Hilfe – so viele Stunden verbringt man am Handy?! Der Check der Screentime kann durchaus erschrecken. Aber wann wird aus "nur mal eben das Handy checken" eine Sucht – und was kann man dagegen tun?
Manchmal hilft nur noch ein radikaler Schritt – auch, wenn es ums Handy geht. Wer das Gefühl hat, zu viel Zeit am Handy zu verbringen, regelrecht süchtig danach zu sein, sämtliche Apps auf Neuigkeiten zu checken – der hat vermutlich ein Problem. Das man aber lösen kann: In der Sha Wellness Clinic in der Nähe von Alicante, Spanien, checkt regelmäßig der internationale Jetset ein, um endlich mal wieder runterzukommen und (digital) zu detoxen. EMOTION hat die Wellbeing-Expertin der Klinik, die Psychologin Cinthya Molina, erklärt, wie man eine Handysucht feststellt, ab wann das Kleben am Bildschirm problematisch wird – und wie man auch zu Hause einen Digital Detox hinbekommt.
EMOTION: Welche Anzeichen deuten darauf hin, dass mein Umgang mit Screentime, Social Media & Co. nicht mehr ganz gesund ist?
CINTHYA MOLINA: Da gibt es mehrere Signale: etwa, wenn jemand das Handy nicht mal mehr in Gesellschaft weglegt, sich nicht richtig auf die Unterhaltung konzentrieren kann, weil ständig das Telefon gecheckt wird. Oder, wenn das Handy überall hin mitgenommen wird, zum Beispiel aufs Klo – das zeugt von einem obsessiven Verhalten. Schwierig ist auch, wenn das Handy als hauptsächliche Quelle für jede Art von Entertainment genutzt wird, anstatt für Kommunikation und Organisation.
Welche Auswirkungen hat ein übermäßiger Handykonsum auf die Gesundheit?
Das Problem daran ist, dass das Gehirn jedes Mal, wenn wir aufs Handy schauen, völlig überfordert ist. Es erhält viel zu viele Stimuli, die es gar nicht so schnell verarbeiten kann. Dabei ist die Hauptaufgabe des Gehirns, wichtige von unwichtigen Informationen zu unterscheiden. Wenn es aber den ganzen Tag über mit Informationen und Reizen überschüttet wird, gelingt das nicht mehr richtig, das Gehirn wird in einen permanenten Angst- und Stresszustand versetzt. Deshalb trägt jedes "mal kurz aufs Handy gucken" dazu bei, dass wir uns ein bisschen schlechter konzentrieren können; es dauert länger, bis das Gehirn zur eigentlichen Aufgabe, mit der wir uns gerade beschäftigt haben, wieder zurückkehren kann.
Wenn sich die Gehirnwellen zu lange im Betabereich befinden, also in Alarmbereitschaft, dann kann in der Folge das Nervensystem nicht mehr richtig regenerieren, was zu Schlafbeeinträchtigungen und Gedächtnisstörungen führt. Verstärkt werden diese Probleme im Biorhythmus durch das blaue Handylicht; langfristig wird die Zirbeldrüse gestört, die für die Melatoninproduktion zuständig ist, also für die Produktion des Schlafhormons. Und das sind nur die Probleme, die wir jetzt schon kennen – was die elektromagnetische Strahlung auf lange Sicht mit dem menschlichen Körper macht, können wir aus gesundheitlicher Perspektive momentan noch nicht absehen.
Was kann ich tun, wenn ich feststelle, dass ich zu viele Stunden täglich am Handy verbringe und sich erste negative Effekte bemerkbar machen?
Es ist wichtig, sich Alltagsfreude auf anderen Wegen zu holen als übers Handy. Das heißt, dass man wieder lernen muss, freie Zeit anders zu verbringen als mit Social Media, News Apps oder Onlineshopping – und dass es viel befriedigender ist, einen Spaziergang zu machen, ein Buch zu lesen, zu kochen, Zeit mit Freunden zu verbringen etc., als durchs Handy zu scrollen. Es kann helfen, Methoden der Selbstkontrolle und des Stressmanagements zu trainieren, zum Beispiel über Meditation, Visualisierungen oder Atemtechniken.
Wann wird es Zeit für einen Digital Detox?
