Wenn Menschen sich absichtlich dumm stellen, um bestimmte Aufgaben nicht übernehmen zu müssen, nennt man das "weaponized incompetence", also strategische Inkompetenz. Steckt dahinter immer böse Absicht – und wie geht man mit jemandem um, der sich diese Strategie zunutze macht?
Viele Menschen helfen gerne – besonders, wenn man sie nett darum bittet. Oder wenn es einen guten Grund dafür gibt, dass niemand anderes eine Aufgabe übernehmen kann. Manche machen sich das zunutze, indem sie vorgeben, einer Aufgabe nicht gewachsen zu sein – um sie kurzerhand jemand anderem zuzuschieben. Ist das der Fall, spricht man von strategischer Inkompetenz. Meist geht es dabei um alltägliche To-dos, etwa wenn ein Nagel in die Wand geschlagen oder das Abendessen gekocht werden muss. Der Satz, der dabei besonders häufig fällt: "Du kannst das viel besser als ich, könntest du das übernehmen?"
Das Phänomen wird oft mit Paarbeziehungen assoziiert, theoretisch kann strategische Inkompetenz aber in allen möglichen zwischenmenschlichen Beziehungen auftauchen – in einer Familie, in einer Freundschaft oder unter Kolleg:innen.
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Warum stellen sich manche Menschen dumm, um Verantwortung abzugeben?
Nicht immer passiert das aus böser Absicht, davon ist die Psychotherapeutin Dr. Nadine Rheindorf überzeugt. In einem Interview mit der "Zeit" sagt sie: "Oft ist es eben erlerntes Verhalten, das man gar nicht unbedingt reflektiert. Wir Menschen sind lernende Wesen: Wir suchen uns Strategien, die Konflikte lösen. Strategische Inkompetenz ist eine davon." Ihr zufolge entsteht ein solches erlerntes Verhalten oft bereits in der Kindheit. Etwa, wenn Bezugspersonen ständig die Herausforderungen eines Kindes aus dem Weg räumen und ihm Aufgaben abnehmen. "So lernt das Kind, dass Handlungen für es übernommen werden, wenn es unfähig erscheint, und verbindet das mit einer positiven Erfahrung", sagt Rheindorf.
Und auch im Erwachsenenalter tendieren Menschen weiter dazu, den Weg des geringeren Widerstands zu gehen. Wer also schon früh gelernt hat, dass Inkompetenz – oder vorgetäuschte Inkompetenz – angenehme Folgen hat, nutzt das auch im Erwachsenenalter eher für sich. Laut Rheindorf spielen auch konservative Rollenbilder in der Kindheit eine Rolle. Wenn einem zum Beispiel beigebracht wird, dass man etwas aufgrund seines Geschlechts nicht gut kann, akzeptiert man das womöglich irgendwann als Tatsache.
Strategische Inkompetenz schadet allen Beteiligten
Und obwohl es nicht immer bewusst geschieht – strategische Inkompetenz kann dazu führen, dass die Arbeitslast innerhalb einer Beziehung oder innerhalb eines Teams dauerhaft unfair verteilt ist. Auf den ersten Blick ist klar, wem das schadet: jenen, die mehr Aufgaben als nötig übernehmen, weil andere sich davor drücken. Aber auch diejenigen, die es durch diese bewusste oder unterbewusste Manipulation leichter haben, leiden im Endeffekt darunter.
Denn wer über einen längeren Zeitraum von anderen als unfähig wahrgenommen wird, wird irgendwann gar nicht mehr nach Hilfe gefragt oder denkt womöglich selbst, alltäglichen Aufgaben nicht gewachsen zu sein. Das kann am eigenen Selbstbewusstsein und Selbstwert kratzen. So sieht das auch Rheindorf. "Zu merken, dass man Dinge bewältigen kann, stärkt das Selbstwertgefühl, gibt Kontrolle über das eigene Leben", sagt sie.
Wie man mit strategischer Inkompetenz umgehen kann
Die US-Psychologin Holly Schiff sagt: "Offene Kommunikation und Grenzen zu setzen ist das Wichtigste". Sie empfiehlt, in einem klärenden Gespräch Aufgaben klar zu verteilen und Regeln aufzustellen, damit die Verantwortung fair verteilt wird. Schiff mahnt aber auch zu Geduld. Besonders wenn jemand tatsächlich den Eindruck habe, zu unfähig für To-dos zu sein, könne es dauern, bis man strategische Inkompetenz wieder "verlernen" kann.
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