Spätestens in der Lebensmitte lässt sich eine Einsicht nicht mehr bestreiten: Dass man einige Ziele wohl nie mehr erreichen wird. "Trotzdem ist es möglich, glücklich und erfüllt zu leben", meint Coach und Autor Attila Albert. In seinem neuen Buch "9 Wahrheiten, die dich durchs Leben tragen" spricht er den konstruktiven Umgang mit Enttäuschungen aus christlicher Perspektive an. Ein Auszug.
Lebensträume und wie sie sich (nicht) erfüllen
Die meisten Lebensziele werden gesetzt, ohne dass man dabei genau weiß, was sie wirklich bedeuten – und wie man sie empfinden würde, wenn man sie tatsächlich erreichen würde. Das gilt für die Entscheidung für eine Ausbildung oder ein Studium genauso wie für die Familiengründung. Man weiß nicht wirklich, worauf man sich einlässt – oder was man sich überhaupt wünscht. Mögliche Schwierigkeiten werden unterschätzt, die Erwartungen zu hoch gesteckt.
Legendäre Persönlichkeiten – Walt Disney, Steve Jobs oder Elon Musk – werden überall als Vorbilder dargestellt, als ob sich deren Lebensleistung von jedem mit genügend Willen nachahmen ließe. Vergleicht man sich dann mit all den großen Unternehmern, Sportlern oder Künstlern, scheint die eigene Lebensleistung schnell belanglos und nicht weiter erwähnenswert, fast schon wie ein Versagen.
"Du kannst alles erreichen, was du willst" stellt sich regelmäßig als falsches Versprechen heraus. In Wahrheit erfüllen sich Lebensträume schon oft – aber anders, als man es sich selbst vorgestellt oder ersehnt hat. Andere werden einfach unwichtig.
Fast immer korrigiert das Leben besonders idealistische oder egozentrische Vorstellungen ("Lebe deinen Traum!"), was für keinen angenehm ist. Aber Rückschläge und Scheitern sind wichtige Korrektive und stärken den Charakter. Man stellt als Erwachsener auch mit anfänglicher Verärgerung fest, dass man sich gar nicht immer nur um sich selbst und die eigenen Träume kümmern kann. Partner, Kinder und Eltern melden Ansprüche an, die Arbeit sowieso. All das relativiert viele Ziele der jungen Jahre auf gute Weise und führt im besten Fall zu einem pragmatischen, ganzheitlichen Lebensentwurf.
Wer die Hoffnung, wie versprochen "alles erreichen" zu können, nicht aufgeben will, wird unweigerlich ständig enttäuscht. Wartet häufig erst zu lange mit Entscheidungen, etwa bei der Berufs- und Partnerwahl, in der Hoffnung, eine ideale Lösung zu finden, wenn eine pragmatische bereits möglich wäre. Hält dann ewig an etwas fest, das sich längst als aussichtslos herausgestellt hat ("Gib niemals auf!").
Das zeigt sich beispielsweise in Serien von Praktika, immer neuen Weiterbildungen oder in Beziehungen, die nie über ein bestimmtes Stadium hinauskommen. Stellt man dann fest, dass man für manches bald zu alt ist, werden die Entscheidungen auf einmal hektisch ("Torschlusspanik"). Doch ganz lässt sich die Zeit nie aufholen.
Prüfen, ob die eigenen Prioritäten stimmen
Es gilt, die persönlichen Prioritäten zu prüfen und bei Bedarf zu korrigieren. Aus christlicher Sicht vor allem: das eigene Leben zuerst Gott zu widmen, danach der Karriere und dem Geldverdienen. Das ist kein Plädoyer für ein Leben in Erfolglosigkeit und Armut, sondern für eine Hierarchie: erst Gott, dann die Beziehungen in seinem Geiste (z. B. für den Partner und die Kinder da sein, sich um die Familie kümmern). Geld, Karriere, Reisen usw. sind ebenfalls schön, aber nachrangig.
Aus dieser Einstellung ergibt sich die Fähigkeit, gelassener zu leben und sich nicht von der weitverbreiteten Angst anstecken zu lassen, zu kurz zu kommen. Berufliche, finanzielle, generell persönliche Ziele sind aus dieser Perspektive also nie Selbstzweck, sondern einem größeren Ziel untergeordnet: ein besserer Mensch zu werden – nach dem Vorbild von Jesus, der das Leben von anderen besser macht und gleichzeitig genießt, was Gott ihm geschenkt hat. Es ist eine Einladung zur Freude im Alltag, nicht nur an einzelnen Wochenend- und Urlaubstagen: "Darum iss dein Brot und trink deinen Wein und sei fröhlich dabei! So hat es Gott für die Menschen vorgesehen und so gefällt es ihm." (Prediger 9, 7–9). Analog gilt das selbstverständlich ebenso für Frauen.
Hauptsächlich seinen Egoismen folgen zu wollen und zu erwarten, dass sich alle anderen danach richten, macht nicht glücklich. Sondern es zeigt sich bald ein Paradoxon: Wer auf diesem Weg weit kommt, wird nicht etwa zufriedener, sondern gelangweilter, kritischer und undankbarer. Die größte Gehaltserhöhung wird zur Selbstverständlichkeit, die schönste Reise zur Gewohnheit. Scheitern manche Ziele, was unvermeidbar ist, folgen die Wut auf andere und die Verbitterung über das vermeintliche eigene Versagen. All das ist jedoch unnötig, wenn Sie Ihren Blick ein wenig ändern. Erfolg zeigt sich deutlich vielfältiger.
