Smart Home oder Ökodorf, WG oder Eigenheim? Wir haben Expertinnen gefragt, wie wir in Zukunft leben wollen. Bei einem sind sich alle einig: nachhaltig!
Mommy-WGs: "Zusammen ist man weniger alleinerziehend"
Christina Vogt hat lemulike.de gegründet, ein Portal für Alleinerziehenden-WGs.
"Die Inspiration für Lemulike kommt von den Lemuren. Bei diesen Tieren tun sich die Mamas zusammen, teilen sich die Futtersuche und die Babys wachsen in gemeinsamen Nestern auf. Wir glauben: Zusammen ist man weniger alleinerziehend. Deswegen soll unsere Website Single-Müttern und -Vätern dabei helfen, sich mit anderen Alleinerziehenden zusammenzutun, die eine WG gründen möchten. Das Zusammenleben erleichtert den Alltag von allen Beteiligten: Man teilt sich die Miete, kann gegenseitig babysitten und hat jemanden, mit dem man seine Sorgen teilen kann – wie in einer Paarbeziehung. Viele verbinden das Konzept WG immer noch mit der Studienzeit. Wenn man älter ist, gehört sich das nicht mehr. Dann soll man als Familie zusammenwohnen. Und wenn das nicht funktioniert, tja, dann hat man Pech gehabt. Wir halten diese Vorstellung für überholt, die Rahmenbedingungen haben sich geändert. In den Städten gibt es einen Engpass bei Wohnungen. Da ist es gut, Alternativen zu finden. Deswegen sprechen wir mit Lemulike auch Senior:innen an, die ihren Wohnraum teilen möchten. Allmählich begreifen viele, dass wir besser vorankommen, wenn wir uns zusammentun. Die Gesellschaft wird offener für andere Lebensentwürfe, jenseits von der Vater-Mutter-Kind-Familie. Wir hoffen, dass wir diesen Wandel weiter vorantreiben können."
Hauptsache zusammen!
Autorin Anne Weiss hat viele Wohnformen ausprobiert und das Buch "Der beste Platz zum Leben" (Knaur, 16,99€) geschrieben.
"Der Traum vom Einfamilienhäuschen, mit dem viele in meiner Generation aufgewachsen sind, ist inzwischen weder ökologisch zeitgemäß noch finanziell zu erreichen. Wie wollen wir dann wohnen? Für mein Buch habe ich sieben Wohnexperimente gemacht. Ich bin in ein Smarthome gezogen, habe mich von meiner Natursehnsucht aufs Land treiben lassen – ohne Auto. Habe in einem Tiny House nahe der Natur als Selbstversorgerin gelebt, in einer Jurte geschlafen und mir in einem Mehrgenerationenhaus Gedanken über das Wohnen im Alter gemacht. Einmal konnte ich sogar einen alten Eisenbahnwaggon mein Zuhause nennen. Und ich habe im Ökodorf Sieben Linden bei Wolfsburg gewohnt. Dort leben rund 150 Menschen, die sich mit innovativen und nachhaltigen Ideen eine grüne Oase geschaffen haben. Was mich am meisten beeindruckt hat: das Konzept, nach dem sie Gemeinschaft leben. Jeder Mensch ist in den größeren Zusammenhang eingebunden. Ich wünsche mir, dass der Gemeinschaftsgedanke um sich greift. Wir leben in einer Gesellschaft, die immer individualisierter wird, die Menschen vereinsamen. Sich zusammenzuschließen würde uns im Ganzen guttun, denke ich – um günstigen Wohnraum zu schaffen, um ökologischer zu leben, um dem Stadtviertel, in dem ich wohne, etwas zurückzugeben und um das eigene Glück zu finden."
Werden wir zuhause alles per Knopfdruck steuern? "Daran glaube ich nicht"
Als Trendforscherin weiß Oona Horx-Strathern, wie wir in Zukunft leben werden.
"Die Zukunft des Wohnens sieht eklektisch aus. Es gibt gerade viele Interior-Stile, aus denen die Menschen Inspiration schöpfen. Im Vordergrund steht aber immer: die eigene Identität zum Ausdruck zu bringen. Früher haben sich die Menschen ausgemalt, dass wir in digitalisierten Smarthomes wohnen werden, in denen sich alles mit dem Handy steuern lässt. Daran glaube ich nicht. Wir brauchen das Analoge als Ergänzung zu unserem sowieso schon digitalisierten Alltag. Wir wollen unsere Vorhänge selbst öffnen, statt nur einen Button auf unserem Smartphone zu
betätigen. Wir wollen die Kontrolle über unsere Umgebung. Stattdessen glaube ich, dass wir den technologischen Fortschritt dafür nutzen, energiesparende Lösungen zu finden. Sowieso wird nachhaltiges Wohnen immer wichtiger. Zeitlose Möbel, die lange halten und aus guten Materialien bestehen, sind angesagt. Und auch in der Stadtplanung gibt es ökologische Ideen, zum Beispiel die „15-Minute-City“. Grundgedanke bei diesem Konzept ist, dass man alle wichtigen Dienstleistungen innerhalb von 15 Minuten mit öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Fahrrad oder zu Fuß erreichen kann."
Wohnen, arbeiten, entspannen – alles unter einem Dach
Lea Mishra hat Poha House mitgegründet, ein Wohnprojekt für nachhaltige Co-Spaces.
"Wir wollen eine Möglichkeit schaffen, in Gemeinschaft zu wohnen. Dafür bieten wir bei Poha House verschiedene Wohnungstypen an: von WGs über Studio-Apartments bis hin zu Mehrzimmerwohnungen, alles möbliert. Dazu gehören Gemeinschaftsräume wie eine Dachterrasse, eine Lounge oder ein Yogaraum. Zudem organisiert unsere Community Manager Events, Kurse und Workshops. Die ersten Co-Spaces gibt es in Aachen und Münster. Unsere Idee ist es, Leben und Arbeiten zu verbinden. Statt ins Büro zu pendeln, ist der Arbeitsplatz im selben Gebäude. Dadurch, dass wir all diese Flächen teilen, ermöglichen wir einen besseren Lebensstandard. Die wenigsten könnten sich sonst ein Büro oder eine Dachterrasse leisten. So bringen wir mehr Menschen auf kleinerem Raum unter, bei höherer Lebensqualität, und nutzen die Flächen sinnvoll und nachhaltig."
Traum vom Eigenheim: "Wärme ist die neue Lage"
Rebecca Scheidler ist Geschäftsführerin von Engel & Völkers Finance.
"Gerade wird kaum neu gebaut, da die Baumaterialien teuer sind. Außerdem sind die Zinsen hoch. Damit sich mehr Menschen eine eigene Immobilie leisten können, ist die Politik gefragt, eine Senkung der Grunderwerbssteuer würde helfen. Trotz dieser Herausforderungen muss der Traum vom Eigenheim nicht platzen. Man sollte vorher genug Eigenkapital sparen, etwa auf einem Bausparkonto. Heutzutage ist der Energieverbrauch einer Immobilie wichtig. Man sagt: Wärme ist die neue Lage. Der Nachhaltigkeitsgedanke wird immer relevanter. Ich glaube, dass sich der Immobilienmarkt in den nächsten ein, zwei Jahren reguliert, die Zinsen sich einpendeln. Man muss einfach Geduld haben."
Dieser Text erschien zuerst in EMOTION 10/2023.
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