Die Freudentränen über die Geburt des eigenen Kindes sind noch nicht getrocknet, da weht schon die Kündigung ins Haus. Noch immer ist Elternschaft ein unausgesprochener Grund seitens der Arbeitgeber:in, das Beschäftigungsverhältnis zu beenden. Die Anwältin Sandra Runge setzt sich dagegen ein – nachdem sie diese Erfahrung selbst gemacht hat.
Kinder dürfen kein Kündigungsgrund sein
Nach der Elternzeit, die sie sich nach der Geburt ihres ältesten Sohnes genommen hatte, wollte Sandra Runge wieder voller Elan in ihrem alten Job als Abteilungsleiterin durchstarten. Doch gleich am ersten Tag kam der große Knall: zack, Kündigung! Etwa, weil sie jetzt Mutter ist? Diese Ungerechtigkeit hat ein Feuer in der Anwältin für Arbeitsrecht entfacht. Mit der Abfindung, die sie nach gewonnener Klage gegen ihren alten Arbeitgeber bekam, machte sie sich selbstständig – und fand ihre Aufgabe darin, anderen Müttern und Vätern zu helfen. Seit 2013 klärt Sandra Runge Eltern auf ihrem Blog smartmama.de über ihre Rechte auf. Letztes Jahr rief sie zusammen mit Journalistin Karline Wenzel die Petition #ProParents ins Leben. Ihr Ziel ist es, dass Elternschaft als Diskriminierungsmerkmal in das Allgemeine Gleichstellungsgesetz aufgenommen wird, um Müttern und Vätern einen besseren gesetzlichen Schutz zu ermöglichen. Dass es daran in Deutschland noch erheblich mangelt, zeigt Sandra Runges neues Buch "Glückwunsch zum Baby, Sie sind gefeuert!" (Eden Books, 18,95 €). Die darin geschilderten Fälle sind erschütternd – und beispielhaft: Laut einer Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes haben 41 Prozent der befragten Eltern schon mal Diskriminierung am Arbeitsplatz erfahren. Umso wichtiger, seine Rechte zu kennen. Sandra Runge erklärt in vier Fällen, wie sie vorgegangen wäre.
Aus dem Nichts
"Mir wurde ein EXIT-Verfahren angeboten, als ich nach der Elternzeit wieder in den Job einsteigen wollte, weil angeblich kein Platz für mich im Unternehmen war. Mir hat es den Boden unter den Füßen weggezogen – niemals hätte ich damit gerechnet, dass ich gekündigt werde. Bis heute hängt es mir sehr nach, dass ich nie mehr richtig ins Arbeitsleben zurückgefunden habe. Mir wurde ein Teil meiner Identität genommen."
Pauline, zwei Kinder, Senior Human Resources Business Partner
Sandra Runges Tipp: Wer nach der Elternzeit zurückkehrt, hat Recht auf einen gleichen oder gleichwertigen Job – obwohl das nicht im Klartext in unseren Gesetzen geregelt ist. Wie auch in Paulines Fall passiert es immer wieder, dass Mütter nach der Elternzeit schon Aufhebungsverträge oder Kündigungen erhalten. Da der Sonderkündigungsschutz am letzten Tag der Elternzeit endet, ist es relativ einfach, zu kündigen, wenn ein betriebsbedingter Grund vorliegt. In vielen Fällen ist das nur vorgeschoben, da Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen die Stelle neu besetzt haben oder nicht bereit sind, wiederkehrende Mütter – oftmals auch entsprechend ihrer Teilzeitwünsche –in das Unternehmen einzugliedern. Kündigungen am ersten Tag nach der Elternzeit sind nach der aktuellen Gesetzeslage per se nicht automatisch diskriminierend, da Elternzeit "geschlechtsneutral" ist. An dieser Stelle muss der Rechtsschutz unbedingt verbessert werden, zum Beispiel durch ein neues Diskriminierungsmerkmal "Fürsorgeleistung" und einen mindestens dreimonatigen Sonderkündigungsschutz nach der Elternzeit. Trotzdem kann es sinnvoll sein, bei entsprechendem Vertrauensverhältnis Vorgesetzte oder den Betriebsrat ins Boot zu holen und zu versuchen, eine interne Lösung zu finden.
Ausschlusskriterium: Kind
"Weil ich wusste, dass es mich sonst stresst, habe ich in meinem Lebenslauf angegeben, dass ich Mutter bin– obwohl man das ja gar nicht muss. Ich bewarb mich in einem Familienzentrum und wurde prompt zum Bewerbungsgespräch eingeladen. Der Geschäftsführer schien trotzdem sehr überrascht von der Tatsache zu sein, dass ich ein Kind habe. Die Stelle sei nicht für eine Mutter geeignet, sagte er, die emotionale Betroffenheit in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sei zu hoch für eine Mutter. Von dem Moment an war mir klar, dass ich den Job nicht bekommen würde."
