Trotz ihres Erfolgs fühlte Model Stefanie Giesinger sich getrieben und ausgebrannt. Ihre Therapeutin riet ihr, den Job zu wechseln. Die 26-Jährige änderte stattdessen die Regeln. Ein Gespräch über Krisen, die innere Stimme und das Neinsagen.
Stefanie Giesinger lässt sich auf das Ledersofa plumpsen. "Ich hab zero geschlafen, weil gerade so viel in meinem Leben passiert", erzählt die 26-Jährige nach unserem Cover-Shooting in einem Berliner Loft. Merkt man ihr zero an, den Schlafentzug. Das ganze Team ist hin und weg von ihrer guten Laune. "Ich bin so froh, dass wir gerade die 4-Tage-Woche eingeführt haben", erzählt sie. Wir, das sind ihre beste Freundin Leni, die ihre Managerin ist, und sie selbst. Mit dem Selbst war es lange so eine Sache – "es hat ein bisschen gedauert, bis ich mich selbst gefunden habe", sagt das Model, das längst Unternehmerin ist und der als Influencerin 4,6 Millionen Menschen folgen. Auf ihrem Weg hat Stefanie Giesinger emotional sehr dunkle Phasen durchlebt. Jetzt hat sie gerade gefühlt ihr ganzes Leben umgekrempelt, eine eigene Wohnung gekauft und ihre Skincare-Marke "Moy" neu aufgelegt. Zeit für einen Zwischenstand!
Vor genau einem Jahr hast du dich vondeinem Management getrennt. Diese Funktion übernimmt jetzt deine beste Freundin Leni. Was hat sich seitdem verändert?
Ich fühle mich extrem frei und habe das Gefühl, richtig erwachsen geworden zu sein. Für mich ist es das größte Geschenk, meinen Arbeitsalltag mit meiner besten Freundin an meiner Seite beschreiten zu können. Leni und ich haben vorher schon drei Jahre zusammen gearbeitet und sind seit September 2021 eine Two-Women-Show. Es ist unglaublich motivierend, eine gemeinsame Vision vor Augen zu haben und seine eigenen Regeln zu definieren. Wir handeln aus dem Herzen, arbeiten nur noch mit Menschen zusammen, die unsere Werte teilen und sind glücklicher denn je.
Wie leicht fällt es dir, auf deine innere Stimme zu vertrauen?
Ich muss immer wieder genau hinhören. Das kennen bestimmt viele: Es kommt ein Angebot und man glaubt, das war vielleicht das letzte! Diese Sorge kenne ich auch. Ich bin ein People Pleaser und überlege auch deshalb teilweise noch ewig, ob ich etwas nicht lieber doch machen sollte.
Um niemanden zu enttäuschen?
Genau, aber auch hier ist es Gold wert, einen Menschen an meiner Seite zu haben, der mich manchmal besser kennt als ich mich selbst. Spätestens nach einem kurzen, ehrlichen Gespräch mit Leni weiß ich die Antwort. Tief in mir drin wusste ich sie ohnehin. Was mir auch unendlich wichtig war, sind klare und gesunde Arbeitsstrukturen. Wir nehmen uns strikt das Wochenende frei und haben gerade die 4-Tage-Woche eingeführt. Entschleunigung und Pausen sind nicht nur körperlich, sondern auch für die mentale Gesundheit extrem wichtig.
Gab es einen konkreten Auslöser dafür, das mehr in den Fokus zu rücken?
Ich bin einfach nur noch durch mein eigenes Leben gerannt und habe mich dabei verloren. Gefährlich wird es nämlich, wenn du dich selbst nicht mehr liebst und dir Liebe extern zum Beispiel über Social Media holen musst. Instagram war für mich lange ein negativ behafteter Ort, obwohl es großer Bestandteil meines privaten und beruflichen Alltags ist.
Was war so negativ?
Je schlechter es dir geht, umso eher lässt du Hasskommentare an dich heran. Oder fängst sogar an, sie zu glauben. 2020 war für mich das schlimmste Jahr meines Lebens. Ich hatte Depressionen und sehr realistische Suizidgedanken. In der Phase habe ich die ganze Zeit Antidepressiva durchgenommen. Da rauszukommen ging nur mit Therapie. Da gehe ich heute immer noch ab und zu hin, wenn es mir nicht so gut geht – was ich absurd finde? Wir gehen alle zum Sport, um unseren Körper gesund zu halten. Aber bei unserer mentalen Gesundheit werden viele erst aktiv, wenn es fast schon zu spät ist.
Wie hast du gelernt, mit diesen Hasskommentaren umzugehen?
Heute umgebe ich mich endlich mit den richtigen Leuten und arbeite kontinuierlich an meiner Beziehung zu mir selbst. Auch deshalb habe ich das Gefühl, erwachsen geworden zu sein. Natürlich gibt es noch Sachen, mit denen ich hadere, trotzdem versuche ich, mir selbst die Liebe zu geben, die ich verdiene.
Hast du mal überlegt, dich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen?
Selbst wenn ich weiter, wie früher, einfach bei McDonald’s gearbeitet hätte – meine Traumata hätten mich irgendwann eingeholt. Eine Therapeutin hat mir tatsächlich geraten: "Wechsel deinen Job." Aber ich habe gemerkt, dass ich nicht mit Social Media aufhören muss, sondern daran arbeiten muss, wie ich die Bewertungen aufnehme. Mit Kritik muss ich in jedem Job umgehen. Und ich liebe es, vor der Kamera zu stehen und meine Reichweite zu nutzen, um über Themen zu sprechen, die mir am Herzen liegen.
Du zeigst auch die schwierigen Seiten des Lebens, etwa deine Krankenhausaufenthalte (Anm. d. Red.: Sie leidet an Volvulus durch Malrotation, einer angeborenen Verdrehung des Dünn- und Dickdarms). Wie reagieren deine Follower:innen darauf?
Schmerzen begleiten mich schon mein ganzes Leben. Die Erkrankung wurde leider zu spät entdeckt. Zuerst habe ich diesen Teil meines Lebens versucht zu verstecken. Ich hatte keinen Bock mehr, das "kranke Mädchen" zu sein, aber irgendwann habe ich gemerkt, dass ich dazu stehen muss, weil es so ein riesiger Teil meines Lebens ist. Ich will Instagram authentischer machen, auch wenn es einige Leute eklig finden, wenn ich meine Narben zeige. Ich hab die Nase voll davon, dass immer bloß alles unter den Teppich gekehrt wird.
Deine erfolgreiche Skincare-Marke "MOY" hast du neu aufgelegt.
Genau. Im August sind die neuen Produkte für die Gesichtspflege und -reinigung rausgekommen. Und das beliebte Parfüm wurde auch neu aufgelegt und ist jetzt endlich vegan. Alles komplett wie ich es liebe – so umweltfreundlich wie möglich, vegan, non-toxic!
Wie kam es zu dem Relaunch?
Wir haben MOY 2018 gelauncht. Vor vier Jahren hatte ich noch einen vollkommen anderen Blick auf viele Dinge, war jünger und noch etwas naiver. Über die letzten Jahre habe ich mich verändert und konkretere Vorstellungen und Ansprüche an mich selbst und meine Marken entwickelt. Wir haben step by step versucht MOY zu optimieren, bis wir irgendwann an einem Punkt waren, an dem wir realisiert haben, dass der Grundbaustein verändert werden muss. MOY ist erwachsen geworden. Wie ich.
Dieser Artikel erschien zuerst in der EMOTION 10/22.
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