Immer mehr Psychotherapeut:innen und Lifecoaches tummeln sich auf Instagram und posten pastellfarbene Sprüche über Selbstliebe oder geben Millionen von Millennials Lebensratschläge. Was verbirgt sich hinter dem Trend?
1,6 Million Menschen folgen Sara Kuburics Account "millennial.therapist" auf Instagram. Ihr Feed wirkt reduziert und besteht aus Kacheln in unterschiedlichen Blautönen, auf denen Tipps und Sprüche platziert sind, die uns an unseren eigenen Selbstwert erinnern sollen; die uns lehren, wie man am besten "Nein" sagen kann oder die uns zeigen, was toxische Freundschaften sind. Es wirkt ein bisschen wie kostenlose Therapie "To go", häppchenweise portionierte Lebensratschläge, die man nach Bedarf konsumieren kann – wenn man sich gerade schlecht fühlt oder besonders hören will, wie liebenswert man ist.
Steigendes Interesse an Instagram-Therapie
Kuburics Angebot scheint viele Menschen abzuholen, das zeigen ihre Followerzahlen und die enormen Anzahl an Likes, die ihre Beiträge erhalten. Und es gibt viele weitere, erfolgreiche "Therapie-Accounts" auf Instagram, die ähnlich gut angenommen werden: "dlcanxiety" (1,1 Millionen Follower) oder "tracymcmillan" (98 Tausend Follower) zum Beispiel. Dabei scheint die hohe Nachfrage an "Instagram-Therapie" nur die Nachfrage an Face-to-Face-Therapie widerzuspiegeln. Die Anfragen für psychotherapeutische Beratung im Januar 2021 haben im Vergleich zum Vorjahr um fast 41 Prozent zugenommen, in Privatpraxen sogar um 61 Prozent, schrieb die FAZ im Februar auf Grundlage einer Umfrage der Deutschen Psychotherapeuten-Vereinigung (DptV). Im Schnitt erhalten alle Praxen 6,9 Anfragen pro Woche.
Vielleicht trauen sich gerade mehr Menschen, sich psychotherapeutischen Rat zu suchen als noch vor ein paar Jahren, weil das Thema Mental Health durch eben eine solche Thematisierung in den sozialen Medien auch entstigmatisiert wird. Beschriebene Accounts normalisieren die Auseinandersetzung mit der eigenen psychischen Gesundheit und den Trend, über eigene Ängste und Probleme zu sprechen und auch den Willen aufzubringen, etwas gegen sie zu tun. Gleichzeitig müssen Hilfesuchende in therapeutischen Praxen auf monatelange Wartezeiten vertröstet werden oder sie versuchen es gar nicht erst, weil die Aussichten auf einen Therapieplatz wenig vielversprechend sind. Dass auf Instagram also ein wachsendes Angebot und auch eine große Nachfrage an Therapie-Accounts zu beobachten ist, ist vielleicht also nur ein Ausdruck für dieses Problem: Wer keinen Therapieplatz will, holt sich seine Ratschläge einfach auf Instagram – schnell, und sogar kostenlos.
Viele Menschen haben keinen Zugang zu solchen Informationen. Da kann Instagram wirklich helfen. Und vielleicht auch die Neugierde wecken, sich mehr mit solchen Fragen zu beschäftigen oder sich an einen Therapeuten zu wenden."
