Warum stehen wir gerade so auf hübsche, bescheidene Stars, die eine neue Art Männlichkeit vorleben? Weil sie viel Spaß machen – und vielleicht sogar die Welt verändern.
Einmal wieder richtig Fan sein, wie als kreischender Teenager. Schöne, talentierte Männer anhimmeln, sich völlig der Ekstase hingeben. Macht man ja ab einem bestimmten Alter nicht mehr. Aus gutem Grund: Wieso sollten wir Typen hinterherschmachten, deren Gunst wir eh nie ergattern können, wenn wir uns in der Zeit auch selbst verwirklichen können? Bei Stars wie Timothée Chalamet und Harry Styles bekommen wir trotzdem wieder richtig Lust aufs Fan-Sein, denn diesen Jungs hinterherzuschmachten hat nicht den faden Beigeschmack fehlender Emanzipation. Sondern den fruchtig-süßen Geschmack einer Wassermelone (oder den jeder anderen Frucht, die Styles besingt).
Schmachten abseits der Heteronormativität
Früher träumten Frauen von männlichen Stars eher als Heiratsmaterial, jetzt stehen Männer in unserem Begeisterungs-Fokus, die sich außerhalb dieser heteronormativen Mann-Frau-Logik bewegen. Sie geben herzlich wenig auf Gendernormen, tragen Nagellack und Perlenketten, zeigen sich verletzlich – und inspirieren uns mit ihrem Style.
Smokey Eyes à la Damiano David, das Rüschenkleid, das Harry Styles auf dem Cover der US-"Vogue" anhat, die Seidenbluse von Timothée Chalamet: wollen wir alles selber tragen. Können wir auch, wie Styles in seinem Musikvideo zu "Treat People With Kindness" zeigt: Dort trägt er am Ende dasselbe androgyne Outfit wie Tanzpartnerin Phoebe Waller-Bridge.
"Just let me adore you", singt Harry Styles – und das tun wir!
Es ist eine neue Art der Fanliebe, sie stellt uns irgendwie auf eine Ebene mit den Verehrten, weil es Männer sind, von denen wir uns gern etwas für unsere eigene Identität abschauen. Klar, schon vor Jahrzehnten haben Prince, Mick Jagger oder David Bowie die Androgynität im Popbusiness etabliert. Und zum Rockstar-Image gehören Glam, Glitzer und die ganz große Show ja auch schon länger dazu. Damiano und seine Band Måneskin stehen ganz in dieser Tradition. Sie sind bunt, wild, exzessiv. Make-up, viel nackte Haut und offensichtliche Sexyness ist bei ihnen keinem Geschlecht zugewiesen – auch deshalb haben sie wohl den Eurovision Song Contest 2021 gewonnen, als woke Antwort auf alte Rollenbilder.
Es gibt einen weiteren Grund, den Hübsche-Boys-Club so gut zu finden: Diese Jungs sind einfach nett. Timothée Chalamet nimmt ganz bodenständig seine Mutter mit auf den roten Teppich. Von Harry Styles gibt es etliche YouTube-Videos, wie er sich auf Konzerten um das Wohlergehen seines Publikums sorgt. Entdeckt er ein Baby, das schlafen will, bittet er alle um Ruhe, bemerkt er eine gehörlose Person, bedankt er sich in Gebärdensprache für ihr Kommen. Selbst Rock’n’Roller und Rampensau Damiano David wirkt in Interviews zahm wie ein Kätzchen.
Hübsch, erfolgreich – und nett noch dazu
Erfolgreiche, berühmte Männer, die keine Macker sind – das ist doch mal ein gelungener Gegenentwurf zur toxischen Männlichkeit. Dabei hätten die Jungs allen Grund, abgehoben zu sein. Sie haben nicht nur viel Talent, sondern sehen auch unverschämt gut aus. Es würde ihrer Beliebtheit wohl keinen Abbruch tun, wenn sie arrogante Player wären. Dennoch entscheiden sie sich dafür, Aussehen und Erfolg nicht auszunutzen, sondern stattdessen Freundlichkeit und Bescheidenheit zu leben. In Interviews kichert Timothée Chalamet vor sich hin und scheint selber nicht so richtig zu verstehen, was er im Fernsehen zu suchen hat. Harry Styles schwenkt auf Konzerten die Regenbogenflagge und unterstützt Musikerinnen – seine Band ist mit ungewöhnlich vielen Frauen besetzt.
Hübsch und nett sein, das wurde bislang ja eher von weiblichen Stars erwartet. Bei Männern ist diese Kombination so ungewöhnlich, dass sie oft abgewertet wird. Etwa mit dem Begriff "Himbo", was so viel wie "männliches Dummchen" meint: gut aussehend, gut gebaut und ohne böse Absichten geht er voller Zuversicht durch die Welt und auf andere zu, quasi als menschgewordener Golden Retriever.
Neue Männlichkeitsentwürfe – mehr davon, bitte!
Wie degradierend und sexistisch! Männer, die nicht manipulativ und triebgesteuert sind, sind eben zu dumm, um sich zu nehmen, was sie wollen? Entweder sie sind selbstbewusste Macher, die keine Schwächen zulassen, oder lieb, naiv und harmlos? Ein viel zu eng gesteckter Rahmen! Wie schön also, dass Harry und Co. uns andere Männlichkeitsentwürfe zeigen. Und beweisen, dass Schmuck und Nagellack heterosexuellen Männern genauso gut stehen wie Bescheidenheit und Verletzlichkeit.
Das befreit auch uns Frauen: Wenn Männer Perlen und Make-up tragen, wird es für uns wiederum selbstverständlicher, dies nicht zu tun. Vielleicht wird es sogar selbstverständlicher, dass Frauen nicht immer lieb und zurückhaltend sind. Und selbst wenn sich durch die neuen Jung(s)stars nichts an den einengenden Geschlechternormen ändert: Sie erschaffen zumindest für Momente eine Insel der Leichtigkeit. Und sehen dabei hinreißend aus. Hach!
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