Tina, ein Kind, Projektkoordinatorin
Sandra Runges Tipp: Solange es immer noch so ist, dass Mütter ein Drittel mehr Bewerbungen schreiben müssen, um zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, ist es ratsam, diese Angaben wegzulassen. Auch wenn in Tinas Fall eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts wahrscheinlich erscheint, da man vermutlich zu einem männlichen Bewerber nicht zwingend gesagt hätte, dass die emotionale Betroffenheit für einen Vater zu hoch sei, dürfte für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen die Beweisbarkeit der Äußerung entscheidend sein. Viel schlimmer ist jedoch, dass trotz entsprechender Qualifikation eine Bewerbung aussortiert wurde, nur weil man Mutter ist.
Billige Ausrede
"In den letzten drei Monaten war ich vier Tage mit den Kindern zu Hause, weil beide abwechselnd krank waren. Ich selbst war fünf Tage krank. Letzte Woche kam meine Chefin zu mir und teilte mir mit, dass ich wahrscheinlich keine Gruppenleitung werde, weil ich ständig wegen der Kinder krank sei und sie jemanden braucht, auf den sie sich immer verlassen kann."
Juliana, zwei Kinder, Erzieherin
Sandra Runges Tipp: Kranke Kinder gehen vor! Jede Mutter und im Übrigen auch jeder Vater hat einen Anspruch auf Freistellung von der Arbeitspflicht gegenüber dem Arbeitgeber oder der Arbeitgeberin, wenn der Sohn oder die Tochter Fieber hat. Auf einem anderen Blatt steht geschrieben, in welcher Höhe und wie lange Gehalt fortgezahlt werden. Ein Anspruch auf bezahlte Kind-Krank-Tage besteht grundsätzlich nur für gesetzlich versicherte Eltern, im Jahr 2022 pandemiebedingt für 30 Tage pro Kind, bei mehreren Kindern maximal 65 Tage. Erstattet werden grundsätzlich 90 % des Nettoeinkommens, jedoch gedeckelt auf 112,88 Euro pro Tag. Wer aufgrund der Tatsache, dass er Kind-Krank-Tage beansprucht, schlechter behandelt wird, wird nach der aktuellen gesetzlichen Lage nicht zwingend diskriminiert, da die Tatsache Kind-Krank-Tage nicht automatisch eine Geschlechterdiskriminierung darstellt. Hilfreich ist es aber immer, alles genau zu dokumentieren und eine Beweislage zu schaffen, zum Beispiel indem man Protokolle verfasst oder sich Informationen schriftlich bestätigen lässt.
Schleichender Prozess
"Nachdem ich meine Schwangerschaft verkündete, wurde meine schon zugesagte Gehaltserhöhung abgelehnt. Schleichend wurden meine gesamten Projekte von anderen Kolleg*innen übernommen, sodass ich bis zum Beginn meines Mutterschutzes quasi ohne Beschäftigung an meinem Platz im Großraumbüro verharren musste. Ich habe mich gefühlt, als würde MANN mir mit Verkündigung der Schwangerschaft jeden Intellekt und jede Denkfähigkeit absprechen und als hätte ich nun einen offensichtlichen Makel, weswegen ich zu nichts mehr zu gebrauchen wäre."
Rosalie, zwei Kinder, Projektmanagerin
Sandra Runges Tipp: Schwanger? Und raus bist du. Mit Offenbarung der Schwangerschaft werden viele Mütter aufs Abstellgleis befördert und plötzlich so behandelt, als ob sie wertlose Mitarbeiterinnen wären. Die Ablehnung von Gehaltserhöhungen, der Entzug von Verantwortung bis hin zur Beschäftigungslosigkeit – Schlechterbehandlungen wie im Falle von Rosalie stellen nicht nur eine Verletzung des Arbeitsvertrags, sondern auch eine unzulässige Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar. Bei entsprechender Beweisbarkeit hätte Rosalie gute Chancen, Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Gehaltserhöhungen und entsprechende Zusagen sollte man sich sofort schriftlich bestätigen lassen. Auch wichtig: Stehen mögliche Schadensersatzansprüche nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz im Raum, müssen diese innerhalb von zwei Monaten nach der Benachteiligung schriftlich geltend gemacht werden.
Dieser Artikel erschien zuerst in der EMOTION 10/22.
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