Trotzdem dankbar und zufrieden
Beginnen Sie, wenn sich manche Lebensträume für Sie nicht erfüllt haben, immer mit einer positiven Bestandsaufnahme: Was hat gut oder sogar besser funktioniert, als Sie es einmal erwartet haben? Überlegen Sie danach, welche Ziele sich auf andere Weise erfüllt haben, als Sie es eigentlich wollten – und wo es im Rückblick möglicherweise sogar besser war, dass sich Ihre Wünsche nicht verwirklicht haben.
Denken Sie danach an erlebte Schwierigkeiten und Enttäuschungen: Was war eine bittere, aber wertvolle Lektion, weil Sie dazugelernt haben, stärker und klarer geworden sind? Das bedeutet nicht, sich alles schönzureden. Es geht vielmehr darum, zu vertrauen, dass sich Ihr Leben mit einer eigenen Logik entwickelt und Sie, wenn Sie das annehmen können, dabei von Gott begleitet werden.
Achten Sie auf wiederkehrende Muster und vermeintliche Zufälle, die sich ähnlich wiederholen: Welche Hinweise erkennen Sie darin? Wenn andere Sie regelmäßig um Rat fragen, sind Sie z. B. möglicherweise für eine beratende Tätigkeit berufen, auch wenn Sie bisher andere Pläne verfolgen. Wenn jemand Sie um Hilfe bittet, obwohl Ihnen das gerade gar nicht passt, dann vielleicht, damit Sie Geduld und Fürsorglichkeit üben und weniger nur um sich selbst kreisen. Seien Sie also offen für eine unerwartete, aber vielleicht bessere Richtung für Ihr Leben. Persönliche Träume erfüllen sich oft später und anders, als man es sich vorgestellt hat.
Ein Gebetstagebuch ist eine gute praktische Methode, das über mehrere Jahre hinweg mitzuverfolgen. Notieren Sie dafür in einem Heftchen mit dem Datum, wofür Sie gebetet haben. Blättern Sie später gelegentlich zurück, um nachzulesen, was Sie einmal bewegt hat und was aus Ihren Gebeten geworden ist. Streichen Sie ab, was sich direkt oder indirekt erfüllt hat. Vermerken Sie auch, was Sie sich inzwischen selbst anders wünschen, wo Sie also umgedacht haben.
Wenn Sie mitansehen müssen, dass jemand anderes – ein Partner, Freund oder Angehöriger – trotz seiner Bemühungen nicht erreicht, was er sich ersehnt, kann das sehr schmerzhaft selbst für Sie sein. Im Gebet ehrlich auszusprechen, was Sie bewegt und was Sie sich für den anderen wünschen, ist ein guter erster Anfang und eröffnet neue Perspektiven. Ein aufmunterndes Wort kann kurzzeitig helfen: "Du schaffst das", "Das kriegst du schon hin!”. Dauert die Situation länger an, wirkt das gedankenlos. Sie helfen dann mit Zuhören und einer Beratung, wie realistisch bestimmte Ziele und Pläne sind. Vermeiden Sie dabei einen vorwurfsvollen Ton ("Hast du das schon gemacht?", "Wieso stellst du dich so an!"). Wenn es Ihnen sinnvoll erscheint, können Sie anbieten, sich auch die Details gemeinsam anzusehen, beispielsweise bei einer Bewerbung das Anschreiben und den Lebenslauf gegenzulesen oder beim Dating einmal einen kritischen Blick auf die Selbstdarstellung im Onlineprofil zu werfen. Schätzen Sie Ihre eigenen Fähigkeiten Ihrem Gegenüber zuliebe aber realistisch ein. Kennen Sie sich mit einem speziellen Thema selbst zu wenig aus, können Sie möglicherweise eine kompetente Beratungs- oder Anlaufstelle empfehlen.
Annehmen, was ist
Wenn Sie die Wahrheit annehmen, dass Sie nicht alles erreichen werden, Sie das aber auch nicht brauchen, gehen Sie gelassener durch Ihr Leben – und genießen es mehr, als immer nur auf ein ewig unerreichbares Ziel hinzuarbeiten. Ihr Leben ist dann nicht eine endlose Aufgabenliste, sondern hat einige Schwerpunkte, und zwar in dieser Reihenfolge: erstens Gott, zweitens die Menschen, die Sie lieben, sowie drittens die Tätigkeiten und Dinge, die Sie mögen. Geld und Erfolg sind dann zwar notwendige Mittel zum Zweck und eine schöne Bestätigung, mehr aber nicht.
Setzen Sie sich generell nicht zu spezifische langfristige Ziele, sondern legen Sie eher Ihre grundsätzliche Richtung fest. Das gibt Ihnen die Flexibilität, sie auf unterschiedliche Weise zu erreichen, ohne enttäuscht zu sein, wenn Ihr Weg doch anders verläuft. Der Weg – das Erleben allein – ist dabei übrigens nicht das Ziel, sondern: Jesus im Wesen ähnlicher zu werden und so persönlich und spirituell zu wachsen. Oberflächliche Motivationssprüche im Stil von "Du kannst alles schaffen" und "Lebe deinen Traum" können kurzfristig ermutigen, sind aber keinesfalls eine tragfähige Strategie.
Mehr im Buch: "9 Wahrheiten, die dich durchs Leben tragen" (224 S., 18 Euro) von Attila Albert, erschienen bei bene!
Über den Autor: Attila Albert, geb. 1972, ist in Deutschland und Ungarn aufgewachsen und begann mit 17 als Reporter zu arbeiten. Er schrieb für Zeitungen und Magazine im In- und Ausland. Daneben studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA. Für einen Schweizer Industriekonzern betreute er die globale Marketing-Kommunikation. Heute lebt er als Karriere-Coach und Autor in Zürich. www.attilaalbert.com
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