Sara Kuburic, die den Instagram-Account "Millennial.Therapist" betreutTweet
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Millennials fühlen sich angesprochen
Insbesondere Millennials würden bestimmte Sorgen vereinen, erklärte Kuburic vergangenes Jahr in einem Interview mit der Welt. Die 25 bis 39-Jährigen setzten sich mehr als alle anderen Generationen mit der Frage nach dem Sinn des Lebens und vor allem nach der eigenen Identität auseinander. Auf sie kann es bestärkend wirken, wenn sie etwa auf Instagram sehen, dass ihre Sorgen in bestimmten Posts aufgegriffen werden und dass sie damit offensichtlich nicht allein sind. Gerade, wenn sie sich nicht trauen, damit zur Therapie zu gehen oder denken, ihre Probleme seien nicht "schlimm" genug, um dafür professionellen Rat zu suchen. Für solche Menschen können Therapie-Accounts eine Stütze im Alltag sein – vor allem, wenn sie sonst keinen Zugang zu solchen psychologischen Hilfestellungen haben. Auch Kuburic meint: "Da kann Instagram wirklich helfen. Und vielleicht auch die Neugierde wecken, sich mehr mit solchen Fragen zu beschäftigen oder sich an einen Therapeuten zu wenden".
Instagram ersetzt keine Psychotherapie
Die Tipps, Sprüche und Informationen, die sie auf ihrem Instagram-Account teilt, sind für die breite Masse gemacht; sie greifen Mainstream-Probleme auf, in denen sich möglichst viele Menschen wiederfinden: toxische Beziehungen, Selbstzweifel oder das Impostor-Syndrom zum Beispiel. Gleichzeitig kann das auch ein Problem sein: Denn Kuburic kann keine Ratschläge geben, die auf die individuelle Situation von Personen zugeschnitten sind. Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen oder Traumata brauchen zum Beispiel eine ganz andere Ansprache. Instagram kann eben keine richtige Psychotherapie ersetzen, das weiß Kuburic auch und weist darauf in einem Disclaimer auf ihrem Instagram-Account hin. Sie selbst ist ausgebildete Psychotherapeutin, promoviert gerade in Wien und ist damit eine lizensierte Expertin. Viele andere "Instagram-Therapeutinnen" weisen eine ähnliche Ausbildung auf. Aber weitaus nicht alle.
Welche Instagram-Therapeut:innen sind vertrauenswürdig?
Denn die Mental Health-Kultur auf Instagram schlägt häufig eben auch in eine andere Richtung: Es kursieren ebenso Unmengen an "Feel-Good"-Accounts auf der Plattform, hinter denen sich Personen verbergen, die gar nicht ausreichend dafür qualifiziert sind, Ratschläge zu erteilen. Das Problem: Optisch unterscheiden sie sich meist kaum von den vertrauenswürdigen Seiten. Denn auch sie arbeiten mit derselben pastelligen Ästhetik, mit schönen Illustrationen, mit einer ähnlichen "Tu dies" oder "Tu dies nicht"-Tonalität. Inhaltlich geht's dann aber doch meist oberflächlicher zu und man liest unspezifische Sprüche, die dem Schema "Lächle, und alles wird gut" folgen. Oder wenig hilfreiche Ratschläge wie: "Folge deinem Herzen, es kennt den Weg" – kurz gesagt: Feel-Good-Content, der sich inspirierend und leicht anfühlt, aber wenig Mehrwert bietet für Menschen, die Hilfe suchen.
Wie finde ich heraus, wer qualifiziert ist?
Eine Methode, die amateurhaften Accounts von den professionell betriebenen auszusieben ist, einen Blick in die Instagram-Bio zu werfen. Wer steckt hinter dem Account? Häufig verweisen ausgebildete Psychotherapeut:innen zum Beispiel mit einem Link auf ihre Website, auf der man dann die Qualifikationen und Referenzen nachlesen kann. Coach:innen oder Heilpraktiker:innen haben zum Beispiel nicht dieselben Qualifikationen wie Psychotherapeut:innen. Letztlich muss jede:r selbst entscheiden, von wem er oder sie sich Ratschläge zu Herzen nimmt und wem man sein Vertrauen schenkt. Ein kritischer Blick schadet auf einer Plattform, die im Verdacht steht, der Psyche zu schaden, aber sicherlich nie. Was nicht heißen soll, dass man vielleicht auch hin und wieder den ein oder anderen seichten Feel-Good-Spruch lesen will.
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