Unsere Autorin sagt: Unsere Debattenkultur ist am Ende. Und gibt Social Media die Schuld. Denn obwohl es viel zu besprechen und diskutieren gäbe, stehen Egos und Algorithmen einem echten Austausch im Weg. Ein Kommentar.
Die Hoffnungen, die viele einst auf soziale Netzwerke als Diskussionsplattformen setzten, waren groß. Sie hatten die Vision einer Art digitalen Schauplatzes, der den gesellschaftlichen Diskurs nachhaltig ins Positive verändern würde. Gekommen ist es ganz anders. In vielen Kommentarspalten, das ist jedem bekannt, der bisweilen den Mut hat, sich dorthin zu verirren, steht Häme und Empörung an der Tagesordnung. Und nicht etwa konstruktiver Austausch. Schade, gerade wo es so viele brisante und wichtige Themen aus Politik und Gesellschaft zu besprechen gäbe. Aber warum ist das eigentlich so?
Der US-amerikanische Autor und Journalist Jonathan Rauch sieht in den Algorithmen, die unseren digitalen Konsum maßgeblich steuern, eine der Ursachen dafür. "Digitale Medien sind nicht so konzipiert, dass sie uns zwingen, unsere Differenzen zu erkennen und uns zu einigen. Sie wollen keine gemeinsame Realität erzeugen", schreibt er. Für Nutzer:innen und Außenstehende ist unklar, wie genau die Algorithmen funktionieren. Und die Netzwerke selbst wollen sich natürlich nicht in die Karten schauen lassen.
Soziale Medien machen es immer schwieriger, Debatten zu führen
Klar ist jedenfalls: Soziale Medien sind so konstruiert, dass Nutzer:innen möglichst viel Zeit auf ihnen verbringen. Interagiert man mit Inhalten, kommentiert oder likt sie zum Beispiel, werden einem zukünftig ähnliche ausgespielt. So kreieren soziale Netzwerke virtuelle Wohlfühlräume, sogenannte Filterblasen, in denen man sich schnell daran gewöhnt, dass die eigene Meinung meist geteilt wird. Oft so sehr, dass man irgendwann aufhört, sie kritisch genug zu hinterfragen. Denn egal, welche politische Einstellung oder welche Werte man vertritt: Man findet Gleichgesinnte. Das ist vielleicht vorteilhaft für das eigene Ego, schlaue Debatten lassen sich so aber eher nicht führen.
Und genau dazu ist es bereits gekommen: Wir können nicht mehr diskutieren. Teils ist daran unser eigenes Versäumnis, andere Meinungen wirklich anzuhören und zu respektieren, schuld, aber auch die sozialen Medien selbst haben einen nicht unerheblichen Anteil daran. Denn sie sind wohl so konzipiert, dass sie möglichst viele Emotionen in uns auslösen – zum Beispiel Wut. Frances Haugen, die zwei Jahre für Facebook gearbeitet hat, sorgte für Schlagzeilen, als sie den Konzern beschuldigte, sein Geld mit Hass und Spaltung zu verdienen. "Wenn unsere Umgebung aus Informationen besteht, die polarisieren, die wütend machen, dann führt das zu Vertrauensverlust in unser Gegenüber. Diese Version von Facebook zerreißt unsere Gesellschaft und verursacht Gewalt in der Welt", sagte die Whistleblowerin. Wer soziale Netzwerke nutzt, bewegt sich also primär in zwei Blasen: In der, in der die eigene Meinung als "richtig" angesehen wird und in der Blase, in der man auf gegenteilige Meinungen stößt, die einen frustrieren und wütend machen.
Nicht nur Algorithmen, sondern auch unser Ego steht im Weg
Das Ergebnis: Diskussionen mit Menschen zu führen, die anderer Meinung sind als man selbst, wird immer schwieriger. Denn unser Ego, das von der Zustimmung in unser bequemen Filterblase gefüttert wird, lässt den Gedanken, jemand anderes als wir selbst könnte recht haben, gar nicht zu. Davor ist niemand gefeit. In einer Demokratie, in der das Debattieren von kontroversen Angelegenheiten nun mal unerlässlich ist, ist das katastrophal. Besonders, weil es aktuell so viele Themen gibt, über die gesprochen werden müsste. Anstatt uns einem gesellschaftlichen Konsens aber auch nur anzunähern, drehen wir uns im Kreis.
Dass Menschen sich, wenn sie unterschiedlicher Meinung sind, aneinander reiben, ist natürlich grundsätzlich völlig normal. Mehr noch, genau das ist doch eigentlich das Reizvolle an einer Debatte. Wenn aber alle ständig nur recht haben wollen und am ehesten denen Recht gegeben wird, die ihre Argumente am lautesten und polemischsten kundtun, kann das schnell ermüden. Verständlich.
Dabei ist es doch so: In unserer schnelllebigen Zeit, in der wir uns mit so vielen Nachrichten und Informationen konfrontiert sehen wie nie zuvor, kann man gar nicht mit allen Entwicklungen Schritt halten. Man kann gar nicht alles wissen. Vielleicht erkennen wir also die schlausten Köpfe unserer Zeit daran, dass sie auch ab und an sagen: "Das weiß ich leider nicht, darüber muss ich mich erst noch informieren".
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