Manchen Menschen möchten wir ewig zuhören. Phenix Kühnert gehört dazu. Sie spricht in ihrem Podcast und auf ihrem Instagram-Account über ihr Leben als trans Frau. Mit Humor, Klarheit – und einer warmen, tiefen Stimme. Wie sie die lieben gelernt hat, erzählt sie hier.
Vor Kurzem noch hab' ich gesagt, ich klänge wie ein Hamburger Seebär, heute habe ich eine andere Beziehung zu meiner Stimme. Das liegt einerseits daran, dass ich mich mittlerweile wohler fühle und mich so annehmen kann, wie ich bin, aber auch daran, dass ich etwas höher spreche. Als ich in meiner Jugend in den Stimmbruch kam, fand ich das nicht schön. Vor allem weil ich nicht mehr bei meinen Lieblingssongs mitsingen konnte. Aber damals war ich grundsätzlich verwirrt und in meiner Identität als Frau noch nicht so sicher. Bei der Geburt wurde mir das männliche Geschlecht zugewiesen und ich habe erst nach einigen Jahren verstanden, dass ich eine Frau bin. Ich habe früh gemerkt, dass da irgendwie etwas nicht passt, konnte es aber noch nicht so richtig benennen. Deswegen habe ich mich in meiner Jugend nach außen als "schwuler Mann" präsentiert.
Heute werde ich in den allermeisten Fällen korrekterweise als Frau gelesen. Selbst am Telefon werde ich in schätzungsweise 60 Prozent der Fälle als Frau wahrgenommen. Vor Kurzem wurde ich von meinem Telefonanbieter angerufen. Mein Vertrag dort läuft noch unter meinem männlichen Deadname. Als ich mich mit "Kühnert" gemeldet habe, hat mich die Person am anderen Ende der Leitung gefragt, ob ich die Frau von Herrn Kühnert sei. Ich habe die Frage mit einem knappen "sozusagen" beantwortet und nach dem Auflegen herzlich gelacht. Trotzdem bin ich der Überzeugung, dass es auch heute immer noch meine Stimme ist, die Menschen verwirrt.
Als ich letztens in einem Café saß und mich mit meiner Begleitung unterhalten habe, bekam ich mit, dass zwei Menschen am Nebentisch über mich geredet haben: "Ich glaube, sie ist ein Mann." Auch wenn ich es völlig absurd finde, dass sich Menschen über das Geschlecht von anderen, fremden Menschen auf diese Art austauschen, hat es mich verunsichert, und für einen Moment habe ich stärker auf meine Stimme und Auftreten geachtet. Aber glücklicherweise bin ich mittlerweile so selbstbewusst, dass ich mich relativ schnell wieder entspannen konnte. Ich bin eine Frau und daran ändern auch Kommentare von Fremden nichts.
Um sich wohler zu fühlen und ein besseres Passing zu erreichen – also noch leichter als cis Frau durchzugehen – können trans Frauen ihre Stimme durch verschiedene Methoden erhöhen: zum Beispiel durch eine Operation an den Stimmbändern. Der langfristige Erfolg der OP ist aber nicht garantiert. Deswegen und weil ich andere Prioritäten habe, kommt eine solche für mich aktuell nicht infrage. Die Hormontherapie, die ich seit einigen Jahren mache, beeinflusst meine Stimme nicht. Ich könnte ein Stimmtraining machen. Aber meine Stimme ist von allein in den letzten Jahren etwas höher geworden, weil ich mehr darauf achte, wie ich klinge. Die Art und Weise, wie ich spreche, habe ich nie bewusst verändert. Mit einem leichten Singsang habe ich schon immer gesprochen. Da ich schon seit vielen Jahren Podcasts moderiere, bin ich ohnehin geübt, mit meiner Stimme zu arbeiten und mache das auch supergern. Ich habe gerade mein Buch "Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau" als Audiobook eingesprochen und hatte Megaspaß, vor allem an den Stellen mit vielen Emotionen.
Beim Onlinedating merke ich, dass ich auf meine Tonhöhe achte, wenn ich die erste Sprachnachricht schicke. Unter anderem, weil ich schon so viele Diskriminierungserfahrungen bezüglich meiner Person auch im Bezug auf meine Stimme machen musste. Dass auch ich selbst in diesen cis-binären Geschlechtervorstellungen stecke, fiel mir auf einem Festival auf: Mit meiner Schwester lief ich an einem Zelt vorbei, in dem lauthals gesungen wurde. Wir sahen die Person nicht, hörten nur die relativ tiefe Stimme, und wir sprachen von einem "er". Dann wurde mir bewusst, dass es ja auch ich hätte gewesen sein können – eine "sie".
Genau diese Abweichungen von der Norm können total spannend und besonders sein. Tiefe, rauchige Frauenstimmen fand ich schon immer supercharismatisch. Und damit im Hinterkopf versuche ich auch über meine eigene Stimme zu denken. Und auch wenn ich nicht mehr die hohen Töne treffen kann, singe ich immer noch ständig mit. Jetzt eben bei Songs von Amy Winehouse.
Dieser Artikel erschien zuerst in EMOTION 10/22.
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