Morgen fange ich an. Wirklich. Doch morgen gibt es wieder ein Morgen. Jetzt soll ein neues Motivationstraining helfen, Ziele tatsächlich zu erreichen. Der Trick: alltägliche Hindernisse gleich mit einplanen.
"Eigentlich will ich ja, aber ..." Wäre es nicht fantastisch, die Abers abschütteln zu können und ein Vorhaben konsequent durchzuziehen? Genau das verspricht "Mental Contrasting with Implementation Intentions", kurz MCII, eine Technik, die Motivation und Durchhaltevermögen auf Dauer steigern soll. Die meisten psychologischen Trainings dieser Art funktionieren nach dem Motto: Denk positiv und du schaffst, was du dir vornimmst. "Das greift aber zu kurz", sagt Gabriele Oettingen, die MCII entwickelt hat und als Motivationspsychologin an den Universitäten Hamburg und New York forscht. Dass es mit positivem Denken allein nicht getan ist, belegt eine ihrer Studien mit Studenten. Kurz vor der Abschlussprüfung sollten sie angeben, welche Examensnote sie als Erfolg werten würden, und sich ausmalen, wie sie sich bei der Notenvergabe fühlen würden. Das Ergebnis: Je positiver die Fantasien der Studenten waren, desto schlechter fielen ihre Examensergebnisse aus. Das Schwelgen in schönen Zukunftsszenarien hatte offenbar dazu geführt, dass die Studierenden sich schon erfolgreich wähnten und zu wenig lernten.
Durchhaltevermögen steigern – dabei hilft es, realistisch zu bleiben
Oettingen zog daraus eine wichtige Schlussfolgerung. Um eine erwünschte Zukunft zu erreichen, ist offenbar nicht nur der optimistische Glaube an sich selbst wichtig, sondern auch etwas ganz Pragmatisches: die realistische Einschätzung der Stolpersteine, die auf dem Weg zum Erfolg auftauchen könnten. Die Psychologin beschloss, ein neues Motivationstraining zu entwickeln. Die zwei Grundprinzipien: sich erstens machbare Ziele setzen und zweitens die eigene Reaktion auf potenzielle Hindernisse im Vorfeld einplanen.
Hindernischeck
Fit werden für den Marathon? Jeden Abend eine Stunde Spanisch lernen? Oettingens Methode unterzieht alle Vorhaben zunächst einem Hindernischeck, der Fachbegriff dafür: mentales Kontrastieren. Zuerst malt man sich aus, wie stolz man wäre, es geschafft zu haben, wie schlank man durch das Marathontraining werden könnte und wie beeindruckt die Freunde sein würden. Im zweiten Schritt stellt man sich dann mögliche Stolpersteine vor: Erlaubt meine Zeit es gar nicht, viermal pro Woche zu trainieren? Fehlen mir Leute, mit denen ich trainieren kann? Gibt es gesundheitliche Einschränkungen, etwa Knieprobleme? "Es ist ganz wichtig, die positiven Konsequenzen und die möglichen Hindernisse gegenüberzustellen, schriftlich oder nur gedanklich", sagt die Psychologin. So wird deutlich, dass es nicht machbar ist, nach lediglich drei Monaten Training einen ganzen Marathon durchzustehen - aber ein Halbmarathon, der wäre durchaus realisierbar.
Das Nicht-Machbare vom Machbaren trennen
Ein anderes Zielbeispiel: Ich möchte ordentlicher werden und mich besser organisieren. Die positiven Fantasien: nie mehr Chaos auf dem Schreibtisch, keine Mahnungen wegen vergessener Rechnungen, keine unerledigte Steuererklärung, die aufs Gewissen drückt. Die möglichen Hindernisse: Ich kann Büroarbeiten grundsätzlich nicht ausstehen, ich möchte meine Freizeit nicht mit dem Sortieren von Papieren verbringen, ich kenne mich in Steuerangelegenheiten nicht genug aus. Stellt man beides gegenüber, lässt sich erkennen, dass es ein zu hehres Ziel ist, die Steuererklärung allein anzugehen. Es ist tatsächlich sinnvoll, sie einem Steuerberater zu geben. Machbar wäre allerdings, die Unterlagen regelmäßig zu sortieren und so allzu große Zettelwirtschaft zu vermeiden. "Durch das mentale Kontrastieren trennt man das Nicht-Machbare vom Machbaren", beobachtet Gabriele Oettingen in ihren Experimenten. "So entstehen alltagsnahe, verbindliche Ziele. Die können wir leichter erreichen."
