Wer nicht schon von Natur aus eine Rampensau mit klangvollem Organ ist, kann sich trotzdem Gehör verschaffen: Hier erklärt Stimmcoachin Birte Heckmann, wie wir unserer Stimme Gewicht verleihen.
Birte, erklär doch mal, was du als Stimmtrainerin machst.
Ich helfe Menschen, selbst wieder daran zu glauben, hörenswert zu sein und das, was sie anderen mitteilen möchten, möglichst lebendig und interessant, authentisch und mit Freude am Auftritt zu vermitteln.
Du betreust Fernsehproduktionen, das Schauspielensemble eines Staatstheaters. Wer kommt zu deinen Stimmtrainings und Seminaren?
Frauen und Männer aus Wirtschaft, Politik, Kultur oder Wissenschaft. Mich beauftragen auch Unternehmen, die bestimmte Mitarbeiter:innen oder ein ganzes Team coachen lassen wollen. Meine Kund:innen haben das Gefühl, die Zuhörenden bei Auftritten oder Präsentationen nicht wirklich zu fesseln. Sie wissen, was sie können, aber es fällt ihnen schwer, überzeugend rüberzukommen. Sie haben etwas zu sagen – allerdings trägt ihre Stimme nicht.
Unsere Stimme ist verräterisch, offenbart etwa, dass wir aufregt sind.
Ja, der Klang unserer Stimme gibt Aufschluss über unsere seelische Verfassung. Wenn wir Angst haben oder gestresst sind – beispielsweise vor einem Auftritt – löst das die Fight-or-flight-Reaktion aus. Die Muskeln spannen sich an, was sich auchauf die Stimmbänder auswirkt: Die Stimme rutscht in eine höhere Tonlage. Ein steifes Lächeln verkrampft auch die Muskulatur des Kehlkopfes, die Atmung wird eng und hochgezogen. Diese Blockade lässt die Stimme für andere dann unangenehm wirken.
Du bietest auch Sprechtraining speziell für Frauen an. Haben Frauen andere Probleme als Männer?
Probleme mit Artikulation, Sprechtempo oder Lautstärke können beide haben. Wobei Frauen tendenziell leiser sprechen und zudem in digitalen Meetings per Zoom, Skype oder Teams benachteiligt sind. Denn aufgrund des hohen Datenvolumens werden nach festgelegten Frequenzbereichen Stimmen ausgedünnt, wobei weibliche Stimmen stärker beschnitten werden als die männlichen. Vor allem aber haben Frauen aufgrund ihrer Glaubenssätze Probleme, sich selbst, ihr Unternehmen und ihr Thema begeisternd zu "verkaufen".
Inwiefern?
Männer erlebe ich – auch wenn das natürlich ein bisschen Schubladendenken ist – als tendenziell freier raus, mutiger. Sie gehen grundsätzlich davon aus, dass sie das schon schaffen. Für viele Frauen hingegen ist es mit großen emotionalen Widerständen verbunden, die eigene Kompetenz zu präsentieren. Durch die Erziehung haben sie oft verinnerlicht: Sei lieb und nett! Sei bescheiden! Du bist nicht gut genug! Die Folge ist Selbstbashing. Sich ständig infrage zu stellen. Sich andauernd zu entschuldigen – dafür, zu laut oder zu leise zu sprechen, zu hoch oder zu tief. Viele Frauen kommen zu mir, weil sie ihre Stimme als zu dünn oder zu wackelig empfinden.
Sind Frauen generell unzufriedener mit ihren Stimmen als Männer?
Frauen neigen aus meiner Erfahrung heraus dazu, sich mehr zu hinterfragen und somit auch unzufriedener zu sein.
Hängt das auch damit zusammen, dass Frauenstimmen anders gehört werden? Wir sie als weniger durchsetzungsstark empfinden, gar als hysterisch?
Wir sind mit unseren höheren Frequenzen ein bisschen gekniffener als die Männer, die mit ihren tieferen Frequenzen eher etwas Beruhigendes und Überzeugendes mitbringen. Ein höherer Stimmklang stößt in unseren Ohren nicht auf angenehme Resonanz. Und wenn sich die weibliche Stimme bei mentaler Anspannung nach oben schraubt, kann sie in der Tat hysterisch klingen. Gerade habe ich von einem Mann gehört, der sich die Stimme hat tiefer operieren lassen, um kompetenter zu wirken. Es ist immer noch so, dass typisch männliche Stimmen als durchsetzungsstärker und vertrauenswürdiger gelten – vielleicht ein Grund, warum Podcasts mit männlichen Hosts so viel erfolgreicher sind.
Amtsträgerinnen wie Annalena Baerbock oder Andrea Nahles werden öfter für ihre Stimmen kritisiert als männliche Kollegen ...
Die Hörgewohnheiten ändern sich nur langsam; das Männliche scheint noch immer das Maß aller Dinge zu sein, das Frauen als Ideal übergestülpt wird. Darum regulieren manche Frauen wie damals Maggie Thatcher ihre Stimme künstlich herunter. Dieser Wunsch begegnet mir im Sprechtraining zum Glück kaum noch. Mir ist es wichtig zu betonen: Du kannst als Frau auch überzeugen mit einer höheren Stimme! Wirkliche Emanzipation akzeptiert, dass Frauenstimmen – anatomisch bedingt – tendenziell einfach höher sind als männliche.
Unabhängig von der Höhe der Stimme: Beim Sprechen Kompetenz auszustrahlen, entscheidet über unseren beruflichen Erfolg, unsere Karriere. Woran arbeitest du mit deinen Klient:innen?
Mit kognitiven sowie körperlichen Übungen lässt sich die selbstbewusste, authentische und überzeugende Kommunikation der eigenen Gedanken, Ideen und Ziele verbessern. Wir arbeiten daran, auf den Punkt zu kommen, sich nicht zu wiederholen, nicht zu labern. Die Gedanken so zu fokussieren, dass sie dem Gegenüber als ausgewählte Worte geschenkt werden. Bei Auftritten geht es ja schon um das eigentliche Auftreten an sich, also: wie steige ich in das Gespräch, die Präsentation ein, wie zeige ich Präsenz. Denn egal, ob bei Bewerbungs- oder Mitarbeitergesprächen, dem Elevator Pitch, in Online-Präsentationen, in Gesprächen mit unseren Partner:innen oder auch nur beim Small Talk: Wir alle möchten gut gesehen und gehört werden. Mein Ziel ist es, dass meine Klient:innen mit klarer Stimme und erhobenen Hauptes von und für sich selbst zu sprechen lernen. In der Regel sind drei bis fünf Stunden Stimmtraining ausreichend, um im Alltag eine deutliche Veränderung zu erleben.
Dieser Artikel erschien zuerst in der EMOTION 10/22.
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