Teresa ist Mitte 30 und bekommt ein Kind. So weit, so einfach – oder? Dass nichts leicht und selbstverständlich am Mutterwerden ist, darüber schreibt Autorin Julia Friese in ihrem Roman "MTTR". Im Interview mit EMOTION spricht sie über die Härte einer Geburt, Brutalitäten im täglichen Miteinander – und erklärt, warum die Erziehungsmethoden des Nationalsozialismus noch bei heutigen Eltern nachwirken.
Emotion: Übers Mutterwerden und Muttersein wurde schon viel geschrieben. Wieso war es dir wichtig, das Thema literarisch zu bearbeiten?
Julia Friese: Die Idee kam mir, als ich den Jan-Ole Gerster Film "Lara" sah. Corinna Harfouch spielt darin eine sechzigjährige Frau, deren erwachsener Sohn geworden ist, was sie mal hatte werden wollen: Pianistin. Statt ihn zu loben, kritisiert sie ihn. Keiner von beiden versteht den anderen. Insgesamt geht es in der Familie sehr bürokratisch zu, man gratuliert zwar pro forma zum Geburtstag, aber geht nicht aufeinander ein. Kann sich in den anderen gar nicht einfühlen. Ist mehr Formalie, denn Familie. Das hat mich sehr berührt, weil mir klar wurde: Das ist deutsch. Das fühlt sich nach Zuhause an. Darüber wollte ich schreiben.
Was meinst du damit genau?
Das hat mit der Geschichte des Landes zu tun. Also kurz umrissen: Zu Zeiten des Nationalsozialismus war Erziehung auf Bindungslosigkeit ausgerichtet. Das heißt, nach der Geburt wurden die Babys den Müttern weggenommen. Um sie zu waschen. Man sollte sein Baby nach festen Uhrzeiten füttern, und trockenlegen, und ansonsten am besten ignorieren. Ihr Schreien sollte ihnen nichts nützen. Schreien galt als frech. Und frech galt es zu brechen. Denn Menschen sollten möglichst fügsam sein, um dem Staat zu dienen.
Diese Art der Erziehung und des unpersönlichen Umgangs endete aber natürlich nicht automatisch nach 1945. Selbst Menschen meiner Generation sind noch von den Nachwirkungen der nationalsozialistischen Erziehung geprägt. Davon wollte ich erzählen: Eine werdende Mutter trägt eigentlich Zukunft in sich, kann sich von der Vergangenheit aber nur schwer befreien.
Die Protagonistin Teresa in deinem Buch ist ein Millennial, sie will irgendwie ein Kind, aber vielleicht auch nicht. Ein Klischee dieser Generation – man kann sich für nichts entscheiden?
Natürlich macht sich Teresa auch Gedanken über die Vereinbarkeit von Kind und Beruf, darüber, ob sie in die Rolle der primären Versorgerin des Kindes gezwungen wird. Ihr eigentlicher Zweifel rührt aber daher, dass sie ihre Herkunftsfamilie nicht reproduzieren möchte.
Wieso ist es so schwierig, sich selbst als Mutter vorzustellen?
Ich fürchte, dass niemand sich das wirklich vorher vorstellen kann, wie es werden, sich das anfühlen wird. Es gibt Faktoren – wie Zeit, Geld, helfendes Umfeld und psychische Belastbarkeit – anhand derer man überlegen kann, inwiefern man Raum im eigenen Leben hat, um sich um ein kleines Wesen zu kümmern. Aber letztlich sind das auch nur Schätzwerte, denn wenn das Kind da ist, kann sich alles ganz anders gestalten, als gedacht. Kinder sind ja auch sehr unterschiedlich. Also, ein Kind zu bekommen ist immer ein Wetten auf Unbekannt.
Im Internet wird momentan sehr offen übers Kinderkriegen und Mutterwerden gesprochen. Es gibt Geburtsberichte, es wird über die Kinderfrei-Bewegung diskutiert oder auch über "Regretting Motherhood". Wie nimmst du diese neue Offenheit wahr?
Die Auseinandersetzung mit dem Mutterwerden gibt es schon viel länger. Ich denke etwa an Charlotte Worgitzkys Roman "Meine ungeborenen Kinder" von 1982. Nur haben es Bücher und Texte zu weiblich konnotierten Themen eben schwer, kanonisiert zu werden. Daher vielleicht der Eindruck, dass im Internet "endlich mal" diese Themen behandelt werden. Letztlich ist das die Krux von feministischen Errungenschaften, dass die immer gleichen Ideen und Themen immer wieder in Vergessenheit geraten. In den USA kämpfen Frauen aktuell wieder um ihr Recht auf Abtreibung …
Aber können die offenen Diskussionen ums Mutterwerden, vor allem über die sozialen Netzwerke, nicht dazu beitragen, dass man die von dir angesprochene Bindungsunfähigkeit, diese familiäre Kälte, abstreifen kann?
Sie können zumindest helfen sich die eigene Prägung überhaupt bewusst zu machen. Es gibt auf TikTok einen Trend, der nennt sich #breakthecircle, da werden die eigenen malignen Familienstrukturen reflektiert. Nur sich intensiv mit sich selbst auseinanderzusetzen, das können ja nur Menschen mit sehr viel Zeit tun. Also längst nicht genug. Es bleibt schwierig.
Das Schräge ist ja, dass man im Leben oft davon ausgeht, alles anders machen zu wollen als die eigenen Eltern. Kann man daran deiner Meinung nach auch nur scheitern?
Man kann vieles anders machen als die eigenen Eltern. Trotzdem ist die eigene Erziehung ein Programm, das tief in einem abläuft. Das vielleicht zweifelt, Angst hat, oder gar eifersüchtig ist, auf das Kind, dass es nun vermeintlich besser hat. "Du sollst es mal besser haben als ich" ist ein alter Satz, kein neuer Antrieb. Die Fehler, die man heute bei der Kindererziehung macht, hat man noch gar nicht auf dem Schirm. In 20 Jahren wird man wahrscheinlich wieder ganz anders darüber denken.
Im Buch schilderst du die Geburt sehr drastisch, im Krankenhaus wird die gebärende Frau unmöglich behandelt. Die Kapitel machen ehrlich gesagt wenig Lust aufs Kinderkriegen. Warum war dir diese Brutalität in der Darstellung wichtig?
Schwangerschaften werden im übertragenen Sinne oft rosafarben gezeichnet. Wir verbinden damit alle Attribute, die wir mit Babys verbinden – weich, süß, niedlich. Dabei sind die Umstände einer Schwangerschaft und einer Geburt nichts davon. Ich wollte ich die Kraft des weiblich konnotierten Körpers erzählen. Wenn wir von Stärke sprechen, dann denken wir oft an sportlich gestählte Körper, nicht aber an einen runden, gebärenden Körper. Und warum? Weil es in unserer leistungsorientierten Gesellschaft um Wertschöpfung geht, und Elternteile die kurz mal nicht für Lohnarbeit zur Verfügung stehen, stellen da eine fehlende Ressource in der Wertschöpfungskette dar.
Daher rührt auch die Entwertung von Care-Arbeit: Weil Kinderkriegen, Kinderbetreuung, das Kümmern um Familienangehörige nicht als Wert, als Stärke, als harte Arbeit anerkannt wird. Vielleicht ist mein Roman nicht so gut geeignet für Leute, die gerade schwanger sind oder schwanger werden wollen … (lacht).
MTTR. Roman von Julia Friese. Erschienen im Wallstein Verlag.
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