Nicht stoppen lassen!
Wenn-Dann-Pläne
Den zweiten theoretischen Ansatz, der in Oettingens Konzept einfließt, hat der Motivationsforscher Peter Gollwitzer entwickelt: die so genannten Wenn-dann-Pläne (Englisch: Implementation Intentions). "Sie sollen dabei helfen, dass wir uns auf dem Weg zu unserem Ziel nicht stoppen lassen", erklärt der Psychologe, mit dem Oettingen an der New York University eng zusammengearbeitet hat.
Alternativverhalten festlegen
Ein Beispiel: Man hat sich vorgenommen, zweimal in der Woche laufen zu gehen. Ein mögliches Hindernis wäre Regenwetter. Der Vorsatz könnte also lauten: "Wenn es regnet und ich nicht draußen laufen gehen kann, dann strample ich eine halbe Stunde auf dem Heimtrainer." Das klingt banal. Doch tatsächlich scheitern die meisten guten Vorsätze genau an solchen Alltagswidrigkeiten. "Wenn wir schon im Vorfeld ein Alternativverhalten festlegen, müssen wir die Entscheidungin der akuten Situation nicht mehr treffen – und haben auch keine Ausrede mehr", erklärt Gollwitzer. Durch Messungen der Hirnaktivität konnte der Wissenschaftler belegen, dass sich auf diesem Weg geplante Verhaltensweisen schnell automatisieren. Und zwar ohne dass man die Sätze immer wieder in Gedanken vor sich hinsprechen muss, sondern allein durch die Tatsache, die Wenn-Dann-Verknüpfung einmal im Voraus festgelegt zu haben.
Hilft bei ADHS, Rauchentwöhnung, Stress
Seine Studien zeigen auch, dass diese Strategie bei ganz unterschiedlichen Zielen hilfreich ist. So konnten Kinder, die an ADHS litten, durch Wenn-dann-Pläne hyperaktive Verhaltensweisen besser kontrollieren. "Ob bei der Rauchentwöhnung oder im Stressmanagement – die MCII-Methode bringt einen vom Träumen zum erfolgreichen Tun, unabhängig davon, welches Verhalten man verbessern möchte", finden Gabriele Oettingen und Peter Gollwitzer in ihren Studien.
Das vielleicht am häufigsten verfolgte Ziel, an dem Menschen immer wieder scheitern, ist das Abnehmen. Jeder zehnte Bundesbürger gilt heute als stark übergewichtig, ernährungsbedingte Erkrankungen wie Diabetes Typ II oder Herzkreislaufleiden nehmen zu. Die zahlreichen Präventionsprogramme im Gesundheitswesen können dem nur wenig entgegensetzen,denn sie haben einen entscheidenden Systemfehler. Kaum sind Kurs oder Kur beendet, fallen die Teilnehmer wieder in ihren alten Lebensstil zurück. Die MCII-Methode könnte helfen, ein neues Gesundheitsverhalten dauerhaft in den Alltag zu integrieren. Der Vorteil: Das Training vermittelt keine allgemeingültigen Regeln, sondern zeigt auf, wie man seine ganz persönlichen Hürden identifizieren und dann meistern kann.
Wollen muss man trotzdem
Was uns wirklich im Weg steht, erkennen wir oft erst auf den zweiten Blick. So schaffte die Teilnehmerin eines Gesundheitskurses nicht, regelmäßig ins Sportstudio zu gehen. Zunächst dachte sie, sie sei abends einfach zu müde. "Um die wahren Hürden zu erkennen, muss man sehr genau in sich hinein hören", sagt Gabriele Oettingen. Als eigentlicher Stolperstein erwies sich dann tatsächlich etwas ganz anderes: das unregelmäßige Essverhalten der Frau. Tagsüber verzichtete sie aufs Mittagessen und aß nur leichte Snacks. Zuhause überkam sie Heißhunger – und danach fühlte sie sich zu voll, um zu trainieren. Ihr Wenn-dann-Plan: Wenn ich abends zum Sport gehen will, dann esse ich mittags etwas Warmes in der Kantine. Wer das Prinzip einmal verinnerlicht hat, kann das Gelernte eigenständig auf jedes beliebige Anliegen übertragen. Die einzige Voraussetzung ist, wirklich etwas ändern zu wollen. Sonst klappt es auch mit MCII nicht.
