Millennials wollen keine Karriere machen und berufliche Verantwortung übernehmen, sondern lieber mehr Freizeit haben. So lautet ein gängiges Klischee der Arbeitswelt. Das stimmt doch gar nicht, findet unsere Autorin – die Generation hat nur ein Problem mit der Arbeitswelt, wie sie ist
Der Instagram-Algorithmus kennt mich einfach zu gut. Als ich diese Woche abends auf dem Sofa lag, die verbliebenen fünf Minuten meines Zeitlimits für die App gemütlich nutzen wollte und mich gerade fragte, wer eigentlich die Person noch mal ist, durch deren Urlaubs-Story ich mich geswiped hatte, wurde mir plötzlich ein Artikel der Süddeutschen Zeitung angezeigt: „Millennials wollen nicht mehr Chef werden – Die 27- bis 41-Jährigen wären jetzt genau im richtigen Alter, um Karriere zu machen. Doch statt zuzugreifen, lehnen viele von ihnen Führungspositionen dankend ab. Aus Faulheit?“
Ich fühlte mich von dieser Überschrift schon sehr getriggert, erinnerte mich aber gerade noch rechtzeitig daran, als mündige Zeitungsleserin erst einmal den ganzen Artikel zu lesen, der, wie ich fand, schon in der Überschrift eines der nervigsten Klischees meines bisherigen Berufslebens reproduzierte: das Klischee von den faulen Millennials, die zu entitled für „richtiges“ Arbeiten sind und die im ewigen Kreisen um sich selbst und ihre ständig wechselnden Lebensträume die komplette Gesellschaft lahmlegen.
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Sinnsuche statt Karriere?
Ja – ge – nau. Ich fasse den Artikel mal zusammen: Millennials sind selbst zwischen 30 und 40 noch so sehr mit der Selbstfindungs- und Sinnsuche beschäftigt, dass die vielen, vielen Führungspositionen, die ihnen angeboten werden, leider ablehnen müssen, weil sie ihrer Vorstellung von persönlicher Erfüllung im Weg stehen. Außerdem verstehen sie nicht, dass Boomer noch richtig hart arbeiten mussten, um Chefs zu werden! Nicht so wie sie selbst, die „Unsicherheit zum Prinzip“ gemacht haben und ihre „Mosaikkarrieren“ deshalb per Unternehmenshopping zusammensetzen, bis sie eines Tages selbst gründen. Und die armen Unternehmen sind jetzt ganz ratlos, was sie machen sollen, um noch fähige, engagierte Führungskräfte zu finden.
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Ganz im Ernst, ich kann dieses Narrativ des unentschlossenen Millennials nicht mehr ertragen. Eine ganze Generation von erwachsenen Menschen wird dadurch fortwährend infantilisiert, und das seit meiner Studienzeit. Wir werden als „Schneeflocken“ tituliert, wir gelten als verwöhnte Kids, die lieber Playstation spielen oder zum Yoga gehen als Überstunden zu machen.
Klischee olé. Ich möchte gern mal die wirklich spannenden Führungspositionen sehen, die Millennials angeblich dauernd angeboten werden und die sie ablehnen, „weil sie sich den Stress nicht antun wollen“; sind das wirklich Führungspositionen, die unternehmerische und persönliche Weiterentwicklung bringen – oder Alibi-Job-Upgrades, die jungen Leuten huldvoll von Boomern übertragen werden, die aber lang nicht mit den Benefits einhergehen, die früher einmal obligatorisch waren, um Leute zu mehr Verantwortung im Job zu motivieren? (Mal ganz abgesehen davon, dass Millennials im Zweifel eher Chef*innen sein wollen als Chefs). Eine Freundin in Top-Großkonzern-Position berichtete mir kürzlich, sie habe einen Firmenwagen abgelehnt, weil sie das Budget lieber für eine dringend benötigte Fachkraft ausgeben wollte – das sagt doch alles über die gegenwärtige Mentalität in Konzernen!
Millennials haben keine Lust auf die alte Arbeitswelt
Millennials sind nicht faul. Vielmehr sind wir am Dauer-Hustlen seit 2005: Mach ein gutes Abi, sei gut in der Uni, streng dich in der Ausbildung an, sonst kannst du dich gleich beim Arbeitsamt melden (mir persönlich wurde im Masterstudium (!!) beigebracht, was mein beim Anmelden „auf dem Amt“ beachten müsse).
