Manche Leute treiben uns zur Weißglut. Gut so! Denn Rivalitäten und Feindbilder schärfen unsere Werte und spornen uns an.
Hast du eine Rivalin? Eine Erzfeindin, eine Reizperson, mit der du sich immer wieder fetzt und misst? Gut so! Hege und pflege sie, denn wenn man diese Rivalität richtig nutzt, eröffnet sie ungeahnte Möglichkeiten – schließlich können Vergleiche mit jemandem und innere Widerstände gegen ihn enorm anspornen.
Durch Ablehnung lernen wir uns selbst besser kennen – und zu positionieren
Wir suchen im Leben ständig nach Orientierung und fragen uns, wo wir gerade stehen. Aber woran messen wir uns eigentlich? Meistens doch an anderen. Rivalität kommt in zwei nützlichen Varianten: Die eine ist der Wettbewerb, der uns anfeuert. Die andere die Ablehnung, über die wir uns selbst besser kennenlernen. In einer ihrer berühmtesten Reden sagte Michelle Obama: "When they go low, we go high." Nun ist Donald Trump schon ein Feindbild, das man kaum schärfer zeichnen könnte, dennoch hätte sich die damalige First Lady nicht klarer von der gegnerischen Präsidentschaftskampagne absetzen können. Um die eigene Selbstwahrnehmung zu schärfen, hilft es nämlich zu definieren, was man eben NICHT ist und welche Haltungen man für sich unter allen Umständen ablehnt. Der ehemalige brasilianische Präsident Bolsonaro, eine egoistische Tante, eine selbstherrliche Kollegin oder die jeden Urlaub kreuzfahrende Schwester: Was uns an anderen aufbringt, zeigt uns selbst, für welche Werte wir eigentlich stehen. Manchmal aber – und diese Einsicht ist schwerer zu verdauen – zeigt es auch, welche Eigenschaften wir an uns selbst nicht leiden können; sie werden dann überdeutlich in den ungeliebten Antagonist:innen gespiegelt.
Unsere Feind:innen sind uns also oftmals näher, als wir uns eingestehen wollen. Wer deklarierte Feinde hat, zeichnet für andere ein klareres Bild von sich selbst. Was wäre Apple ohne Microsoft? Der Big Mac ohne den Whopper? Wer wären Elisabeth Warren ohne Donald Trump und Muhammad Ali ohne Joe Frazier? Immer noch sie selbst, ja. Aber nicht annähernd so klar positioniert für den Rest der Welt.
Wettbewerb ist gut fürs Geschäft, also auch für uns selbst
Nicht zu vernachlässigen ist auch, wie außerordentlich sinnstiftend es sein kann, gegen jemanden oder etwas zu kämpfen. Wettbewerb belebt das Geschäft, heißt es – und damit kommen wir zur zweiten, sanfteren und weniger aufwühlenden Form der Rivalität: dem freundlichen Wettkampf. Der ist schon deshalb von Vorteil, weil uns unsere Rival:innen neue Möglichkeiten aufzeigen. Wenn jemand etwas kann, das wir selbst nicht beherrschen, heißt das in erster Linie: Es ist möglich, dass wir es auch lernen können, mit Training, Übung, Weiterbildung oder Hilfe. "Ob ich selbst etwas beherrsche, sehe ich nur über den Vergleich mit anderen", erklärt die Sportpsychologin und ehemalige Leistungsturnerin Frauke Wilhelm. "Anders ist eine Bewertung gar nicht möglich." Die Grundlagen dafür würden uns schon im frühen Kindesalter mitgegeben. "Als Kind will ich alles lernen, weil ich spüre: Ich bin noch nicht fertig." Kinder vergleichen sich deshalb ständig mit denen, die größer und älter sind. Dieses Streben wird von Eltern und Lehrkräften gefördert – durch Zustimmung und
Lob.
Sisterhood, Gemeinschaft und Harmonie sind natürlich wichtig. Das darf aber nicht heißen, dass Frauen sich um deren Erhalt willen nicht auch Rivalität erlauben dürften.