Praxistest in drei Etappen
Etappe 1: Der Wunsch
Abgewetzter Teppichboden, kahle Wände, stickige Luft. Motivierend wirkt der Raum nicht gerade. Doch genau hier soll es aufkommen, das "Ich ziehe das durch"-Gefühl. Sechs Frauen, ein Mann. Alle haben ein Ziel: abnehmen. "Fitnessstudio, Ernährungsberatung, Weight Watchers - ich habe schon alles ausprobiert",erzählt Charlotte Huber* in schönstem Oberbayerisch."Am Anfang bin ich immer euphorisch, aber ich schaffe es nie, lange durchzuhalten." Luise Gärtner geht es ähnlich: "Ich habe in meinem Leben schon 100 Kilogramm ab- und 110 wieder zugenommen. Ich bin der lebende Beweis für den Jo-Jo-Effekt!",lacht sie. Doch die Seminarteilnehmer sind nicht hier, um sich über vergangene Misserfolge auszutauschen.Vielmehr wollen sie sich von der Motivationstrainerin Agnes Streber die Grundzüge der MCII-Methode näher bringen lassen. Die Münchnerin ist eine von bundesweit 20 Trainern, die mit diesem Ansatz arbeiten. Das erste Themenfeld: Bewegung. Fast alle in der Runde würden zwar gern mehr Sport treiben, scheitern aber daran, diesen Vorsatz im Alltag in die Tat umzusetzen. Luise Gärtner bringt es auf denPunkt: "Entweder bin ich am Abend zu müde oder ich habe einfach keine Lust auf Sport." In einem Handbuch soll jeder notieren, was sein wichtigstes Anliegen in Sachen Bewegung ist. "Denken Sie daran", betont Agnes Streber, "dass Sie dieses Ziel ganz klein ansetzen. Dann kriegen Sie das auch locker hin!"
Etappe 2: Das Ziel
"Ich könnte probieren, jeden zweiten Tag eine halbe Stunde auf meinem Spinningrad zu fahren", beschreibt Luise Gärtner ihr wichtigstes Bewegungsziel. "Erkennen Sie das Problem an diesem Satz?", fragt Motivationstrainerin Agnes Streber und blickt in die Runde. "Da ist ein Hindernis drin! Sie glauben nicht wirklich, dass Ihr Vorhaben machbar ist. Was könnte Sie denn davon abhalten?" – "Ich kenne mich, dann lande ich halt abends doch auf der Couch", gibt Luise Gärtner zu. Trainerin Streber sprüht jetzt vor Energie und ruft: "Der Knackpunkt ist: Ihr Ziel ist zu groß! Auf dem Weg dorthin gibt es zu viele Stolpersteine." Zur Veranschaulichung wirft sie zwei Kissen auf den Boden. "Das gelbe Kissen symbolisiert das Ziel, das rote die Hürde – an der bleiben wir hängen!" Die Teilnehmer blicken etwas ratlos. Agnes Streber macht einen großen Schritt um das rote Kissen herum. "Es klingt banal, aber wir müssen es tatsächlich nur schaffen, die Hindernisse zu umgehen. Und dabei helfen uns 'Wenn-dann-Pläne'.
Etappe 3: Der Weg
Seit zwei Wochen arbeitet Luise Gärtner jetzt an ihrem Minimalziel, das sie im Motivationskurs neu formuliert hat: zweimal pro Woche 15 Minuten auf dem Heimtrainer in die Pedale treten und an einem Abend nach 19 Uhr nichts mehr essen. "Das mit dem Sport funktioniert super", sagt sie. "Früher habe ich nach dem Prinzip 'Ganz oder gar nicht' trainiert: 50 Minuten, danach tat alles weh und ich hatte von Sport erst mal die Nase voll. Mich aufzuraffen, 15 Minuten zu radeln, fällt mir hingegen nicht schwer." Vor kurzem hat sie mit der Motivationstrainerin Agnes Streber telefoniert. Telefoncoaching ist Teil des Kurses. Sie entwickelten gemeinsam eine Lösung für folgende Hindernissituation: "Immer, wenn ich vor dem Fernseher sitze, habe ich Appetit auf Süßes." Gemeinsam formulierten sie einen vorbeugenden Wenn-dann-Satz: Wenn ich mit meinem Mann zu Abend esse, erzähle ich ihm, dass ich später beim Fernsehen nichts mehr naschen werde. "Er findet das zwar ein bisschen albern", sagt Luise Gärtner lachend. "Aber es hilft!"
*Namen der Kursteilnehmer von der Redaktion geändert