Schaust du ständig auf dein Telefon oder deinen Computer, auch wenn du das Gerät nur für ein paar Minuten benutzt hast? Greifst du stets zum Telefon, wenn du nach Unterhaltung suchen? Hast du das Gefühl, ohne Handy nicht leben zu können? Findest du es schwierig, dich auf eine Aufgabe zu konzentrieren, ohne zwischendurch immer wieder zum Telefon zu greifen? Hast du das Gefühl, dass dein Kopf überfüllt von Informationen ist? Fühlst du dich unwohl, wenn du dein Handy nicht finden kannst? Wenn du nur eine dieser Fragen mit "ja" beantwortest, dann ist ein Digital Detox wirklich zu empfehlen.
Worauf muss ich beim Digital Detox achten – einfach Handy aus?
Wichtig ist, dass man sich immer wieder Zeit für einen Digital Detox nimmt. Das heißt: Es bringt nicht viel, einmal im Jahr für ein paar Tage im Wellnesshotel das Handy auszuschalten, es ist viel wichtiger, im Alltag immer mal wieder für einige Stunden darauf zu verzichten oder am Wochenende mal einen Tag ohne Handy zu verbringen. Wir müssen uns immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass es eine Zeit gab, in der Menschen ganz ohne Handys ausgekommen sind, und da waren die Menschen auch nicht unglücklicher als jetzt.
Es geht darum, das Handy im Alltag immer mal wieder für ein paar Stunden auszuschalten.
Es geht beim Digital Detox auch nicht darum, einfach nur "auszuhalten", eine Weile lang ohne technische Geräte auszukommen. Es geht darum, sich um die eigene emotionale Stabilität zu konzentrieren, damit man nicht dauernd das Verlangen nach Ablenkung entwickelt; es geht darum, wieder zu lernen, im Hier und Jetzt zu leben, den Moment zu genießen, anstatt das Gehirn zu betäuben. All das wird sich langfristig positiv auf eine Stressreduktion im Alltag auswirken. Wir sehen bei vielen unserer Patient:innen, dass sie lernen müssen, irgendwie eine Balance zwischen beruflichem und privatem Leben zu schaffen.
In der Wellnessklinik für ein paar Tage aufs Handy zu verzichten, ist easy. Aber wie falle ich zu Hause nicht sofort wieder zurück in die Handysucht?
Der erste Schritt ist hier, wirklich zu verstehen, dass ein übermäßiger Technikkonsum gesundheitsgefährdend sein kann. Viele unserer Patient:innen verstehen, dass es vielleicht nicht so toll ist, stundenlang am Handy zu hängen, aber wir müssen ganz oft sehr genau erklären, welche weitreichenden Auswirkungen es haben kann, etwa bei Schlaflosigkeit durch Instagram zu scrollen. Erst, wenn Patient:innen das verstehen, sind sie auch zu echten Veränderungen bereit. Wie bei jeder Behandlung von suchtähnlichem Verhalten muss am Anfang der Wille stehen, sich wirklich ändern zu wollen – zum Beispiel, indem man im ersten Schritt die tägliche Stundenanzahl, die man am Handy verbringt, drastisch reduziert.
Im zweiten Schritt geht es dann darum, sich das eigene Leben anzuschauen und zu überlegen: Was macht für mich ein gesundes, lebenswertes Leben aus? Da stehen dann an erster Stelle die Treffen mit Freunden, Partnerschaften, Hobbys, persönliche Weiterentwicklung – nicht die Zeit am Handy. Also sollte man versuchen, die heutigen technischen Möglichkeiten eher dafür zu nutzen, die Lebensthemen, die einem wichtig sind, zu fördern und zu organisieren, beispielsweise, indem man Treffen mit Freunden organisiert. Aus psychologischer Sicht geht es nicht darum, den Handykonsum komplett zu verdammen, sondern als Unterstützung fürs moderne Leben zu sehen. Aber eben nicht als einzige Quelle der Verbundenheit zu anderen Menschen und der Unterhaltung.
Drei Schritte zur Soforthilfe an einem Tag voller Technikstress?
Erstens: Versuche, dein Gehirn mit anderen Aktivitäten vom Handy abzulenken. Schalte das Handy für eine Stunde aus, geh raus, mach Sport oder werde kreativ. Zweitens: Versuche zu meditieren, dich selbst zu beruhigen und auf die Gegenwart zu konzentrieren. Drittens: Socialize! Verabrede dich mit Freunden, sprich mit einem Familienmitglied. Schalte währenddessen alle technischen Geräte aus.
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