Millennials sind eine top ausgebildete Generation, die nach der Wirtschaftskrise aber eher mit dem Gefühl von „sei froh, dass du einen Job hast“ ins Berufsleben gestartet ist – nicht mit einem „herzlich willkommen, jetzt beginnt deine Karriere“. Das Resultat nach plus, minus zehn Jahren im Berufsleben: Wir verdienen im Vergleich deutlich weniger als die älteren Generationen, dabei steigen die Lebenshaltungskosten immens, gleichzeitig sollen wir bei der Arbeit in Boomer-Mentalität zurechtgesparten, chronisch unterbesetzten Teams „Change-Prozesse“ vorantreiben (zum Beispiel Digitalisierung), mit denen bisweilen schon die Generation X, also die 40- bis 55-Jährigen, keine Lust mehr hat sich auseinanderzusetzen.
Dieses Phänomen kenne ich übrigens aus mehreren Branchen. In vielen meiner Gespräche mit Freunden aus ganz unterschiedlichen Branchen geht es darum, wie man das Arbeitsleben und Unternehmensstrukturen so gestalten könnte, dass es weniger frustrierend und persönlich erfüllender wird. Daraus resultiert aber keine Unlust auf Führungsrollen, sondern eine Unlust darauf, sich mit 30, 35 Jahren immer und immer wieder vor arbeitssüchtigen Boomern und dauergeburnouteten Gen-X-ern, die mental im letzten 90er-Jahre-Rave hängengeblieben sind, beweisen zu müssen: JA, ich kann arbeiten, JA, ich kann Verantwortung übernehmen, und SORRY, dass ich PDFs erstellen kann, ohne versehentlich die Firmen-IT per Trojaner-Download lahmzulegen.
Es braucht mehr Austausch zwischen den Generationen
Jetzt schlage ich selbst mit Klischees um mich. Verzeihung. Aber stimmt doch irgendwo. Es muss dringend einen besseren Austausch zwischen den Arbeitsgenerationen geben, aber es kann auch nicht sein, dass nur von Millennials Verständnis für die Älteren gefordert wird. Nach dem Motto: Wir bezahlen dich schlecht, weil die Alten uns so viel kosten im Unternehmen, aber hab bitte Verständnis dafür, dass die Zeiten früher halt anders waren!
Ich persönlich will lernen von erfahreneren Kollegen und nicht durch wirtschaftliche Faktoren in den ständigen Konflikt katapultiert werden. Und da sind wir dann eben wieder bei der Frage nach den Führungspositionen. Ja, in meiner Generation ist der Blick für mentale Gesundheit geschärft. Wenn ich 65-Jährige sehe (meistens Männer, weil: let’s face it, in dieser Generation sind es immer noch hauptsächlich Männer, die es „nach oben“ geschafft haben), die ihr Arbeitsleben lang 60, 70, 80 Stunden die Woche gearbeitet haben und jetzt Panik vor der Rente haben, da denke ich mir auch: Gibt’s für Euch nix anderes im Leben als Arbeit?
Aber nur, weil man sich mit der Frage nach einer mental verkraftbaren Arbeitswelt auseinandersetzt, weil man hinterfragt, ob man sich im Beruf für vergleichsweise wenig Geld komplett aufreiben soll, um auf Linkedin eine „Führungsposition“ eintragen und dann salbungsvolle Posts zu Work-Life-Balance und Personal Branding verfassen zu können, heißt das noch lange nicht, dass man sich Möglichkeiten des Aufstiegs verweigert, dass man nicht bereit ist, Verantwortung zu übernehmen.
Millennials haben keine Angst vor Führungspositionen. Die Frage aus dem SZ-Artikel, die offenbar viele Personalmanagements ganz ratlos macht, ist easy zu beantworten: Ihr wollt engagierte Führungskräfte? Dann bietet ihnen gescheite Bezahlung, die Möglichkeit, ein Team vernünftig aufstellen zu können, und fähige Sparringspartner, etwa in Tandem-Führungsmodellen, damit man Arbeitsprobleme nicht nachts mit sich alleine ausmachen muss. Das sind keine exaltierten Schneeflocken-Forderungen, sondern die Grundvoraussetzungen, um sich bei der Arbeit auf die Arbeit konzentrieren zu können. Und das gilt für alle Altersgruppen.
Was ist daran so schwer zu kapieren?
Dieser Text ist zuerst im Newsletter der Autorin erschienen.