr Themen: