Influencer:innen, TikTok-Stars und Topmodels sind jetzt als "Weird Girls" unterwegs – und kleiden sich wie ihre 13-jährigen Ichs in der schlimmsten Phase modischer Verwirrung. Was steckt hinter dem Trend? Und lohnt es sich vielleicht, auch die alten Klamotten aus dem Keller zu holen?
Schottenröchcken, aufblasbare Handtäschchen, grell gemusterte Strickmützen, kindliche Haarspangen und Glitzersticker im Gesicht: Die schlimmsten Modesünden der späten 1990er bzw. frühen 2000er sind zurück – und ausgerechnet Topmodel Bella Hadid, die unter anderem schon für Dior und Fendi modelte, hat das sonderbare Comeback losgetreten.
#WeirdGirlAesthetic – hässlicher Trend oder modische Freiheit?
In ihrer Freizeit setzt die 25-Jährige neuerdings jedenfalls auf völlig abgedrehte Style-Kombis, die an Marusha meets Sailor Moon beim Après-Ski erinnern. Schnell trendete der Begriff #WeirdGirlAesthetic, andere Influencer:innen zogen nach und bei Twitter, TikTok und Co. wurde wild diskutiert: Versuchen die absichtlich, hässlich auszusehen? Ist das Anti-Fashion – oder die ultimative modische Freiheit? Kann nur ein Model sowas tragen? Und: Wer bestimmt überhaupt, was schön oder hässlich ist?
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Fakt ist, dass Bella Hadid sich so anzieht, weil sie Lust drauf hat: "Bevor ich morgens das Haus verlasse, frage ich mich: Macht mich das, was ich anhabe, glücklich? Fühle ich mich darin gut und wohl?", erklärte sie dem "Wall Street Journalism".
Inspiration aus den Straßen Tokios
Inspiriert wurde der Weird-Girl-Look vom Harajuku-Streetstyle. In dem berühmten Szeneviertel von Tokio wimmelt es nur so von verrückten Boutiquen, die japanischen Teenager:innen präsentieren dort stolz ihren schrillen, karikaturhaften Stil. Schon Gwen Stefani und Nicki Minaj ließen sich davon inspirieren. Guter und schlechter Geschmack fließen dabei ineinander, es geht in erster Linie um Selbstermächtigung, Freiheit und den Bruch mit gängigen Normen – eine Rebellion also. "Gerade wenn etwas als geschmacklos gilt, ist es doch richtig großartig", findet sogar Stardesigner Marc Jacobs.
Endlich mal wieder 13 sein
Bella Hadid, die bereits mit 14 Jahren von ihrer "Eislaufmutter" zu einer Nasen-OP Gedrängt wurde, um als Model durchstarten zu können, gestand kürzlich in der "Vogue": "Ich frage mich immer: Wie konnte ein Mädchen mit unglaublichen Unsicherheiten, Ängsten, Depressionen, Problemen mit dem Körperbild und Essstörungen, eines, das es hasst, berührt zu werden, und unter starken sozialen Ängsten leidet – wie konnte ich nur in diese Branche geraten?" Auch habe sie sich neben ihrer älteren Schwester Gigi Hadid, die ja ebenfalls ein erfolgreiches Model ist, lange wie die "hässliche Schwester" gefühlt. Gut möglich also, dass Bella mit ihrer seltsamen Klamottenwahl jetzt einfach das nachholz, was sie nie hatte: eine ganz normale Pubertät.
Da klingelt auch bei mir was: Mit 13 Jahren wollte ich alles sein, bloß nicht Mainstream. Deshalb hatte ich große Freude daran, mir selbst schrille Outfits zu nähen und gerne auch mal bewusst geschmacklos (z.B. in Baggypants und BH überm T-Shirt) im Klassenzimmer oder auf einer Familienfeier aufzukreuzen. "Wie siehst DU denn aus?!", tönte es dann regelmäßig von der konservativen Front – und ich freute mich jedes Mal wie eine Schneekönigin, weil es so einfach und so lustig war, die spaßbefreiten Erwachsenen aus der Fassung zu bringen.
Alte Schätze & coole Einzelstücke – so geht #WeirdGirlAesthetic
Nun, in diesen Zeiten der Inflation mache ich drei Kreuze, dass ich die gewagtesten Pieces aus meiner wilden Phase doch noch aufbewahrt habe und mir obendrein vor drei Jahren in Harajuku eine lilafarbene Matrosenuniform mit Katzen-Prints gegönnt habe, theoretisch also direkt auf den Weird-Girl-Trend aufspringen könnte, ohne einen Cent auszugeben. Irgendwo müsste auch noch meine Maxi-CD von Radiohead rumliegen: "I'm a creep, I'm a weirdo, what the hell am I doin' here? I don't belong here!"
Der Weird-Girl-Look passt insofern auch perfekt in unsere Zeit, weil er uns animiert, endlich mal wieder auf die Jagd nach coolen Einzelstücken zu gehen. Vor allem aber auch dazu, Altes umzunähen oder selbst aufzupeppen (zum Beispiel mit Tacker, Strass, Sprühfarbe oder alten Strickliesel...), statt ständig neue Fast Fashion zu konsumieren.
Le freak, c'est chic!
Dass Mode sowieso alles darf, wissen wir ja spätestens, seit Croc-High-Heels von Balenciaga für knapp 500 Euro über die Ladentheke gehen. Nach den drei fashionarmen Pandemie-Jahren (auch bekannt als Jogginghosen-und-Leggings-Life) haben viele von uns wieder richtig Lust, alle Blicke auf sich zu ziehen und die neu gewonnene Freiheit auch modisch auszuleben. Dabei darf man es eben durchaus mal übertreiben.
"Es geht in der Mode viel darum, auszudrücken, was man mag und worauf man steht", sagt Stella Haase, die Dozentin im Department of Design an der Akademie für Mode und Design in Hamburg ist. Sie habe sich schon immer durch das Seltene, Ungesehene, Ungehörte und Unterbewusste angezogen gefühlt, sagt sie. "Was mich am meisten inspiriert, sind Menschen, die den Mut haben, sie selbst zu sein und durch ihr Aussehen und andere Medien auszudrücken, was sie sind. Fashion Lovers spielen gerne mit den Codes der klassischen Uniformen unserer Gesellschaft und verwirren so die Köpfe, um Neues zu kreieren."
Und etwas Neues, das so bunt, befreit und lustig ist, können wir momentan mehr denn je gut gebrauchen. Deshalb also: Le freak, c'est chic!
Dieser Artikel erschien zuerst in der EMOTION 10/22.
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