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Weibliche Konkurrenz wird in unserer Gesellschaft abgestraft
Rivalität ist das Buhlen um Anerkennung, es ist also normal, sich fortlaufend mit anderen zu vergleichen. Evolutionär betrachtet war Konkurrenz früher schlicht eine Frage des Überlebens, sagt Wilhelm. "Wenn ich schneller laufe, entkomme ich dem Säbelzahntiger. Wenn ich schlauer bin als andere, finde ich die besten Beeren." Leider wird den meisten Frauen das Wetteifern aber schon in jungen Jahren wieder ausgetrieben, weibliche Konkurrenz wird in unserer Gesellschaft nicht gefördert. Raufen, Wettrennen, Triezen sind keine Eigenschaften, die Mädchen zugestanden werden. Höchstens noch im Kleinkindalter sind sie okay, aber spätestens bei Teenagern sind Ehrgeiz und Kampfgeist außerhalb des sportlichen Kontextes nicht mehr gern gesehen. Junge Frauen werden dafür nicht nur von den Eltern, sondern auch von ihren Freundinnen abgestraft. Stattdessen sollen sie sich in Bescheidenheit üben. Viel zu oft hören Mädchen: "Macht doch nichts, dass du nicht gewonnen hast. Hauptsache, ihr habt Spaß miteinander gehabt." Diese Denkweise manifestiert sich früh in Frauen.
Evolutionsbiologisch hatte das vielleicht einmal Sinn, weil unser Geschlecht die Sippe zusammenhalten musste. Auch heute sind Sisterhood, Gemeinschaft und Harmonie natürlich wichtig. Das darf aber nicht heißen, dass Frauen sich um deren Erhalt willen nicht auch Rivalität erlauben dürften. Wie sollen wir sonst lernen, dass Konkurrenz spannend sein kann, Ehrgeiz voranbringt und Scheitern kein Weltuntergang ist? Nur wer mit anderen konkurriert, kann lernen, auch anständig zu verlieren, und merkt, dass das Leben immer wieder neue Chancen bringt.
Jeder hat ein Recht darauf, siegen zu wollen
An Kampfgeist fehlt es Frauen eigentlich nicht. Was ihnen fehlt, sagt Frauke Wilhelm, sei emotionale Distanz: "Jungen Leistungssportlerinnen muss ich fast immer erst einmal klarmachen, dass es okay ist zu glänzen. Das Bewusstsein, dass andere verlieren, wenn man selbst gewinnt, ist für viele Frauen unerträglich. Sie wollen lieber Zweite werden, damit sie danach noch von allen gemocht werden." Nur: Wie wollen wir es eigentlich in die Führungsetagen dieser Welt schaffen, unsere eigenen Unternehmen leiten, die Zukunft mitgestalten, wenn wir immer zurückstecken, aus Höflichkeit oder der Angst anzuecken? Es ist fatal, wenn Frauen sich aus angelernter Rücksichtnahme allen Wettbewerbsumfeldern und -situationen entziehen.
Männer verlernen dagegen selten den kindlichen Spaß am Vergleich mit anderen. Sportpsychologin Frauke Wilhelm hat mit vielen männlichen Klienten über ihre Motivation gesprochen. Manche wollen eine persönliche Bestmarke erreichen, immer schneller, immer besser werden. Andere sagen: Selbst wenn meine Leistung nicht zufriedenstellend war, Hauptsache, ich habe gewonnen. Und dann gebe es sehr viele, die es "einfach geil" finden, sich zu messen. Unter Männern gilt Rivalität als Spiel. Frauen fürchten dagegen oft, nicht nur für ihre Leistung, sondern gleich als gesamter Mensch be- oder abgewertet zu werden. Dabei hat jede ein Recht darauf, nach Erfolg zu streben und siegen zu wollen.
Eine Konkurrentin ist Reibungsfläche und Motivatorin zugleich
Wir müssen uns einfach von dem Gedanken verabschieden, dass weibliches Konkurrenzverhalten immer auch gleich mit unfairen Mitteln einhergeht. Schließlich muss keine ihre Moralvorstellungen über Bord werfen und ihre Nemesis gleich komplett aus dem Rennen schießen. Vielmehr sollte man seine liebste Konkurrentin und ihre Ansichten lediglich gut im Auge behalten – als persönliche Messlatte, als Spiegel und lebende Performance-App. Und eben auch als Motivatorin, Inspirationsgeberin und Reibungsfläche, an der wir uns auch selbst ein bisschen feiner zurechtschleifen können. Suchen Sie sich also eine Rivalin, die das Beste aus Ihnen herausholt. Und dann, wenn Sie wollen, versuchen Sie deren Erfolge doch genauso zu feiern wie Ihre eigenen. Denn der eine schließt den anderen nicht aus. Wir wachsen aneinander und nebeneinander. So was nennt man eine Win-win-Situation. Und auch die ist ausdrücklich erlaubt.
Dieser Text erschien zuerst in EMOTION 03/20.
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