Unter Aufschieberitis leiden viele Menschen. Du auch? Psychologe Jens Tomas erklärt, wie du die Prokrastination bekämpfen kannst.
Aufschieberitis – lässig oder stressig?
Ach, aufräumen kann ich noch später. Das Projekt für die Arbeit mache ich nächste Woche. Ups, es ist schon Mai und ich habe noch immer die Winterreifen drauf. Und eigentlich will ich schon seit Jahren ein Buch schreiben. Und Französisch lernen …
Kommt dir das irgendwie bekannt vor? Der Teufel dahinter heißt Aufschieberitis. Er begegnet uns am Arbeitsplatz, aber auch privat. Selbst bei Aufgaben, die gar nicht unangenehm sind, passiert es, dass wir lieber hundert andere Dinge tun. Uns im Internet verlieren, Freunde anrufen oder mit der Katze kuscheln. Hinterher ärgern wir uns! Doch es gibt Hausmittel gegen diese Volkskrankheit.
Prokrastinieren – das kennen wir alle!
Um der Prokrastination, wie die Aufschieberitis auch genannt wird, den Kampf anzusagen, müssen wir sie verstehen. Warum schieben wir eigentlich immer wieder auf, obwohl unser Verstand es besser weiß und wir es meist ja trotzdem machen müssen? Die Hinhalte-Taktik bringt uns nur in unnötige Zeitnot.
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Erste Entwarnung: Prokrastination hat selten etwas mit Faulheit zu tun. Vielmehr spiegeln sich hier Ängste wider: Angst vorm Scheitern, aber auch vor dem Erfolg. Was widersprüchlich klingt, basiert auf Psychologie.
Prokrastination hat selten etwas mit Faulheit zu tun.
Dr. Jens Tomas, Autor und Management-TrainerTweet
Aufschieberitis und die Angst vorm Scheitern
Wir stellen an uns selbst sehr hohe Anforderungen. Wir wollen Aufgaben so gut wie möglich und mit Sternchen erfüllen. Besonders wenn wir wissen, dass wir das Thema beherrschen. Das bedeutet Anstrengung. Dabei haben wir Angst, uns selbst zu enttäuschen, dem eigenen Anspruch nicht gerecht werden zu können. So zögern und zögern wir. Denn: Wer es gar nicht erst versucht, kann auch nicht versagen.
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Aufschieberitis und die Angst vor Erfolg
Auch die Angst, erfolgreich zu sein, hindert uns am Anfangen. Sowohl aus Schulzeiten, aus dem Elternhaus oder im Arbeitsalltag haben wir gelernt: Wer etwas gut macht, bekommt weitere und oft schwierigere Aufgaben. Das nährt unbewusst die Angst, sich bei starken Ergebnissen nur noch mehr aufzuladen.
Raus aus der Hinhalte-Taktik – 5 Alltags-Tipps
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Verändere Deine Einstellung
Um Deine Einstellung zu verändern, musst du Deine Sprache überdenken. Streiche "muss" und "sollte" aus Deinem Wortschatz. Sätze wie "Ich muss dringend damit fertig werden" oder "Ich sollte das unbedingt erledigen" suggerieren Deinem Gehirn, dass der Antrieb von außen kommt und du Dich eigentlich wehrst. Formuliere sie um: "Ich werde das gut erledigen." "Wie kann ich das am besten lösen?" Erlaube Dir, Fehler zu machen.
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Lagere Gedanken aus
Lähmt Dich die Angst vor einer Aufgabe, schreibe das mögliche Worst-Case-Szenario auf. Überlege Dir, welche Alternativen Dir dazu offenstehen und wie realistisch ein Versagen wirklich ist. Notiere offene Posten, die Deine Gedanken ablenken. Projekte, die Dir gerade so wichtig erscheinen, dass du Deine aktuelle Tätigkeit unterbrechen willst. Diese Posten erledige einfach später. Oder gar nicht. Denn Vorsicht: Oft ruft das Gehirn hier nur nach kurzen schnellen Belohnungen. Am Abend streichst du dann durch, was du erledigt hast. Ein Haken auf einer To-Do-Liste beruhigt die Seele und macht sichtbar, was du alles auf den Weg gebracht hast.
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Plane kurze Strecken
Apropos "auf den Weg": Organisiere Deine Projekte wie eine Wanderung. Plane mehrere kleinen Etappen mit regelmäßigen Pausen. Es ist deutlich motivierender, sich den nächsten Rastplatz in 15 Minuten vor Augen zu halten, als die sechs Stunden bis zum Ziel. Dadurch erhältst du ein Gefühl von Kontrolle. Und die vielen Posten lähmen nicht Dein gesamtes Tun. Denn: je mehr Aufgaben, desto mehr Stresshormone. Nur durch die klare Einteilung von Arbeit und Erholung kannst du auf der arbeitsintensiven Wegstrecke strammer marschieren. Das verbessert Selbstbewusstsein und Ergebnisse.
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30 Minuten sind genug
Stelle Dir einen Wecker auf den Schreibtisch. Arbeite 30 Minuten, dann höre auf. Das klingt befremdlich? Glaub mir: Eine halbe Stunde reicht aus, um ein gutes Stück voranzukommen. In diesen 30 Minuten – ohne irgendeine Unterbrechung wie telefonieren oder E-Mails lesen – lässt sich viel erledigen. Gleichzeitig tut der kurze Zeitraum nicht weh. Das ist der ideale Trick, um sich als Profi-Prokrastinierer selbst zu überlisten.
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Erhöhe den Spaß
Spaß verbessert nicht nur Deine Lebensqualität, er ist auch ein enormer Antreiber. Du erhöhst den Spaß, wenn Dir das Ziel klarer ist. Denn oft lässt die Motivation nach, wenn wir nicht wissen, wo unser Tun genau hinführt. Eine klassische Job-Falle. Den Spaß erhöhst du außerdem, indem du immer mal wieder Routinen aufbrichst. Neue Strategien und Tools nutzen, Monotonie vermeiden. Erfolge feiern gehört auch dazu. Formuliere im Team selbstgesteckte Ziele. Kommt das Ziel nicht von außen, wachsen Energie und Tatendrang.
Bye bye, Aufschieberitis!
Es gibt viele Möglichkeiten, Aufschieberitis zu entkommen. Wichtig sind ein gutes Selbstwertgefühl und die passende Einstellung zur Arbeit. Beides kannst du beeinflussen. Mein letzter Tipp: Wenn du ein Tief hast, hör nicht auf. Bleib nur noch fünf Minuten dran. Überwindest du die Hürde des Problems nur ein kleines Stück, fällt das Anfangen am nächsten Tag deutlich leichter.
Dr. Jens Tomas ist Keynote-Speaker, Autor und Management-Trainer. Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt er sich mit Sozialpsychologie und wissenschaftlich fundierten Kommunikationsmodellen. Als einer der europäischen Top-Experten im Bereich Business, Kommunikation und persönliche Entwicklung sind Veränderungsprozesse sein Spezialgebiet. Zu seinen Kunden zählen neben erfolgsorientierten Mittelständlern nahezu alle DAX 30 Konzerne. 2017 gründete er das E-Learning-Modell SmartSuccess – Erfolg auf ganzer Linie". Mehr unter www.jenstomas.de